
Der rasante Aufstieg des chinesischen Online-Marktplatzes Temu sorgt in Europa zunehmend für Alarmstimmung. Verbraucherschützer, nationale Behörden und die EU-Kommission werfen der Plattform vor, unsichere und teils illegale Produkte zu vertreiben. Besonders in Tschechien und der Slowakei geraten die Billigangebote aus Fernost ins Visier der Aufsichtsbehörden – die EU prüft inzwischen weitreichende Konsequenzen.
Hintergrund: Warum Temu unter Beobachtung steht
Der Online-Marktplatz Temu, betrieben vom chinesischen Konzern PDD Holdings, hat in den vergangenen zwei Jahren in Europa einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Millionen Nutzer locken die Plattformangebote mit extrem niedrigen Preisen, Gratisversand und aggressiven Rabattaktionen. Doch dieser Erfolg hat eine Schattenseite: Eine Vielzahl der angebotenen Produkte entspricht nicht den europäischen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen.
Untersuchungen der European Consumer Organisation (BEUC) und nationaler Verbraucherzentralen zeigen, dass viele Artikel – darunter Spielzeuge, Kosmetika, Schmuck und elektronische Geräte – entweder falsch gekennzeichnet, unzureichend geprüft oder sogar gesundheitsgefährdend sind. BEUC spricht von einem „Einfallstor gefährlicher Produkte in Europa“ und kritisiert insbesondere die fehlende Transparenz der Plattform.
Verstöße gegen EU-Recht und der Digital Services Act
Die EU-Kommission leitete bereits im Herbst 2024 ein förmliches Verfahren gegen Temu ein. Der Verdacht: systematische Verstöße gegen den Digital Services Act (DSA). Dieser verpflichtet große Online-Plattformen, Risiken durch illegale oder unsichere Produkte aktiv zu erkennen und zu unterbinden. Nach Ansicht der Kommission unternimmt Temu jedoch zu wenig, um gefährliche Produkte zu stoppen oder Verbraucher vor Risiken zu warnen.
„Unsere Tests zeigen, dass ein Großteil der auf Temu angebotenen Artikel nicht den EU-Sicherheitsstandards entspricht“, so ein Sprecher der EU-Kommission. Auch der TÜV-Verband bestätigte, dass über 90 Prozent der überprüften Billigimporte aus Drittstaaten Verstöße gegen europäische Vorschriften aufwiesen. Besonders problematisch sei die mangelnde Rückverfolgbarkeit der Hersteller.
Regionale Warnungen: Tschechien und Slowakei reagieren
Die jüngsten Warnungen aus Tschechien und der Slowakei unterstreichen die Brisanz der Lage. In beiden Ländern mehren sich Berichte über irreführende Werbung, unzulässige Preisaktionen und sogar Verletzungen von Markenrechten. Tschechische Unternehmen werfen Temu vor, ihre Produktnamen und Logos ohne Zustimmung zu verwenden, um sich in Suchmaschinen besser zu positionieren.
Auch slowakische Verbraucherschützer warnen: Viele Artikel auf Temu seien weder CE-zertifiziert noch entsprächen sie den Sicherheitsvorgaben der EU. In einigen Fällen wurden Produkte entdeckt, die gesundheitsgefährdende Stoffe enthielten – etwa Kinderkleidung mit chemischen Rückständen oder elektronische Spielzeuge ohne Stromsicherungen.
Temu unter Druck: Nationale Behörden fordern Konsequenzen
In Prag fordern Verbraucherschutzverbände strengere Kontrollen bei Importen aus Drittländern. In Bratislava wird der Ruf nach einem EU-weiten Vorgehen lauter. Eine Sprecherin der slowakischen Marktaufsichtsbehörde erklärte: „Wir können die Flut von Kleinsendungen nicht mehr ausreichend kontrollieren. Ohne EU-weite Koordination bleibt der Verbraucher am Ende ungeschützt.“
Importflut und Kontrollproblem: Zahlen, die alarmieren
Allein im Jahr 2024 wurden laut einer Studie der European Commission rund 4,6 Milliarden Pakete unter 150 Euro in die EU importiert – ein Anstieg von über 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Etwa 91 Prozent dieser Sendungen kamen aus China. Die schiere Menge macht eine effektive Kontrolle fast unmöglich. Zollbeamte sprechen von einem „Nadel im Heuhaufen“-Problem: Nur ein Bruchteil der Waren kann überhaupt überprüft werden.
| Jahr | Anzahl Kleinsendungen in die EU | Herkunft China (in %) | 
|---|---|---|
| 2022 | 1,4 Mrd. | 87 % | 
| 2023 | 2,3 Mrd. | 89 % | 
| 2024 | 4,6 Mrd. | 91 % | 
Die EU erwägt nun, die Zollbefreiung für Sendungen unter 150 Euro abzuschaffen und eine Gebühr pro Paket einzuführen, um die Kosten der Kontrolle zu decken. Ziel ist es, Plattformen wie Temu stärker in die Verantwortung zu nehmen und die Marktüberwachung zu verbessern.
Neue Regeln: Plattformen sollen haften
Gemäß den neuen DSA-Bestimmungen könnten Online-Marktplätze künftig mit Geldbußen von bis zu sechs Prozent ihres weltweiten Umsatzes belegt werden, wenn sie unsichere Produkte zulassen. Temu wurde inzwischen offiziell als „Very Large Online Platform“ (VLOP) eingestuft und muss besondere Sorgfaltspflichten erfüllen – ähnlich wie Facebook oder Amazon.
Ein Insider aus EU-Kreisen betonte: „Es reicht nicht, sich hinter anonymen Händlern zu verstecken. Wer Millionen Nutzer in Europa hat, trägt auch Verantwortung für die Sicherheit der verkauften Produkte.“
Verbraucherfragen und praktische Tipps
Welche Risiken bestehen beim Kauf auf Temu?
Beim Einkauf über Temu besteht das Risiko, Produkte zu erhalten, die nicht den europäischen Sicherheitsstandards entsprechen. Häufig fehlen korrekte CE-Kennzeichnungen oder Sicherheitszertifikate. Verbraucher berichten zudem von gefährlichen Chemikalien in Kosmetika und minderwertiger Elektronik, die Überhitzungsgefahr birgt.
Wie unterscheidet sich die Haftung gegenüber europäischen Händlern?
Da Temu oft nur als Vermittler zwischen Käufern und Verkäufern aus Drittstaaten auftritt, gilt der Verbraucher rechtlich als Importeur. Das bedeutet: Im Schadensfall oder bei Rücksendungen ist die Rechtslage kompliziert, und EU-weit geltende Verbraucherschutzrechte greifen nur eingeschränkt. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte daher nur bei EU-ansässigen Händlern bestellen.
Wie können sich Verbraucher in Tschechien und der Slowakei schützen?
- Vor dem Kauf prüfen, ob das Produkt ein CE-Siegel trägt.
- Auf Hinweise zur Herkunft und Herstelleradresse achten.
- Verdächtig niedrige Preise kritisch hinterfragen.
- Nur mit Käuferschutz (z. B. über Kreditkarte oder PayPal) zahlen.
- Im Zweifel auf EU-Händler ausweichen.
Manipulative Verkaufspraktiken: „Dark Patterns“ auf Temu
Verbraucherschützer werfen Temu vor, gezielt manipulative Designmuster einzusetzen – sogenannte „Dark Patterns“. Dazu zählen künstliche Countdown-Timer, irreführende „Nur noch 3 Stück verfügbar“-Hinweise und übertriebene Rabattaktionen. Solche Tricks setzen Nutzer psychologisch unter Druck und verleiten zu überstürzten Käufen.
Auch tschechische Nutzer meldeten Fälle, in denen Bewertungen offensichtlich gefälscht oder automatisiert erstellt wurden. „Ich habe ein Produkt mit 5.000 positiven Rezensionen gekauft, das sich als minderwertig herausstellte“, berichtet eine Nutzerin auf Reddit. „Nach meiner negativen Bewertung war sie zwei Tage später verschwunden.“
Die Rolle sozialer Medien und öffentlicher Meinung
In sozialen Netzwerken wie Reddit und TikTok wird Temu zunehmend kontrovers diskutiert. Während manche Nutzer die günstigen Preise loben, berichten andere von defekten Produkten, fehlenden Rücksendemöglichkeiten oder gesundheitlichen Problemen nach der Nutzung bestimmter Artikel. In Fachkreisen auf LinkedIn fordern Compliance-Experten strengere Haftungsregeln und eine Kennzeichnungspflicht für Drittstaatenverkäufe.
Besonders in Bildungs- und Kindereinrichtungen wird über den Einsatz billiger Temu-Produkte gestritten. Pädagogen in Foren warnen davor, günstige Bastelmaterialien oder Spielzeuge ohne Herkunftsnachweis in Schulen zu verwenden – zu groß sei das Risiko toxikologischer Grenzwertüberschreitungen.
Politische und rechtliche Folgen für die Plattform
Der Druck auf Temu wächst. Die EU hat signalisiert, dass sie die Plattform bei weiteren Verstößen empfindlich bestrafen könnte. Zudem erwägen mehrere Mitgliedsstaaten, nationale Verkaufsverbote für bestimmte Produktkategorien zu verhängen. Auch die Abschaffung der Zollfreigrenze für Billigimporte steht im Raum, um die Wettbewerbsbedingungen für europäische Händler zu verbessern.
Reaktionen aus der Wirtschaft
Europäische Handelsverbände begrüßen die strengere Kontrolle. Sie argumentieren, dass Plattformen wie Temu und Shein durch die Umgehung von Steuern und Sicherheitsauflagen einen unfairen Wettbewerbsvorteil hätten. Ein Vertreter des tschechischen Einzelhandelsverbandes erklärte: „Wir können nicht mit Preisen konkurrieren, die auf Kosten der Verbrauchersicherheit entstehen.“
Temu selbst weist die Vorwürfe weitgehend zurück und verweist darauf, dass man „aktiv mit Behörden zusammenarbeite“ und bereits Maßnahmen zur Verbesserung der Produktsicherheit eingeleitet habe. Kritiker bemängeln jedoch, dass konkrete Fortschritte bislang kaum erkennbar seien.
EU plant weitere Schritte
Im Zuge des Digital Services Act plant die EU-Kommission zusätzliche Auflagen für große Marktplätze. Dazu gehört die Pflicht, risikobehaftete Produkte zu kennzeichnen, regelmäßige Audits durchzuführen und Behörden direkten Zugang zu Plattformdaten zu gewähren. Langfristig soll so verhindert werden, dass gefährliche Produkte überhaupt auf den Markt gelangen.
Marktentwicklung und Ausblick
Temu steht an einem Scheideweg: Entweder gelingt es dem Konzern, die EU-Standards konsequent umzusetzen und Vertrauen zurückzugewinnen – oder die Plattform riskiert empfindliche Sanktionen und mögliche Marktverluste in Europa. Angesichts der Dynamik des Onlinehandels ist die Debatte um Produktsicherheit längst nicht beendet, sondern erst am Anfang.
Ein neues Bewusstsein für Verantwortung im Onlinehandel
Die Auseinandersetzung um Temu zeigt deutlich, dass Europas Verbraucherpolitik an einem Wendepunkt steht. Millionen Pakete täglich, unklare Herkunftsländer und fehlende Prüfmechanismen machen die Regulierung zu einer Mammutaufgabe. Gleichzeitig fordern immer mehr Verbraucher Transparenz und Qualität statt reiner Schnäppchenjagd.
In Tschechien und der Slowakei hat die Debatte eine Signalwirkung: Beide Länder gelten nun als Vorreiter, wenn es darum geht, Missstände im Onlinehandel offen zu benennen. Sollte die EU ihre neuen Regulierungen konsequent durchsetzen, könnte das ein Meilenstein für den Verbraucherschutz in der digitalen Handelswelt werden – und ein Weckruf für Plattformen weltweit, Verantwortung zu übernehmen.
 
  
  
  
 
































