
17. Juni 2025, 06:00 Uhr
WhatsApp, der weltweit am meisten genutzte Messenger, wird ab sofort mit Werbung erweitert. Meta, der Mutterkonzern hinter WhatsApp, beginnt am 16. Juni 2025 damit, erstmals Anzeigen in der App zu schalten. Der Rollout markiert einen bedeutenden Paradigmenwechsel für eine Plattform, die bisher stets als werbefreier Raum galt. Die Maßnahme betrifft zunächst ausschließlich den sogenannten „Updates“-Tab, in dem sich Statusmeldungen und Kanäle befinden. Private Chats, Anrufe und Gruppennachrichten bleiben werbefrei.
Warum WhatsApp Werbung einführt
Mit rund drei Milliarden monatlich aktiven Nutzern, darunter etwa 200 Millionen Geschäftskonten, ist WhatsApp eine der größten Kommunikationsplattformen der Welt. Bisher blieb die App eine der letzten Meta-Dienste ohne integriertes Werbemodell. Das ändert sich nun.
Meta verfolgt mit der Werbeeinführung klare finanzielle Ziele: WhatsApp soll zu einem direkten Umsatzträger werden – nicht mehr nur indirekt über Business-Schnittstellen oder über Facebook und Instagram. Bereits die Ankündigung führte zu einem Kursanstieg der Meta-Aktie um rund 2,5 Prozent. Analysten sehen erhebliches Potenzial für Umsatz- und Gewinnwachstum.
Wo die Werbung auftaucht
Die ersten Anzeigen erscheinen ausschließlich im Updates-Bereich – konkret zwischen Statusmeldungen von Kontakten sowie innerhalb öffentlicher Kanäle. Dieser Bereich verzeichnet laut Meta täglich rund 1,5 Milliarden Zugriffe. Die Werbeplätze sind darauf ausgelegt, wie Status-Stories angezeigt zu werden – häufig im Bild- oder Videoformat mit optionaler Weiterleitung auf externe Inhalte.
Was Nutzer über das Targeting wissen müssen
Die Werbeanzeigen werden nicht vollkommen zufällig ausgespielt. Meta nutzt bestimmte Datenpunkte, um Anzeigen relevanter zu gestalten – jedoch mit Einschränkungen. Zum Einsatz kommen u. a.:
- Sprache der App
- Geografischer Standort des Nutzers
- Verwendete Geräteeinstellungen
- Aktivität im Updates-Tab
- Abonnierte Kanäle
Meta betont, dass keine Inhalte aus Chats, keine Telefonnummern und keine Informationen aus Gruppenchats für die Werbezwecke herangezogen werden. Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Nachrichten bleibe unberührt.
Ergänzende Monetarisierungsstrategien
Die Werbeeinführung ist Teil eines umfangreicheren Monetarisierungsplans. Zusätzlich werden sogenannte „Promoted Channels“ eingeführt. Dabei können Unternehmen gegen Bezahlung ihre Kanäle prominenter positionieren lassen.
Außerdem arbeitet Meta an bezahlten Kanal-Abos, bei denen Inhalte nur für zahlende Follower sichtbar sind. Kurzfristig will Meta auf eine Provision verzichten, langfristig ist jedoch ein Anteil von rund 10 Prozent der Einnahmen geplant.
Rechtliche Herausforderungen und Datenschutzkritik
Die Ausweitung kommerzieller Aktivitäten bringt Meta in Konflikt mit Datenschutzgesetzen – besonders in Europa. Die Datenschutz-NGO NOYB rund um Max Schrems kündigte bereits an, mögliche rechtliche Schritte gegen Meta zu prüfen. Der Grund: Zwar sei Werbung in einem nicht-privaten Bereich wie dem Updates-Tab rechtlich zulässig, problematisch wird es jedoch bei der Datennutzung.
In der Kritik steht insbesondere das Prinzip „Pay or Consent“ – Nutzer sollen entweder der Datennutzung zustimmen oder auf Premiumfunktionen verzichten. Dies widerspricht aus Sicht vieler Datenschützer der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und dem Digital Markets Act (DMA), die eine echte Wahlfreiheit vorschreiben.
Internationale Entwicklungen: Strafe in Indien
Während Europa prüft, ob die neuen Maßnahmen datenschutzkonform sind, ging Indien bereits einen Schritt weiter. Die indische Wettbewerbsbehörde belegte WhatsApp im November 2024 mit einer Strafe von 25,4 Millionen US-Dollar. Zusätzlich wurde dem Dienst verboten, Daten mit anderen Meta-Plattformen wie Facebook oder Instagram zu teilen – für einen Zeitraum von fünf Jahren. Damit stellt Indien faktisch eine eigene Datenschutzregulierung auf, die WhatsApp in seiner neuen Werbestrategie deutlich einschränken könnte.
Der Blick hinter die Kulissen: Nutzung von Metadaten
Obwohl Meta keine Inhalte aus Chats verwendet, spielt die Auswertung sogenannter Metadaten eine zentrale Rolle. Dabei handelt es sich um Daten wie:
- Uhrzeit und Dauer von App-Nutzung
- Interaktionen mit Statusmeldungen und Kanälen
- IP-Adressen und Geräteinformationen
Diese Informationen können detaillierte Nutzerprofile ermöglichen – auch ohne Zugriff auf konkrete Inhalte. Datenschützer warnen, dass selbst diese Form der Datennutzung Rückschlüsse auf Lebensgewohnheiten, Aufenthaltsorte oder soziale Netzwerke zulassen kann.
Diskriminierung durch Algorithmus: Die Gefahr des Bias
Ein bislang wenig beachteter Aspekt betrifft die Funktionsweise der Werbealgorithmen selbst. Studien zu anderen Meta-Plattformen wie Facebook zeigen, dass Algorithmen auch unbeabsichtigt diskriminieren können – etwa bei der Ausspielung von Jobanzeigen, die häufiger an Männer oder bestimmte ethnische Gruppen gingen.
Dieses sogenannte „algorithmische Bias“ könnte auch WhatsApp-Werbung betreffen. Das Unternehmen betont zwar seine Bemühungen um Fairness, bleibt jedoch eine transparente Offenlegung der Funktionslogik schuldig. Regulierer könnten auch hier zukünftig Nachbesserungen verlangen.
WhatsApp als Business-Plattform – ein ergänzender Baustein
Schon vor der Einführung der Werbung war WhatsApp ein wichtiger Bestandteil im Geschäftsportfolio von Meta. Über die Business-API konnten Unternehmen automatisierte Nachrichten an Kunden verschicken – z. B. Versandbenachrichtigungen, Buchungsbestätigungen oder Kundenservice.
Zusätzlich setzte Meta sogenannte „Click-to-WhatsApp“-Anzeigen ein, bei denen User über Werbung auf Facebook oder Instagram direkt in einen WhatsApp-Chat geleitet wurden. Die neuen Werbeflächen in WhatsApp selbst sind daher ein logischer nächster Schritt in der Weiterentwicklung dieses Modells.
Regionale Unterschiede: Werbung ist nicht gleich Werbung
Ein interessanter Aspekt sind die kulturellen und rechtlichen Unterschiede bei der Nutzung von WhatsApp. Während in Ländern wie Spanien (91 % Nutzung), Italien (90 %) oder Brasilien die App tief im Alltag verankert ist, ist das Nutzerverhalten in Deutschland oder Frankreich von höherem Datenschutzbewusstsein geprägt.
Diese Unterschiede könnten sich auf den Erfolg der Werbemaßnahmen auswirken. In stärker werbekritischen Ländern ist mit höherem Widerstand und geringerer Akzeptanz zu rechnen. In Märkten mit offenerer Haltung gegenüber digitaler Werbung könnten hingegen höhere Engagement-Raten erreicht werden.
Rückblick: Sicherheitsvorfälle wie Pegasus belasten Vertrauen
WhatsApp sah sich in der Vergangenheit bereits mit erheblichen Sicherheitsvorwürfen konfrontiert. Der Pegasus-Skandal 2019, bei dem durch eine Sicherheitslücke Überwachung durch staatliche Akteure möglich war, führte zu einem weltweiten Aufschrei und tiefem Vertrauensverlust.
Auch wenn solche Lücken inzwischen geschlossen wurden, bleibt der Vorfall im kollektiven Gedächtnis – insbesondere, wenn es nun um neue Formen der kommerziellen Nutzung und Datenauswertung geht.
Zwischen Werbeoffensive und Vertrauensbalance
Meta geht mit der Einführung von Werbung in WhatsApp einen bedeutenden Schritt zur Monetarisierung der Plattform. Für das Unternehmen bietet sich damit eine neue, milliardenschwere Einnahmequelle. Für Nutzer hingegen stellt sich die Frage, inwieweit sie bereit sind, die bislang werbefreie Umgebung gegen neue Anzeigenformate einzutauschen.
Die Umsetzung beschränkt sich vorerst auf den Updates-Bereich und wahrt nach Meta-Angaben die Privatsphäre von Chats. Dennoch rücken Metadatenanalyse, algorithmische Fairness und internationale Datenschutzvorgaben in den Fokus.
Ob sich WhatsApp langfristig auch im Werbesektor behaupten kann, hängt entscheidend davon ab, ob Meta das Vertrauen der Nutzer aufrechterhalten kann – und wie flexibel sich das Unternehmen an unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen weltweit anpasst.