
Rathenow/Potsdam – Ein tragisches Verbrechen im Havelland sorgt bundesweit für Aufsehen: Ein 91-jähriger Mann wurde vom Landgericht Potsdam zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er seine 87-jährige Ehefrau mit einer Axt tötete. Das Gericht stellte eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit fest. Der Fall wirft Fragen über Alter, Verantwortung und Grenzen menschlicher Verzweiflung auf.
Das Urteil: Sieben Jahre Haft wegen heimtückischen Mordes
Das Landgericht Potsdam hat am 14. Oktober 2025 das Urteil gegen den 91-jährigen ehemaligen Staatsanwalt aus Rathenow verkündet. Der Mann wurde des heimtückischen Mordes an seiner Ehefrau für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Das Gericht erkannte dabei eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit an, die durch ein psychiatrisches Gutachten bestätigt wurde.
Der Vorsitzende Richter betonte in der Urteilsbegründung, dass die Tat „grausam und planvoll“ ausgeführt worden sei. Dennoch habe der gesundheitliche Zustand des Angeklagten und seine kognitiven Einschränkungen ein milderes Strafmaß gerechtfertigt. Eine lebenslange Freiheitsstrafe, wie sie bei Mord üblich ist, wurde daher nicht verhängt.
Die Tat im Pflegeheim von Rathenow
Am Morgen des 19. Mai 2025 kam es in einem Pflegeheim in Rathenow (Havelland, Brandenburg) zur Tat. Der Mann tötete seine 87-jährige Ehefrau mit mehreren Schlägen eines Beils oder einer kleinen Axt. Laut Ermittlungen hatte die Frau zuvor einen schweren Schlaganfall erlitten und war seitdem bettlägerig. Der Täter soll sie mit der Tat von ihrem „Leid erlösen“ wollen.
Zeugen im Heim berichteten, sie hätten kurz nach der Tat Hilferufe gehört. Pflegekräfte fanden die Frau tot auf, der Ehemann blieb am Tatort und leistete keinen Widerstand. Später erklärte er gegenüber der Polizei: „Ich konnte ihr Leiden nicht mehr ansehen.“
Psychiatrisches Gutachten: Verminderte Schuldfähigkeit
Ein zentrales Element im Prozess war das psychiatrische Gutachten. Der beauftragte Sachverständige kam zu dem Schluss, dass der Mann unter deutlichen kognitiven Einschränkungen litt und seine Handlungssteuerung „erheblich beeinträchtigt“ war. Diese Einschätzung führte zur rechtlichen Bewertung einer verminderten Schuldfähigkeit – ein Aspekt, der das Strafmaß entscheidend beeinflusste.
Warum wurde im Urteil „verminderte Steuerungsfähigkeit“ angenommen?
Nach Aussagen des Gutachters konnte der Angeklagte aufgrund seines Alters und gesundheitlichen Zustands die Tragweite seines Handelns nicht vollständig überblicken. Seine kognitiven Defizite und der psychische Druck durch die Pflegebelastung hätten die Fähigkeit zu rationalem Handeln stark eingeschränkt. Damit erfüllte der Fall die Voraussetzungen des §21 StGB (verminderte Schuldfähigkeit).
Hintergrund und Verlauf des Prozesses
Der Prozess begann im Sommer 2025 vor dem Schwurgericht in Potsdam. Schon zu Beginn zeigte sich, dass der Fall nicht nur juristisch, sondern auch emotional eine große Herausforderung darstellte. Der Angeklagte, selbst ehemaliger Jurist, bekannte sich zur Tat, rechtfertigte sie aber als „Akt der Liebe“.
„Ich wollte sie erlösen“, sagte der 91-Jährige während seiner Aussage. Er sprach ruhig, fast tonlos, und schilderte die Ehe als „harmonisch, aber vom Leid überschattet“. Seine Frau habe nach dem Schlaganfall kaum noch gesprochen und große Schmerzen gehabt. Nach eigenen Angaben habe er seit Wochen keinen Ausweg mehr gesehen.
Die Reaktionen im Gerichtssaal
Während der Verhandlung zeigte sich das Publikum gespalten. Einige Zuhörer reagierten mit Mitleid, andere mit Entsetzen. Die Staatsanwaltschaft betonte, dass auch ein Mitleidstötungs-Motiv kein Mord rechtfertige. „Das Recht schützt das Leben, auch wenn es leidvoll erscheint“, erklärte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Die Verteidigung hingegen forderte Milde, sprach von einer „Verzweiflungstat eines alten Mannes“ und plädierte auf Tötung auf Verlangen mit einer Haftstrafe von fünf Jahren.
Rechtliche Einordnung: Mord trotz Mitleid?
Juristisch war die Tat eindeutig ein Mord, da sie heimtückisch begangen wurde: Die Frau konnte sich nicht wehren und wurde im Schlaf angegriffen. Das Gericht stellte fest, dass der Täter seine Ehefrau bewusst überrascht und keine Gegenwehr zu erwarten hatte. Der Mordparagraf (§211 StGB) sah damit Anwendung – ungeachtet der Motivation des Täters.
Unterschied zwischen Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen
Delikt | Merkmale | Strafmaß |
---|---|---|
Mord (§211 StGB) | Heimtücke, niedrige Beweggründe, Grausamkeit | Lebenslange Freiheitsstrafe (Ausnahme bei verminderter Schuldfähigkeit) |
Totschlag (§212 StGB) | Tötung ohne Mordmerkmale | Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren |
Tötung auf Verlangen (§216 StGB) | Opfer verlangt ausdrücklich getötet zu werden | 6 Monate bis 5 Jahre |
Gesellschaftlicher Kontext: Gewalt im häuslichen Umfeld
Der Fall steht exemplarisch für ein gesellschaftliches Phänomen, das in Deutschland zunehmend thematisiert wird: häusliche Gewalt bis hin zu tödlichen Partnerschaftstaten. Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) wird in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau durch ihren (Ex-)Partner getötet. 2023 wurden laut Bundeslagebild über 360 Frauen Opfer tödlicher Gewalt.
Gewalt gegen Frauen: Ein unterschätztes Problem
Studien zeigen, dass Gewalt gegen Frauen häufig in bestehenden Beziehungen stattfindet – unabhängig von Alter, sozialem Status oder Bildung. Besonders alarmierend: Auch in der Altersgruppe über 70 Jahren nimmt die Zahl der registrierten Fälle zu. Der hier verhandelte Fall zeigt, dass Gewalt in Beziehungen nicht nur ein Thema jüngerer Generationen ist.
Statistische Übersicht (Deutschland, 2023)
- Getötete Frauen durch Partner oder Ex-Partner: ca. 360
- Gemeldete Fälle häuslicher Gewalt gegen Frauen: über 114.000
- Steigerung gegenüber 2015: +10%
Die Frage nach Prävention und Verantwortung
Wie kann verhindert werden, dass häusliche Gewalt bis zu solchen Eskalationen führt? Fachverbände fordern seit Jahren eine bessere Aufklärung und niedrigschwellige Hilfsangebote, auch für pflegende Angehörige. Denn oft sind es Überforderung, Isolation und fehlende Unterstützung, die zu tragischen Entscheidungen führen.
„Gewalt entsteht nicht im Moment, sondern wächst über Zeit“, sagt eine Expertin für häusliche Gewalt. Pflegebedürftigkeit und psychische Belastungen können vorhandene Spannungen verstärken – besonders, wenn soziale Kontrolle fehlt.
Gesundheitliche und psychologische Aspekte
Internationale Studien belegen, dass Gewalt in Partnerschaften auch unter älteren Paaren vorkommt, oft jedoch unerkannt bleibt. Besonders Frauen im hohen Alter erleben emotionale oder physische Gewalt, ohne diese jemals zu melden. Forschungen der Universität Erlangen und internationale Erhebungen (u. a. über Gesundheitsdatenanalysen) zeigen, dass Misshandlung älterer Frauen häufig mit Depressionen, Schmerzen oder Isolation einhergeht.
Gesellschaftlicher Umgang mit Alter und Schuld
Der Fall wirft grundlegende Fragen auf: Wie beurteilt man Schuld, wenn körperliche und geistige Grenzen überschritten sind? Und welche Verantwortung trägt eine Gesellschaft, wenn Menschen im hohen Alter mit extremen Belastungen konfrontiert werden? Das Urteil von Potsdam ist auch ein Signal an Politik und Pflegeeinrichtungen, stärker auf psychosoziale Betreuung älterer Paare zu achten.
Antworten auf häufige Fragen zum Fall
- Wie lautet das Strafmaß? → Sieben Jahre Haft.
- Wo und wann geschah die Tat? → Am 19. Mai 2025 in Rathenow.
- Ist das Urteil rechtskräftig? → Nein, es ist noch nicht rechtskräftig.
- Was sagte der Angeklagte? → Er habe seine Frau „erlösen“ wollen.
- Welche Rolle spielte sein Beruf? → Der Mann war früher Staatsanwalt.
Ein Urteil zwischen Recht und Mitgefühl
Mit dem Urteil hat das Landgericht Potsdam einen schwierigen Balanceakt vollzogen. Einerseits musste das Gericht die objektive Schwere der Tat würdigen, andererseits den psychischen und körperlichen Zustand des Angeklagten berücksichtigen. Sieben Jahre Haft – das ist kein Freispruch, aber auch kein klassisches Mordurteil. Es ist ein Urteil, das Mitgefühl und Recht in ein sensibles Verhältnis setzt.
Der Fall aus Brandenburg zeigt, dass die Grenzen zwischen Schuld, Verantwortung und Verzweiflung oft fließend sind. Er mahnt zugleich, wie wichtig Prävention, Betreuung und gesellschaftliche Achtsamkeit sind – besonders in Zeiten, in denen Überforderung und Einsamkeit zu stillen Gefahren werden.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der 91-Jährige befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft.