
Berlin – Eine Idee sorgt für Aufsehen: Die Steuererklärung für Millionen angestellter Arbeitnehmer könnte bald Geschichte sein. Was zunächst wie ein utopisches Wunschdenken klingt, nimmt durch Vorschläge von Gewerkschaften, Experten und politischen Entscheidungsträgern konkrete Formen an. Doch was steckt dahinter, und für wen würde sich dadurch tatsächlich etwas ändern?
Die Steuererklärung in der Kritik – zu aufwendig, zu bürokratisch
Für viele Arbeitnehmer in Deutschland ist sie ein jährlich wiederkehrendes Ärgernis: die Steuererklärung. Trotz Steuersoftware und ELSTER empfinden Millionen den Vorgang als kompliziert, zeitaufwendig und mit unnötiger Bürokratie behaftet. In der Praxis führen selbst einfach strukturierte Erwerbsbiografien häufig zu Verunsicherung oder Verzögerungen bei der Abgabe – oftmals ohne zwingende Notwendigkeit. Ein wachsender Kreis von Experten, Steuergewerkschaften und digitalen Vordenkern sieht in diesem Zustand ein unnötiges Hindernis und fordert einen radikalen Wandel.
Was bedeutet die Abschaffung der Steuererklärung für Arbeitnehmer konkret?
Die zentrale Idee: Wer ausschließlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit bezieht – also klassisch angestellt ist – soll künftig keine aktive Steuererklärung mehr abgeben müssen. Alle notwendigen Daten liegen den Finanzbehörden ohnehin bereits durch Arbeitgebermeldungen, elektronische Lohnsteuerbescheinigungen und Sozialversicherungsdaten vor. Statt einer Pflicht zur Abgabe würde es eine Art automatisierte Veranlagung geben, bei der die Steuer automatisch berechnet und festgestellt wird.
„Weniger Formulare, mehr digitale Lösungen“, forderte die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG) kürzlich. Ein Vorschlag, der nicht nur auf offene Ohren bei Steuerzahlern trifft, sondern auch in den politischen Raum getragen wurde. Denn was für viele nach einer Vereinfachung klingt, könnte zugleich Personal in den überlasteten Finanzämtern entlasten und neue Ressourcen für komplexere Fälle freisetzen.
Wie funktioniert das in anderen Ländern?
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass die Idee längst Realität ist. In Estland, einem Vorreiter der digitalen Verwaltung, dauert die Steuererklärung für die meisten Bürger nur noch wenige Minuten – viele erhalten ihre vorausgefüllten Formulare direkt online, bestätigen sie und senden sie zurück. In Österreich wiederum erfolgt eine automatische Arbeitnehmerveranlagung für viele Steuerzahler, ohne dass sie aktiv tätig werden müssen.
Diese Systeme basieren auf einem hohen Maß an digitaler Integration: Behörden sind miteinander vernetzt, Daten werden in Echtzeit erfasst und übermittelt. Deutschland hinkt in dieser Hinsicht hinterher, könnte aber von diesen Beispielen lernen – das betont auch eine Expertenkommission zur bürgernahen Einkommensteuer, die konkrete Vorschläge für eine Umsetzung vorgelegt hat.
Welche Gruppen sollen von der Reform profitieren?
Im Fokus der Diskussion stehen besonders Angestellte mit einfachen Einkommensverhältnissen, etwa ohne Nebentätigkeit, Mieteinnahmen oder Kapitalgewinne. Auch Rentnerinnen und Rentner gehören zur Zielgruppe der Vereinfachung. Ihnen könnte durch eine automatisierte Quellenbesteuerung der Rentenkassen der Aufwand künftig ebenfalls erspart bleiben.
„Für Menschen mit unkomplizierten Lebensverhältnissen ergibt eine vereinfachte, automatisierte Steuerabwicklung absolut Sinn“, so Florian Köbler, Vorsitzender der DSTG. Es gehe darum, den Aufwand dort zu minimieren, wo er keinen echten Mehrwert bringe.
Welche Pauschalen sind im Gespräch?
Eine wichtige Grundlage der Reformidee ist die Ausweitung von Pauschalbeträgen. Statt einzelner Nachweise für Werbungskosten, Pendlerpauschale, Homeoffice oder Arbeitsmittel sollen künftig pauschale Beträge automatisch berücksichtigt werden. Die Rede ist von:
- einer Arbeitstagepauschale (z. B. 5–6 € pro Arbeitstag),
- einer erhöhten Werbungskostenpauschale,
- einer vereinfachten Geltendmachung haushaltsnaher Dienstleistungen,
- und der vollständigen Digitalisierung aller Datenquellen durch Verknüpfung mit der Steuer-ID.
Das bedeutet: Wer keine außergewöhnlichen oder überdurchschnittlichen Ausgaben hat, könnte ohne jede zusätzliche Eingabe korrekt veranlagt werden.
Wie viel Aufwand und Kosten könnten eingespart werden?
Eine Studie im Auftrag des Bundesfinanzministeriums hat ergeben, dass Rentner im Schnitt 149 € pro Steuererklärung ausgeben – inklusive Zeitaufwand und eventueller Hilfe durch Steuerberater. Hochgerechnet ergibt sich eine Entlastung von mehr als 800 Mio. € jährlich, allein für diese Gruppe. Für Millionen Arbeitnehmer dürfte der Betrag ähnlich hoch oder höher liegen, je nach Aufwand.
Personengruppe | Ø Aufwand/Steuererklärung | Gesamtkosten (jährlich, geschätzt) |
---|---|---|
Rentner | 149 € | ca. 867 Mio. € |
Arbeitnehmer (Angestellte) | ca. 180 € | über 1,5 Mrd. € |
Hinzu kommt: Auch die Finanzämter könnten stark entlastet werden. Weniger Erklärungen bedeuten weniger Prüfaufwand, weniger Kommunikation, geringeren Personalbedarf – und mehr Fokus auf komplexere Fälle, etwa Selbstständige oder Unternehmen.
Welche Kritikpunkte gibt es?
So attraktiv die Idee erscheint – es gibt auch kritische Stimmen. Der wohl häufigste Einwand lautet: Pauschalen schaffen zwar Übersichtlichkeit, doch sie sind nicht immer gerecht. Wer hohe berufsbedingte Ausgaben hat – etwa für Arbeitswege, Fortbildungen oder doppelte Haushaltsführung – könnte durch ein pauschaliertes System benachteiligt werden.
Außerdem wird auf mögliche „blinde Flecken“ hingewiesen: Was passiert, wenn ein Arbeitnehmer doch Nebeneinkünfte hat? Oder steuerlich relevante Besonderheiten wie Krankheitskosten oder Unterhaltszahlungen nicht berücksichtigt werden? Hier wäre ein System zur freiwilligen Ergänzung nötig – ohne Rückkehr zur alten Komplexität.
Was sagen Nutzer in sozialen Netzwerken und Foren?
In Foren wie Reddit oder auf Plattformen wie X (vormals Twitter) wird das Thema heiß diskutiert. Viele begrüßen die Idee einer automatischen Veranlagung: „Wieso muss ich mich durch zig Formulare quälen, wenn das Finanzamt eh alles weiß?“, fragt ein Nutzer. Andere sehen in der Steuererklärung einen lästigen, aber notwendigen Schritt zur Rückerstattung: „1500 € jedes Jahr zurück – die hol ich mir!“. Und wieder andere berichten offen, dass sie trotz möglicher Rückerstattung gar keine Steuererklärung machen – schlicht aus Faulheit oder Überforderung.
Ein Nutzer bringt es auf den Punkt: „Jeden Tag für 15 € die Stunde arbeiten? Klar. Aber sich drei Stunden für eine Rückzahlung von 600 € hinsetzen? Kein Bock.“ Solche Aussagen verdeutlichen: Die Bereitschaft zur aktiven Steueroptimierung sinkt mit der empfundenen Komplexität des Systems.
Gibt es bereits einen Zeitrahmen für die Umsetzung?
Konkrete Daten gibt es derzeit noch nicht. Der Vorschlag befindet sich in der politischen Diskussion, wird aber von vielen Seiten unterstützt. Der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung enthält bereits Hinweise auf geplante Vereinfachungen, Typisierungen und Pauschalisierungen im Steuerrecht. Die nächsten Jahre könnten entscheidend werden, insbesondere mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung der Verwaltung.
Was steckt hinter der öffentlichen Zustimmung – und was dahinter?
Abseits der rein administrativen Vorteile steckt auch eine tiefere Motivation hinter der Reformidee: Vertrauen schaffen. Die Steuerverwaltung soll für den Bürger einfacher, verständlicher und transparenter werden. Eine automatisierte Steuererklärung könnte dabei helfen, das Verhältnis zwischen Staat und Steuerzahler zu verbessern.
Gleichzeitig gibt es auch ideologische Stimmen, die einen noch radikaleren Umbau fordern – etwa die komplette Abschaffung der Einkommensteuer zugunsten eines Konsum- oder Transaktionsmodells. Diese Forderungen bleiben jedoch politisch marginal.
Wie könnte ein realistischer Mittelweg aussehen?
Eine „opt-out“-Lösung wäre denkbar: Steuerpflichtige erhalten einen automatisierten Steuerbescheid – haben jedoch die Möglichkeit, innerhalb einer Frist Ergänzungen oder Korrekturen vorzunehmen. So könnten Standardfälle automatisiert abgewickelt werden, ohne individuelle Nachteile in Kauf zu nehmen.
Schlussabsatz
Die Diskussion um die Abschaffung der klassischen Steuererklärung zeigt, wie sehr sich das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat im Wandel befindet. Während bisher das Prinzip galt: „Steuern sind Privatsache“, rückt nun ein Modell in den Vordergrund, das Effizienz, Vertrauen und Fairness miteinander verbinden will. Die technologische Infrastruktur, der politische Wille und die gesellschaftliche Akzeptanz scheinen vorhanden – nun liegt es an der Umsetzung. Ob am Ende tatsächlich Millionen Bürger keine Steuererklärung mehr abgeben müssen oder ob der Traum an der deutschen Bürokratie scheitert, wird sich zeigen. Sicher ist jedoch: Die Zukunft der Steuererklärung wird eine andere sein.