62 views 12 mins 0 Kommentare

Wie Hezbollah nach dem Krieg mit Israel seine Kräfte neu formiert

In Aktuelles
September 28, 2025

Beirut – Ein Jahr nach dem blutigen Krieg mit Israel steht Hezbollah vor einem Wendepunkt. Die Miliz hat schwere Verluste erlitten, Führungspersönlichkeiten verloren und militärische Strukturen eingebüßt. Dennoch arbeitet die Organisation daran, ihre politischen Netzwerke, militärischen Fähigkeiten und sozialen Strukturen neu aufzustellen. Experten und Beobachter analysieren nun, wie sich die schiitische Bewegung neu formiert – und welche Herausforderungen sie dabei zu meistern versucht.

Die Folgen des Krieges und der Verlust zentraler Führungsfiguren

Der Tod von Hassan Nasrallah und Hashem Safieddine

Der Krieg 2024/2025 markierte für Hezbollah einen tiefgreifenden Einschnitt. Am 27. September 2024 wurde Hassan Nasrallah, langjähriger Anführer der Bewegung, durch einen israelischen Luftschlag getötet. Nur kurz darauf kam auch sein designierter Nachfolger Hashem Safieddine ums Leben. Diese Schläge rissen ein machtpolitisches Vakuum auf und stellten die Organisation vor die schwierige Aufgabe, eine neue Führungsstruktur zu etablieren. Der Interimsführer Naim Qassem trat zwar an die Spitze, konnte aber bisher nicht die gleiche Autorität wie Nasrallah entwickeln.

Dezimierung von Infrastruktur und Kommandostrukturen

Die israelische Armee zielte im Krieg systematisch auf Kommandoposten, Munitionslager und Kommunikationszentralen. Schätzungen zufolge wurden bis zu 80 % des Raketenarsenals und 70 % der Drohnenkapazitäten zerstört. Mehr als 500 Stellungen und Waffenlager fielen Angriffen zum Opfer. Auch Versorgungsrouten über Syrien wurden geschwächt, da die Assad-Regierung ihren Rückzug aus bestimmten Regionen vorantrieb. Diese Verluste schränken die Schlagkraft der Miliz erheblich ein.

Neue Ansätze im militärischen Wiederaufbau

Verlagerung in das Bekaa-Tal

Während der Süden Libanons durch UNIFIL und libanesische Sicherheitskräfte strenger überwacht wird, orientiert sich Hezbollah zunehmend in das Bekaa-Tal. Dort lassen sich verdeckte Produktionsstätten und Ausbildungszentren leichter verbergen. Beobachter gehen davon aus, dass künftige militärische Aktivitäten eher dort als im Süden konzentriert werden. Dies birgt jedoch das Risiko fortgesetzter israelischer Luftangriffe, die gezielt gegen neue Produktionsstätten für Präzisionsraketen gerichtet sind.

Kleine, mobile Einheiten statt großer Strukturen

Hezbollah passt seine Taktik an: Statt großer, leicht zu ortender Einheiten setzt die Miliz auf kleinere Zellen, die unabhängig voneinander agieren können. Diese Form der Dezentralisierung erhöht die Überlebensfähigkeit in Zeiten intensiver Überwachung. Auch die Radwan-Einheit, die für Spezialoperationen zuständig ist, integriert sich zunehmend in zivile Strukturen, um unauffälliger agieren zu können.

Asymmetrische Kriegsführung als realistisches Szenario

Eine offene Konfrontation mit Israel gilt derzeit als unwahrscheinlich. Stattdessen bereitet sich Hezbollah offenbar darauf vor, auf asymmetrische Methoden zurückzugreifen: Sabotageakte, verdeckte Operationen und präzise, begrenzte Angriffe. Damit soll die Bewegung handlungsfähig bleiben, ohne in einen erneuten umfassenden Krieg verwickelt zu werden.

Finanzielle und externe Unterstützung

Iran als zentrale Stütze

Trotz intensiver internationaler Kontrollen bleibt Iran ein entscheidender Partner für Hezbollah. Über verdeckte Kanäle fließen weiterhin finanzielle Mittel und militärische Ressourcen. Berichte gehen von monatlichen Zuwendungen in Höhe von bis zu 60 Millionen US-Dollar aus. Zwar sind diese Gelder schwieriger zu transferieren, dennoch gelingt es dem Netzwerk, die Grundversorgung und militärische Aufrüstung zu sichern.

Legitimität durch soziale Dienste

Ein entscheidender Faktor für den innerlibanesischen Rückhalt ist das soziale Engagement von Hezbollah. Die Organisation betreibt Krankenhäuser, Schulen und bietet finanzielle Unterstützung für vom Krieg betroffene Familien. Im Dezember 2024 wurden beispielsweise Hilfsgelder in Millionenhöhe an Zivilisten ausgezahlt. Diese Maßnahmen stärken die Loyalität der schiitischen Basis, auch wenn es innerhalb der Bevölkerung zunehmend Stimmen gibt, die Reformen und eine Entwaffnung fordern.

Politische Strategie und gesellschaftliche Verankerung

Neupositionierung im Parlament

Hezbollah versucht, ihre Rolle im politischen System zu festigen. Über Allianzen im Parlament und durch die Betonung ihrer Rolle als „Verteidiger des Libanon“ strebt die Bewegung nach Einfluss, der über militärische Macht hinausgeht. Politische Vorschläge, die sich am Ta’if-Abkommen orientieren, dienen als Instrument, um Legitimität zu gewinnen und zugleich Kompromissbereitschaft zu signalisieren.

Zurückhaltung in regionalen Konflikten

Im Konflikt zwischen Iran und Israel agierte Hezbollah zuletzt auffällig zurückhaltend. Diese Zurückhaltung gilt als strategischer Schachzug, um nicht weitere Verluste zu riskieren und stattdessen diplomatische und politische Hebel zu stärken. Gleichwohl bleibt die Rhetorik gegenüber Israel aggressiv, um das Bild der Widerstandsbewegung aufrechtzuerhalten.

Der libanesische Plan zur Entwaffnung

Der „Homeland Shield Plan“

Die libanesische Regierung verabschiedete 2025 den sogenannten „Homeland Shield Plan“. Dieser Fünf-Phasen-Plan sieht die Entwaffnung aller Milizen vor, beginnend im Süden und anschließend im ganzen Land. Ziel ist es, der libanesischen Armee das Gewaltmonopol zu übertragen und internationale Hilfen an die Umsetzung dieser Strategie zu knüpfen. Hezbollah lehnt den Plan strikt ab und bezeichnet ihn als Instrument zur Schwächung der Widerstandsbewegung im Dienste Israels.

Reaktionen aus der Bevölkerung

Innerhalb der libanesischen Gesellschaft gibt es geteilte Reaktionen. Während Teile der Bevölkerung eine Entwaffnung als Voraussetzung für Stabilität sehen, befürchten andere, dass ein Machtvakuum entstehen könnte. In sozialen Medien und Foren spiegeln sich diese Spannungen wider: Viele User zeigen Skepsis gegenüber kurzfristiger Eskalation und erwarten, dass Hezbollah vor allem politisch und sozial agiert.

Neue Herausforderungen durch Cyber- und Lieferketten-Sabotage

Angriffe auf Kommunikationsmittel

Im Jahr 2025 erschütterten Berichte über gleichzeitig explodierende Handfunkgeräte und Pager die Organisation. Diese Vorfälle werden als Sabotageakte gewertet, die auf Cyber- und Lieferkettenmanipulation zurückzuführen sein könnten. Solche Angriffe unterminieren das Vertrauen in die eigenen Kommunikationsmittel und erhöhen die Unsicherheit innerhalb der Organisation.

Auswirkungen auf operative Sicherheit

Die Sabotage führte zu erhöhter Vorsicht bei der Nutzung technischer Geräte. Hezbollah muss nun stärker in operative Geheimhaltung investieren und neue Kommunikationsstrategien entwickeln, um weitere Verluste zu vermeiden. Dieser Aspekt zeigt, dass die Bedrohung nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in unsichtbaren digitalen Bereichen wächst.

Unterstützung und Widerstand in der Bevölkerung

Frage: Inwieweit hält die Basisunterstützung in Libanon trotz Kriegsfolgen an?

Trotz der massiven Zerstörung und hohen Opferzahlen bleibt der Rückhalt in vielen schiitischen Gemeinden stabil. Die soziale Infrastruktur von Hezbollah sichert Loyalität und bietet vielen Menschen lebenswichtige Hilfe. Gleichzeitig zeigen Umfragen und Diskussionen, dass Teile der Bevölkerung erschöpft sind und zunehmend Reformen fordern.

Frage: Kann Hezbollah ohne offene Kriegsführung Einfluss durch politische und diplomatische Mittel zurückgewinnen?

Die letzten Monate legen nahe, dass die Organisation genau diesen Weg beschreitet. Diplomatie, Kooperation mit politischen Partnern und die Bereitstellung von Sozialleistungen sind zentrale Bausteine. Eine direkte militärische Konfrontation würde derzeit die Erholungschancen gefährden.

Offene Fragen für die Zukunft

Militärische Schlagkraft

Ob es Hezbollah gelingt, verlorene militärische Kapazitäten wiederherzustellen, bleibt fraglich. Israel führt weiterhin gezielte Angriffe gegen mögliche Wiederaufbauprojekte. Damit bleibt die Fähigkeit zur direkten Konfrontation erheblich eingeschränkt.

Politische Anpassungsfähigkeit

Die politische Zukunft hängt davon ab, ob es gelingt, sich als unverzichtbarer Teil des libanesischen Systems zu präsentieren. Hier könnte die Balance zwischen kompromissbereiter Diplomatie und Widerstands-Rhetorik entscheidend werden.

Gesellschaftliche Legitimität

Langfristig wird entscheidend sein, ob Hezbollah die wachsende Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung adressieren kann. Soziale Programme können Bindungen festigen, doch der Ruf nach einem entwaffneten Libanon wird lauter.

Internationale Dimension

Auch die internationale Ebene spielt eine Rolle: Hilfen für den Wiederaufbau sind an Bedingungen geknüpft, die eine Schwächung der Miliz erzwingen sollen. Iran bleibt zwar ein stabiler Partner, doch internationale Isolation könnte die Handlungsspielräume einschränken.

Wie versucht Hezbollah nach der Niederlage neue militärische Kapazitäten im Bekaa-Tal aufzubauen?

Die Bewegung setzt offenbar auf kleinere, verdeckte Strukturen und versucht, dort Produktions- und Ausbildungskapazitäten zu etablieren. Gleichzeitig bleibt dieses Vorgehen riskant, da Israel diese Aktivitäten genau überwacht und regelmäßig mit gezielten Luftschlägen beantwortet.

Welche Rolle spielen Iran und externe Akteure beim Wiederaufbau?

Iran liefert nach wie vor finanzielle und militärische Unterstützung, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Auch andere regionale Akteure könnten indirekt beteiligt sein, doch bleibt Teheran der Hauptgarant für die Aufrechterhaltung der Organisation.

Schlussbetrachtung: Ein Balanceakt zwischen Wiederaufbau und Überleben

Hezbollah befindet sich nach dem Krieg mit Israel in einer Phase des Übergangs. Die Verluste an Führung und militärischer Stärke haben die Organisation nachhaltig getroffen. Gleichzeitig zeigt sie bemerkenswerte Resilienz: durch die Verlagerung in das Bekaa-Tal, die Dezentralisierung in kleinere Zellen, die Betonung sozialer Dienste und politische Neupositionierung. Doch die Herausforderungen sind erheblich – von gezielten israelischen Angriffen über Sabotageakte bis hin zu wachsendem Druck aus der libanesischen Gesellschaft und internationaler Politik. Der Balanceakt zwischen militärischem Wiederaufbau, politischer Legitimität und gesellschaftlichem Rückhalt wird über die Zukunft der Bewegung entscheiden. Der Ausgang bleibt offen, doch klar ist: Hezbollah wird ihren Platz in der libanesischen Realität behaupten wollen, auch wenn die Mittel und Methoden dafür im Wandel begriffen sind.

Avatar
Redaktion / Published posts: 2609

Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.