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Warnung vor gefährlichem Social-Media-Trend: Die „Paracetamol-Challenge“

In Aktuelles
Mai 28, 2025

Berlin, 28. Mai 2025, 09:00 Uhr

In sozialen Netzwerken kursiert seit einiger Zeit ein gefährlicher Trend, der insbesondere bei Jugendlichen zunehmend Beachtung findet: die sogenannte „Paracetamol-Challenge“. Dabei handelt es sich um eine riskante Mutprobe, bei der übermäßige Mengen des rezeptfrei erhältlichen Schmerzmittels Paracetamol eingenommen werden – meist mit dem Ziel, Aufmerksamkeit oder Anerkennung auf Plattformen wie TikTok zu erlangen.

Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe des Trends, erklärt medizinische Risiken, zeigt Reaktionen von Experten und Behörden weltweit und beleuchtet gesellschaftliche Aspekte, die zur Verbreitung solcher Challenges beitragen.

Was ist die Paracetamol-Challenge?

Unter dem Begriff „Paracetamol-Challenge“ versteht man die Aufforderung, eine möglichst hohe Dosis des Medikaments Paracetamol einzunehmen – häufig verbunden mit der Darstellung des Vorgangs oder der Folgen in sozialen Medien. Jugendliche und junge Erwachsene filmen sich dabei oder posten Berichte über die Einnahme, teilweise sogar mit dem Ziel, durch Krankenhausaufenthalte Aufmerksamkeit zu erzeugen.

In vielen Fällen scheint es nicht um eine direkte „Challenge“ mit klaren Regeln zu gehen, sondern um eine gefährliche Gruppendynamik, bei der Nachahmung und Sensationslust im Mittelpunkt stehen.

Paracetamol – Wirkung und Gefahren

Paracetamol ist ein weit verbreitetes Schmerz- und Fiebermittel, das bei korrekter Dosierung als sicher gilt. Doch schon geringe Überschreitungen der empfohlenen Tagesdosis können zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden führen.

Medizinische Risiken einer Überdosierung

Die Symptome einer Paracetamol-Vergiftung treten oft verzögert auf. Dies erhöht die Gefahr, da Betroffene zunächst keine Beschwerden verspüren und dadurch keine sofortige Hilfe suchen. Zu den größten Risiken zählen:

  • Leberversagen: Eine der häufigsten Folgen bei Überdosierung. In schweren Fällen droht ein irreversibler Leberschaden bis hin zum Organversagen.
  • Verzögerte Symptomatik: Erste Anzeichen wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen oder Gelbfärbung der Haut (Ikterus) treten meist erst 24–48 Stunden nach Einnahme auf.
  • Multiorganversagen: Neben der Leber können auch Nieren, Gehirn und Kreislaufsystem betroffen sein.

Besondere Risikofaktoren

Einige Faktoren erhöhen die Gefahr einer toxischen Wirkung von Paracetamol:

  • Chronischer Alkoholkonsum
  • Fasten oder Mangelernährung
  • Kombination mit anderen Medikamenten (z. B. Antiepileptika)

Verbreitung der Challenge: Internationales Phänomen

Der gefährliche Trend ist längst kein lokales Ereignis mehr. Verschiedene Länder in Europa haben erste Fälle gemeldet und warnen eindringlich vor den Folgen.

Deutschland

In Deutschland schlugen Apothekerverbände, Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheitseinrichtungen Alarm. Besonders alarmierend sei der Umstand, dass Paracetamol rezeptfrei in Apotheken erhältlich ist und somit einfach beschafft werden kann. Erste Schulen und Elterninitiativen organisieren Aufklärungsveranstaltungen.

Belgien

In Belgien gehört Paracetamol-Überdosierung inzwischen zu den zehn häufigsten Ursachen für Aufnahmen auf Kinderintensivstationen. Das Belgische Giftinformationszentrum warnte öffentlich und forderte eine verstärkte Medienkompetenz bei Jugendlichen.

Schweiz

In mehreren Kantonen der Schweiz – darunter Freiburg, Waadt und Jura – haben Behörden Warnhinweise herausgegeben. Apotheken wurden dazu aufgefordert, besonders bei der Abgabe an Jugendliche aufmerksam zu sein.

Osteuropäische Länder

Auch in Bulgarien, Nordmazedonien und Tschechien wurden Fälle bekannt. In Nordmazedonien warnte der Arzt Dr. Niko Beqarovski öffentlich, dass bereits 1–15 Tabletten gesundheitliche Schäden verursachen können, während Dosen von über 50 Tabletten meist tödlich verlaufen.

Existiert die Challenge wirklich?

Einige Stimmen bezweifeln, dass es sich bei der „Paracetamol-Challenge“ um einen großflächigen Trend handelt. So wird in manchen internationalen Medien darauf hingewiesen, dass es sich um eine Form „moralischer Panik“ handeln könnte. Auch TikTok selbst erklärte, keine systematische Verbreitung entsprechender Inhalte festgestellt zu haben. Dennoch sprechen die medizinisch dokumentierten Fälle für sich – ob sie nun aus Nachahmung, Gruppendruck oder Selbstdarstellungsdrang entstanden sind.

Einzelschicksale verdeutlichen die Gefahr

Besonders tragisch ist der Fall der 15-jährigen Alice Clark aus Großbritannien. Nach Aussagen ihrer Mutter war sie psychisch belastet durch schulischen Druck und negative Erfahrungen auf TikTok. Sie starb an einer Paracetamol-Überdosis. Die Familie fordert seither strengere Verkaufsrichtlinien und bessere Aufklärung über Online-Gefahren.

Reaktionen von Behörden und Gesellschaft

In vielen Ländern wird nun über strengere Verkaufsbedingungen diskutiert. Einige Beispiele:

LandRegulierung
GroßbritannienMaximal zwei Packungen pro Kauf im Einzelhandel
IrlandParacetamol nur in kleinen Packungsgrößen erhältlich
DeutschlandKeine gesetzliche Begrenzung, aber Apotheken können auf eigene Verantwortung regulieren

Was Eltern und Erziehungsberechtigte tun können

Die Verantwortung zur Prävention liegt nicht nur bei Behörden. Auch Familien, Schulen und das soziale Umfeld spielen eine zentrale Rolle. Experten empfehlen:

5 Maßnahmen zur Prävention

  1. Gespräche suchen: Aufklärung über gesundheitliche Risiken und Wirkung von Medikamenten sollte altersgerecht erfolgen.
  2. Medienkompetenz fördern: Kinder und Jugendliche sollten lernen, Online-Inhalte kritisch zu hinterfragen.
  3. Sichere Aufbewahrung: Medikamente sollten unzugänglich für Kinder gelagert werden.
  4. Warnsignale erkennen: Rückzug, depressive Stimmung oder auffällige Internetaktivität können Hinweise sein.
  5. Sofort handeln: Bei Verdacht auf Medikamenteneinnahme ohne medizinische Notwendigkeit ist eine ärztliche Abklärung unerlässlich.

Gesellschaftliche Verantwortung und Ausblick

Die Paracetamol-Challenge wirft einmal mehr die Frage auf, wie Jugendliche mit Selbstwert, Gruppenzwang und digitaler Selbstdarstellung umgehen. Sie zeigt auch die Notwendigkeit, Medikamente nicht nur als harmlose Alltagsprodukte zu betrachten, sondern als potenziell gefährliche Substanzen, die nicht leichtfertig konsumiert werden dürfen.

Auch die Plattformbetreiber stehen in der Verantwortung: Der Algorithmus, der Inhalte verbreitet, muss sensibler für riskante Trends werden. Gleichzeitig sollte die Gesellschaft nicht jeder Meldung unkritisch glauben – die Balance zwischen Prävention und Panikmache ist entscheidend.

Die „Paracetamol-Challenge“ ist ein alarmierendes Beispiel für die dunklen Seiten sozialer Netzwerke. Auch wenn nicht jeder Fall einer organisierten Challenge zuzuordnen ist, zeigen reale Überdosierungen und Todesfälle die Dringlichkeit des Problems.

Was bleibt, ist ein klarer Appell an Politik, Eltern, Bildungseinrichtungen und Medien: Nur durch gezielte Aufklärung, klare Regeln und den Aufbau von Medienkompetenz lässt sich verhindern, dass Jugendliche durch gefährliche Trends ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren.

Wenn aus einem harmlosen Medikament ein Mittel zur Selbstgefährdung wird, ist es Zeit zu handeln – gemeinsam, entschieden und vorbeugend.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.