Autarkes Dorf in Deutschland ohne Strom aus dem System

In Umwelt
Juli 21, 2025

Feldheim, Brandenburg. Zwischen Windrädern, Feldern und Biogasanlagen steht ein Dorf, das geschafft hat, was für viele europäische Gemeinden noch wie eine Utopie wirkt: völlige Energieunabhängigkeit. Doch was auf den ersten Blick einfach klingt, ist das Ergebnis von jahrzehntelanger Planung, lokaler Initiative und dem Zusammenspiel von Technik, Gemeinschaftssinn und politischer Weitsicht.

Ein Dorf, das auf sich selbst vertraut

Feldheim ist ein Ortsteil der Gemeinde Treuenbrietzen und liegt etwa 60 Kilometer südlich von Berlin. Die rund 130 Einwohner des Dorfes haben sich bereits vor mehr als 20 Jahren auf den Weg gemacht, ihre Energieversorgung vollständig in die eigenen Hände zu nehmen. Heute ist Feldheim bilanziell energieautark: Strom und Wärme stammen zu 100 % aus erneuerbaren Quellen – direkt vor Ort erzeugt.

Das Besondere: Hier steht nicht nur Technik im Vordergrund. Vielmehr ist es der soziale Zusammenhalt, die Beteiligung der Bürger und das gemeinsame Ziel, unabhängig von Energieimporten und steigenden Preisen zu sein, das diesen Ort zu einem europaweiten Vorbild gemacht hat.

Wie funktioniert ein energieautarkes Dorf in Deutschland?

Die technische Umsetzung basiert auf einem Mix verschiedener Energiequellen:

  • Windkraft: Über 50 Windräder produzieren mehr Strom, als das Dorf selbst benötigt.
  • Photovoltaik: Eine große Solaranlage liefert zusätzlich Sonnenstrom.
  • Biogasanlage: Organische Abfälle und Gülle aus der Region versorgen das Nahwärmenetz.
  • Hackschnitzelheizung: In der kalten Jahreszeit unterstützt sie die Wärmeversorgung.

Das Dorf hat ein eigenes Strom- und Wärmenetz errichtet – finanziert über eine eigens gegründete Genossenschaft. So profitieren die Bürger nicht nur von niedrigen Energiepreisen, sondern auch von der Wertschöpfung in der Region.

Kann ein Dorf auch im Winter komplett energieautark sein?

Die Energieversorgung in Feldheim ist zwar bilanziell autark – also über das Jahr gerechnet –, jedoch nicht vollständig netzunabhängig. Besonders im Winter, wenn Photovoltaik kaum Ertrag liefert und der Wärmebedarf steigt, braucht es intelligente Speicherlösungen oder temporären Netzzugriff. Vollständige, ganzjährige Off-Grid-Lösungen sind aktuell nur mit erheblichem technischen und finanziellen Aufwand umsetzbar.

Das Netz als Speicher – echte Autarkie oder Mythos?

Viele energieautarke Gemeinden, auch außerhalb Deutschlands, verwenden das Stromnetz als Speicher. An Tagen mit Energieüberschuss wird eingespeist, bei Engpässen wird bezogen. In Online-Foren wie Reddit diskutieren Nutzer deshalb kritisch über den Begriff „autark“. Die Mehrheit der Projekte sei eher „netzintegriert“ als wirklich autark – was allerdings ökologisch sinnvoll und wirtschaftlich effizient ist.

Was ist der Unterschied zwischen bilanzieller und kompletter Energieautarkie?

TypBeschreibungBeispiel
Bilanziell autarkÜber das Jahr wird so viel Energie erzeugt wie verbraucht, das Netz wird jedoch genutztFeldheim (D)
Vollständig autark (Off-Grid)Komplett unabhängig vom öffentlichen Netz, eigene Speicher notwendigEl Hierro (ESP, teilweise)

Hemmnisse: Bürokratie und Baurecht

Welche gesetzlichen Hürden gibt es für Off‑Grid‑Lösungen in Europa?

Ein Blick in soziale Netzwerke zeigt: Selbstversorgung scheitert oft nicht an der Technik, sondern an Vorschriften. Off-Grid-Lösungen brauchen in Europa teils umfangreiche Genehmigungen – selbst für kleine Hütten sind Netzanschlüsse oft verpflichtend. Regenwassernutzung, Komposttoiletten oder Holzheizungen unterliegen strengen Auflagen. Ein Nutzer auf Reddit fasst es so zusammen: „Nicht die Technik, sondern der Amtsschimmel bremst uns aus.“

Ein europäischer Trend nimmt Fahrt auf

Feldheim ist kein Einzelfall. In ganz Europa entstehen neue Formen des gemeinschaftlich organisierten Energiemanagements. Bioenergiedörfer wie Jühnde, Wildpoldsried oder Freiamt zeigen, dass sich eine lokale Energiewende realisieren lässt – ökologisch, ökonomisch und sozial.

Welches Modell für energieautarke Gemeinschaften gibt es in anderen Ländern?

  • Samsø (Dänemark): Seit 2003 bilanziell energieautark. Strom aus Windkraft, Wärme aus Biomasse.
  • El Hierro (Kanarische Inseln): Kombiniert Windkraft mit einem Pumpspeicher – erreicht phasenweise vollständige Autarkie.
  • Tamera (Portugal): Eine Friedensgemeinde mit ganzheitlichem Selbstversorgungsansatz.
  • Lammas (Wales): Off-Grid-Gemeinschaft mit Permakultur und eigenem Baustandard.

Allen gemeinsam ist ein starker Fokus auf Bürgerbeteiligung und nachhaltige Entwicklung – weit über die Energiefrage hinaus.

Soziale Vorteile und neue Gemeinschaftsformen

Energieautarkie ist mehr als ein technisches Projekt – sie schafft soziale Innovation. Studien zeigen, dass gemeinschaftlich organisierte Energieprojekte nicht nur die Akzeptanz erneuerbarer Energien erhöhen, sondern auch neue Formen von Nachbarschaft, Teilhabe und wirtschaftlicher Resilienz ermöglichen. In Deutschland, den Niederlanden und Dänemark entstehen hunderte solcher „Energie-Communities“.

DIY-Projekte und Low-Budget-Modelle

Wie viel Budget braucht man für ein Mini‑Off‑Grid‑Projekt?

Ein interessantes Beispiel aus Frankreich zeigt: Ein einzelner Mann baute sich für umgerechnet rund 11.000 € ein Mini-Dorf mit Solaranlage, Holzofen, Regenwassersammlung und Tiny-Häuschen – ganz ohne öffentliche Infrastruktur. Er lebt nicht nur autark, sondern teilt sein Wissen über soziale Netzwerke und Workshops mit anderen. Solche Low-Budget-Projekte zeigen, dass Selbstversorgung nicht nur Sache von Gemeinden sein muss – sie kann auch individuell funktionieren.

Das ungenutzte Potenzial ländlicher Regionen

Welche Chancen bieten Europas Dörfer wirklich?

Laut EU-Studien könnten ländliche Regionen bis zu 30-mal mehr Strom erzeugen, als sie selbst verbrauchen. Über 70 % der aktuellen erneuerbaren Energieproduktion in Europa stammen bereits vom Land. Doch viele Potenziale bleiben ungenutzt – durch mangelnde Speicher, unklare Förderprogramme oder fehlende Unterstützung für Bürgerprojekte.

Besonders groß ist das Potenzial bei Photovoltaik auf Gebäuden, Biogasanlagen aus landwirtschaftlichen Reststoffen und Windenergie in strukturschwachen Regionen.

Digitale Tools und neue Technologien

Innovative Modelle wie „Quartierstrom“ aus der Schweiz zeigen, wie Peer-to-Peer-Energiehandel auf Basis von Blockchain die Energieverteilung revolutionieren kann. Auch Studierendenprojekte, wie an der Universität Aarhus, testen neue Beteiligungsmodelle – etwa Crowdfunding-finanzierte PV-Anlagen mit Community-Beteiligung und Lerneffekt.

Was bleibt: Die Kraft der lokalen Initiative

Obwohl die Technik längst verfügbar ist, braucht es vor allem eines: Menschen, die gemeinsam Verantwortung übernehmen. Feldheim, Samsø, El Hierro oder Lammas sind mehr als Energiekonzepte – sie sind Lebensentwürfe. Sie zeigen, dass dezentrale, nachhaltige Energieversorgung kein Ideal bleiben muss, sondern machbar ist. Bürger, die bereit sind zu gestalten, können nicht nur ihre Stromrechnung senken, sondern auch ihre Gemeinde stärken – ökologisch, ökonomisch und sozial.

In Zeiten globaler Krisen, steigender Preise und wachsender Unsicherheit bietet die Idee energieautarker Gemeinden eine einfache Botschaft: Die Zukunft liegt näher als gedacht – sie beginnt vor der eigenen Haustür.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.