
Karlsruhe – Mitten im historischen Zentrum schließt eines der traditionsreichsten Wirtshäuser der Stadt seine Türen – und das ohne jede Vorwarnung. „Zum Kleinen Ketterer“, bekannt für badische Küche und authentisches Flair, ist Geschichte. Die Schließung markiert nicht nur das Ende eines Lokals, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf die Situation vieler Gastronomiebetriebe in Deutschland.
Ein handgeschriebener Abschied: Was über die Schließung bekannt ist
Am 8. Juli 2025 wurde die Schließung des beliebten Karlsruher Gasthauses „Zum Kleinen Ketterer“ erstmals öffentlich sichtbar – durch einen handgeschriebenen Zettel an der Eingangstür. Kein Social-Media-Beitrag, keine Pressemitteilung, kein offizielles Statement. Nur wenige Worte, die Gäste verabschiedeten und sich für die vielen gemeinsamen Jahre bedankten. Die gastronomische Öffentlichkeit reagierte überrascht, viele Stammgäste betroffen.
Warum hat das Traditionsgasthaus „Zum Kleinen Ketterer“ in Karlsruhe so plötzlich geschlossen? Offiziell gibt es keine Bestätigung. Branchenkenner vermuten jedoch bekannte Faktoren: wirtschaftlicher Druck, gestiegene Betriebskosten, Personalengpässe und möglicherweise auch ein auslaufender Pachtvertrag oder eine strategische Neuausrichtung. Doch nichts davon ist bislang bestätigt worden.
Ein Ort mit Geschichte – Denkmal, Treffpunkt, Institution
1790 bis 2025: Historie eines Wirtshauses
Das Gebäude, in dem sich das Gasthaus befand, ist ein kulturhistorisches Juwel. 1790 wurde es als „Zum König von Preußen“ erbaut, später zur „Alten Post“ erweitert. Seit fast 100 Jahren gehört es zur Brauerei Ketterer aus Pforzheim. Der traditionsreiche Familienbetrieb verlieh dem Lokal seinen heutigen Namen. 2007 wurde das Haus denkmalgerecht saniert und avancierte zu einem Vorzeigeobjekt Karlsruher Stadtgeschichte.
War der „Kleine Ketterer“ Teil eines denkmalgeschützten Gebäudes? Ja – das Eckhaus am Lidellplatz steht unter Denkmalschutz. Das verleiht dem Ort nicht nur historischen, sondern auch architektonischen Wert. Die Schließung wirft daher auch Fragen zur künftigen Nutzung und zum Erhalt dieses Kulturguts auf.
Besuch von Dostojewski und andere Anekdoten
Im Jahr 1867 soll sogar der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski während einer Europareise im Obergeschoss des Hauses genächtigt haben. Diese Anekdote untermauerte den besonderen Ruf des Lokals – es war mehr als ein Gasthaus, es war ein Ort mit Seele.
Die Bedeutung für die Karlsruher Gesellschaft
Ein Platz für Begegnung
„Nach der Berufsschule sind wir oft da eingekehrt. Schade, dass so etwas einfach verschwindet“, kommentierte ein Nutzer auf Facebook. Viele Stammgäste erinnerten sich in den sozialen Medien an persönliche Momente, Begegnungen und Feiern in dem Lokal.
Haben Stammgäste aus Karlsruhe über das Aus diskutiert? Ja, insbesondere auf Facebook und Tripadvisor fanden sich zahlreiche Stimmen. Die Bewertungen hoben nicht nur Küche und Service hervor, sondern betonten auch das gemütliche Ambiente, das vielen als Treffpunkt und Rückzugsort diente.
Teil der Stadtführungen und kulinarischen Routen
„Zum Kleinen Ketterer“ war nicht nur bei Einheimischen beliebt, sondern auch fester Bestandteil von kulinarischen Stadtführungen. Stattreisen Karlsruhe integrierte das Gasthaus in seine Tourangebote. Damit hatte das Lokal eine Brückenfunktion zwischen Alltag und Tourismus inne – ein seltenes Privileg für ein Wirtshaus.
Die Situation der Gastronomie in Karlsruhe und Deutschland
Ein Einzelfall? Keineswegs.
Innerhalb Karlsruhes reiht sich der „Kleine Ketterer“ ein in eine Serie unerwarteter Schließungen. Bereits Anfang 2025 traf es das Fine-Dining-Lokal „Erasmus“ sowie das gehobene Restaurant „Tawa Yama“ im Stadtteil Durlach. In beiden Fällen wurde auf wirtschaftliche Herausforderungen verwiesen – darunter gestiegene Energiepreise, geringere Gästezahlen durch Homeoffice und eine reduzierte Ausgehkultur nach Corona.
Gastronomiekrise in Zahlen
Die Branchenlage ist angespannt. Zwischen 2020 und 2023 haben bundesweit rund 48.000 gastronomische Betriebe dauerhaft geschlossen. Rund 13 % aller verbliebenen Lokale gelten als insolvenzgefährdet. Im Jahr 2023 stieg die Zahl der Insolvenzen um 27 % im Vergleich zum Vorjahr. Hauptursachen sind gestiegene Betriebskosten, Personalmangel, Inflation und die Rückkehr zur vollen Mehrwertsteuer auf Speisen.
Jahr | Schließungen deutschlandweit | Insolvenzrate |
---|---|---|
2020 | ca. 11.000 | 6 % |
2021 | ca. 12.500 | 8 % |
2022 | ca. 13.000 | 10 % |
2023 | ca. 11.500 | 13 % |
Digitale Präsenz und Marketingstrategien des Ketterer
Wie aktiv war das Lokal online – Instagram, Facebook, Webseiten? Sehr aktiv: Mit über 550 Followern auf Instagram und regelmäßig gepflegten Einblicken in Küche, Biergarten und Teamkommunikation war der Ketterer ein Vorbild für modernes Traditionsmarketing. Die Facebook-Seite betonte das bodenständige Konzept „ohne Firlefanz“, während der Webauftritt professionell gepflegt war.
Auch im Bereich Kundengewinnung zeigte sich das Gasthaus modern: Es war Teil von Gutscheinplattformen wie Atento und konnte so auch jüngeres Publikum ansprechen.
Was kommt nach dem „Kleinen Ketterer“?
Unklare Zukunft des Standorts
Wird es Ersatzlokale oder neue Nutzung für das Gebäude geben? Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine konkreten Informationen zur Nachnutzung. Auch die Brauerei Ketterer hat sich bislang nicht zur Zukunft des Standorts geäußert. Das Gebäude gehört weiterhin zu den geschützten Bauwerken der Stadt und wird unter strengen Auflagen stehen, was mögliche Umbauten oder neue Konzepte betrifft.
Chancen und Risiken für neue Betreiber
Ein potenzieller Nachfolger müsste sich nicht nur mit der hohen Erwartungshaltung der Stammkundschaft auseinandersetzen, sondern auch wirtschaftlich klug agieren. Die Lage in der Innenstadt ist zwar attraktiv, aber die Konkurrenz groß und die Herausforderungen – von Personalmangel bis Lieferkettenproblemen – weiterhin spürbar.
Ein Wirtshaus als Spiegel der Gesellschaft
Wurde das Haus historisch bedeutend – z. B. mit prominenten Gästen? Ja. Neben dem historischen Bauwerk und der vermuteten Übernachtung Dostojewskis war der Ketterer vor allem eines: ein Sinnbild dafür, wie ein gastronomischer Betrieb weit über kulinarische Leistungen hinauswirken kann. Als Ort der Begegnung, der Identität, des Alltags und des Genusses war er tief in der Stadt verwurzelt.
Der Verlust solcher Institutionen wiegt schwer – nicht nur für die Betreiber, sondern auch für Gäste, Nachbarschaft und Stadtbild. Die Gastronomie steht nicht nur wirtschaftlich unter Druck, sondern muss sich auch gesellschaftlich neu verorten. Wie wollen wir künftig essen gehen, feiern, genießen? Und welche Orte sollen dafür erhalten bleiben?
Ein Abschied mit offenen Fragen
Die Schließung des „Kleinen Ketterer“ mag überraschend gekommen sein, sie ist aber Teil eines größeren, stillen Wandels. Karlsruhe verliert mit ihm nicht nur ein Lokal, sondern ein Stück Alltagskultur. Die Gründe bleiben vorerst Spekulation – doch das Echo aus Bevölkerung und Netz zeigt, wie sehr ein solcher Ort fehlen kann.
Ob neue Betreiber das Erbe antreten werden, bleibt offen. Sicher ist: Wer gastronomisch in dieser Zeit überleben will, braucht mehr als gutes Essen. Es braucht ein durchdachtes Konzept, wirtschaftliche Belastbarkeit und eine klare Haltung zur eigenen Rolle im gesellschaftlichen Miteinander.
Vielleicht ist das der stille Auftrag, den der „Kleine Ketterer“ hinterlässt – über die bloße Gastronomie hinauszudenken. Als Zeichen dafür, wie wertvoll echte Orte der Begegnung sind – und wie sehr sie fehlen, wenn sie plötzlich verschwinden.