
Die Bundesregierung hat angekündigt, Abschiebungen nach Afghanistan künftig regelmäßig durchzuführen. Bislang erfolgten Rückführungen nur sporadisch und vor allem bei schweren Straftätern. Nun deutet sich eine Wende an, die sowohl politisch als auch gesellschaftlich kontrovers diskutiert wird.
Hintergrund: Gespräche zwischen Deutschland und den Taliban
Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 galt Afghanistan offiziell als unsicheres Land, in das keine regulären Abschiebungen durchgeführt werden sollten. Dennoch hat Deutschland in den vergangenen Jahren mehrfach Sammelabschiebungen organisiert – teilweise über Drittstaaten wie Katar. Innenminister Alexander Dobrindt bestätigte inzwischen, dass es technische Gespräche mit den Taliban gibt, um einen geregelten Ablauf von Rückführungen zu ermöglichen. Dabei gehe es nicht um politische Anerkennung, sondern um praktische Fragen wie Flugverbindungen, Rücknahmeformalitäten und Sicherheitsprotokolle.
„Wir wollen regelmäßige Rückführungen sicherstellen“, betonte Dobrindt und wies darauf hin, dass vor allem ausreisepflichtige Personen ohne Aufenthaltsrecht betroffen seien. Die Bundesregierung möchte damit einen rechtlichen Auftrag umsetzen, der bislang nur lückenhaft erfüllt wurde.
Wie viele Afghanen sind in Deutschland ausreisepflichtig?
Eine häufig gestellte Frage lautet: Wie viele Afghanen in Deutschland sind ausreisepflichtig und wie viele davon haben eine Duldung? Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sind rund 11.423 afghanische Staatsangehörige derzeit ausreisepflichtig. Davon verfügen etwa 9.600 über eine sogenannte Duldung, was bedeutet, dass die Abschiebung zwar rechtlich angeordnet ist, aber aus praktischen oder humanitären Gründen ausgesetzt wird. Rund 1.800 Afghanen leben hingegen ohne gültige Duldung in Deutschland.
Politische Dimension und innenpolitische Debatte
Die Entscheidung der Bundesregierung fällt in eine aufgeheizte innenpolitische Debatte. Vor allem CDU/CSU-Politiker fordern schon länger, Abschiebungen nach Afghanistan nicht nur wieder aufzunehmen, sondern auch zu verstetigen. Kritiker aus der Opposition und von Menschenrechtsorganisationen sehen darin jedoch ein fatales Signal: „Wer jetzt Gespräche mit den Taliban führt, legitimiert ein Regime, das für Terror, Unterdrückung und massive Menschenrechtsverletzungen steht“, warnte der Grünen-Politiker Anton Hofreiter.
Auch internationale Organisationen wie Amnesty International und das UNO-Menschenrechtsbüro äußerten massive Bedenken. Sie sprechen von einer „völkerrechtswidrigen Praxis“, solange in Afghanistan Folter, Hinrichtungen und Repressionen zum Alltag gehören.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Eine weitere zentrale Frage lautet: Welche rechtlichen Bedenken gibt es gegen Abschiebungen nach Afghanistan? Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere Artikel 3, darf niemand in ein Land zurückgeschickt werden, in dem Folter oder unmenschliche Behandlung drohen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte betont deshalb, dass jeder Einzelfall genau geprüft werden muss. Ein generelles Verbot von Abschiebungen nach Afghanistan besteht zwar nicht, die Hürden sind jedoch hoch. Gerade für Frauen, Minderheiten und Oppositionelle gilt die Lage als besonders riskant.
Warum schiebt Deutschland wieder Straftäter ab?
Die Bundesregierung rechtfertigt die Wiederaufnahme von Rückführungen vor allem mit der Sicherheit in Deutschland. Warum schiebt Deutschland derzeit wieder Straftäter nach Afghanistan ab? – diese Frage bewegt viele Bürgerinnen und Bürger. Die Antwort lautet: Es handelt sich überwiegend um Personen, die schwere Straftaten begangen haben oder als Gefährder eingestuft wurden. In den jüngsten Sammelabschiebungen befanden sich zahlreiche Personen, die wegen Gewaltdelikten oder Drogendelikten verurteilt worden waren.
Die Politik betont, dass damit nicht unbescholtene Familien abgeschoben würden, sondern gezielt Personen, die das Sicherheitsgefühl in Deutschland erheblich beeinträchtigt hätten. Dennoch gibt es Kritik, dass auch bei Straftätern die Menschenrechte gewahrt bleiben müssen und die Bedingungen in Afghanistan keine sichere Rückkehr garantieren.
Humanitäre Bedenken und Kritik von NGOs
Organisationen wie Pro Asyl oder die Diakonie verweisen auf Studien, die das Schicksal abgeschobener Afghanen dokumentieren. Viele Betroffene berichten von extremer Unsicherheit, Armut, fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung und Bedrohungen durch Taliban oder rivalisierende Gruppen. Besonders Frauen sind von gravierenden Einschränkungen betroffen, da ihnen der Zugang zu Bildung und Arbeit nahezu vollständig verwehrt ist.
„Abschiebungen nach Afghanistan trotz bekannter Menschenrechtsverletzungen sind ein klarer Widerspruch zu den Menschenrechtszielen der Bundesregierung“, erklärte Pro Asyl. Damit werde ein politisches Signal gesetzt, das über die einzelnen Fälle hinausgeht.
Fragen rund um das Bundesaufnahmeprogramm
Während Deutschland auf der einen Seite Abschiebungen verstärken möchte, gibt es parallel ein Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan. Was ist das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan und wie funktioniert es?
Das Programm richtet sich an Ortskräfte, Frauenrechtlerinnen, Journalistinnen und andere gefährdete Gruppen. Sie können über ein Verfahren, das in Kooperation mit Nachbarstaaten wie Pakistan organisiert wird, eine Aufnahmezusage erhalten. Aufgrund von Bürokratie und Sicherheitsprüfungen verzögerten sich jedoch viele Ausreisen, was ebenfalls Kritik hervorrief.
Logistische Fragen: Linien- oder Sammelflüge?
Bislang wurden Rückführungen nach Afghanistan fast ausschließlich über Sammelflüge organisiert. Die neue Strategie sieht vor, auch Linienflüge einzubeziehen, um Abschiebungen flexibler und regelmäßiger gestalten zu können. Dafür sind enge Abstimmungen mit Fluggesellschaften notwendig. Denkbar ist auch, dass Deutschland Vertreter direkt nach Kabul entsendet, um die Abläufe zu begleiten.
Die Rolle der Taliban
Ein sensibles Thema ist die Zusammenarbeit mit den Taliban. Welche Rolle spielen die Taliban bei den Abschiebungen nach Afghanistan? Offiziell gibt es keine diplomatischen Beziehungen, lediglich technische Kontakte. Dennoch wird die Notwendigkeit solcher Absprachen kritisch gesehen. Für viele Beobachter stellt sich die Frage, ob solche Gespräche faktisch nicht doch eine Form von Anerkennung sind. Zugleich bleibt unklar, wie die Taliban abgeschobene Straftäter behandeln und ob diese in Haft genommen oder frei entlassen werden.
Internationale Perspektiven und EU-Diskussionen
Auch innerhalb der Europäischen Union sorgt das Thema für Diskussionen. In Foren wie Reddit wird häufig verglichen, wie andere Mitgliedstaaten mit afghanischen Migranten umgehen. Länder wie Frankreich und Österreich haben ähnliche Debatten, doch auch dort stehen rechtliche und menschenrechtliche Bedenken im Vordergrund. Eine einheitliche EU-Linie gibt es bislang nicht, sodass jedes Land eigene Wege sucht.
Wie sicher ist Afghanistan für Rückkehrer?
Ein entscheidender Aspekt lautet: Wie sicher ist es für Rückkehrer nach Afghanistan, insbesondere für Frauen und Minderheiten? Die Antworten darauf fallen ernüchternd aus. Berichte dokumentieren zahlreiche Fälle von Gewalt, Diskriminierung und extremer Not. Für Frauen sind Freiheiten nahezu abgeschafft, Mädchen dürfen vielerorts keine Schulen mehr besuchen, und berufliche Tätigkeiten sind stark eingeschränkt. Minderheiten wie Hazara oder Christen sind besonders gefährdet. Internationale Organisationen warnen deshalb, dass Rückkehrer ein hohes Risiko tragen.
Zahlen zu bisherigen Abschiebungen
Seit der Machtübernahme der Taliban wurden zwei größere Sammelabschiebungen aus Deutschland durchgeführt: 2024 mit 28 Personen und 2025 mit 81 Personen. Beide Flüge wurden über Leipzig abgewickelt. Insgesamt bleibt die Zahl der Rückführungen bislang gering im Vergleich zu den ausreisepflichtigen Afghanen. Mit der neuen Politik soll sich dies ändern.
Gesellschaftliche Reaktionen und Proteste
In sozialen Netzwerken wie Mastodon oder bei NGOs wie Seebrücke gibt es wachsenden Widerstand. Bürgerinitiativen organisieren Proteste gegen Sammelabschiebungen, oft parallel zu den Flugterminen. Die Kritik lautet, dass Rückführungen in ein Kriegs- und Krisenland unmenschlich seien und langfristig keine Lösung bieten.
Ein Aktivist formulierte es so: „Es ist beschämend, dass Deutschland in einem Land, in dem Frauen nicht einmal allein auf die Straße gehen dürfen, Menschen ohne Perspektive zurückschickt.“ Diese Stimmen zeigen, wie emotional das Thema in Teilen der Gesellschaft diskutiert wird.
Die Ankündigung, künftig regelmäßige Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen, markiert einen Wendepunkt in der deutschen Migrationspolitik. Zwischen rechtlichen Verpflichtungen, politischen Forderungen nach Sicherheit und dem Schutz von Menschenrechten bleibt die Lage hochkomplex. Die Zahlen verdeutlichen den Handlungsdruck, doch gleichzeitig werfen sie grundlegende Fragen auf: Wie lässt sich Rechtsstaatlichkeit mit humanitären Standards vereinbaren? Welche Folgen hat die Zusammenarbeit mit den Taliban? Und welche Alternativen gibt es zu einer Politik, die zwischen Härte und Schutzauftrag balancieren muss?
Fest steht: Das Thema „Abschiebungen nach Afghanistan“ wird Deutschland und Europa noch lange beschäftigen. Es geht nicht nur um einzelne Rückführungen, sondern um das Spannungsfeld zwischen Sicherheit, Humanität und internationaler Verantwortung. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die geplante Verstetigung von Abschiebungen politisch durchsetzbar ist – und welchen Preis Gesellschaft und Betroffene dafür zahlen müssen.