
Ein radikaler Reformvorschlag mit Signalwirkung
Der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat Ende Oktober ein Reformpapier vorgelegt, das es in sich hat. Unter anderem fordert der Verband, die kostenlose Familien-Mitversicherung von Ehepartnern ohne oder mit nur geringem Einkommen abzuschaffen. Künftig sollen diese Partner einen Mindestbeitrag von rund 220 Euro im Monat zahlen. Nach Berechnungen der Arbeitgeber würde das rund 2,8 Milliarden Euro Mehreinnahmen für die gesetzlichen Krankenkassen bringen.
Darüber hinaus sieht das Konzept weitere Maßnahmen vor: die Wiedereinführung einer sogenannten „Kontaktgebühr“ von zehn Euro pro Arztbesuch, eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Arznei- und Hilfsmittel auf sieben Prozent und eine stärkere Fokussierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf die reine Basissicherung. Laut BDA ließe sich so das Ausgabenvolumen der GKV um 30 bis 50 Milliarden Euro senken – genug, um die Beitragssätze für Arbeitgeber und Arbeitnehmer spürbar zu senken.
Hintergrund: Warum der Reformdruck steigt
Das deutsche Gesundheitssystem steht seit Jahren unter finanziellem Druck. Für 2026 prognostizieren Krankenkassen wie die Techniker Krankenkasse bereits eine erneute Beitragserhöhung um 0,3 Prozentpunkte, obwohl das Kabinett im Herbst ein Sparpaket beschlossen hat. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger argumentiert daher, dass strukturelle Reformen unvermeidlich seien, um den Anstieg der Lohnnebenkosten zu stoppen.
Die beitragsfreie Familienversicherung steht dabei besonders im Fokus. Aktuell können Ehepartner, die nicht oder nur geringfügig verdienen, kostenlos über den gesetzlich versicherten Partner mitversichert werden. Die Einkommensgrenze liegt 2025 bei 535 Euro im Monat (bei Minijobs 556 Euro). Überschreiten sie diese Grenze dauerhaft, müssen sie sich freiwillig versichern – mit Beiträgen von über 200 Euro monatlich.
Wer wäre von der Reform betroffen?
Laut Schätzungen der Krankenkassen wären Millionen Haushalte betroffen, sollte die beitragsfreie Mitversicherung entfallen. Besonders Familien, in denen ein Elternteil in Teilzeit arbeitet oder sich um Kinder kümmert, würden zusätzliche finanzielle Belastungen tragen müssen. Auch Rentner-Ehepaare, bei denen ein Partner kein oder nur geringes Einkommen bezieht, wären betroffen.
Frage: Kann mein Ehepartner kostenfrei über meine gesetzliche Krankenversicherung mitversichert werden?
Ja, derzeit ist das möglich – solange der Ehepartner nicht hauptberuflich selbstständig ist, keine eigene Versicherungspflicht besteht und das Einkommen unter den genannten Grenzen liegt. Diese Regelung ist eine der sozialpolitischen Säulen des deutschen Gesundheitssystems.
Arbeitgeber rechnen mit Milliarden-Entlastung
Nach Berechnungen des BDA könnten die Vorschläge die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung um bis zu zwei Prozentpunkte senken – von derzeit durchschnittlich 17,5 Prozent auf rund 15,5 Prozent. „Wir müssen das System effizienter machen, statt immer neue Schuldenberge aufzutürmen“, heißt es aus Arbeitgeberkreisen. Eine zusätzliche Maßnahme sei die Einführung einer Patientenquittung, die künftig digital in der elektronischen Patientenakte gespeichert werden soll, um Kosten transparenter zu machen.
Politische und gesellschaftliche Kritik
Kaum war der Vorschlag öffentlich, kam scharfer Gegenwind. Der CDU-Sozialflügel (CDA) bezeichnete die Forderung als „unanständig und unsolidarisch“. CDA-Chef Dennis Radtke sagte: „Gerade Familien in ohnehin angespannten Lebenssituationen würden getroffen.“ Auch Gewerkschaften sehen in dem Vorstoß einen Bruch des Solidaritätsprinzips. Ver.di warnte, die Reform würde die GKV in ein Zwei-Klassen-System verwandeln, in dem sich Wohlhabendere mehr leisten könnten, während sozial Schwächere benachteiligt würden.
Perspektive der Wissenschaft
Wissenschaftliche Analysen wie die des IGES Instituts oder der Bertelsmann Stiftung zeigen, dass die Familienversicherung durchaus ökonomische Fehlanreize setzt. Wenn Ehepartner kostenlos mitversichert sind, lohne es sich finanziell oft nicht, eine Teilzeit- oder Minijob-Tätigkeit aufzunehmen. Die Bertelsmann Stiftung hatte schon 2019 gefordert, die Regelung „grundlegend zu überdenken“. Sie argumentiert, dass die beitragsfreie Mitversicherung die Erwerbsbeteiligung von Frauen verringere und somit die wirtschaftliche Eigenständigkeit behindere.
Frage: Welche Ausschlusskriterien gibt es für die kostenlose Mitversicherung eines Ehepartners?
Nicht jeder Ehepartner kann kostenfrei mitversichert werden. Hauptberuflich Selbstständige, privat Versicherte oder Personen mit einem Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze sind ausgeschlossen. Auch wer selbst eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausübt, muss eigene Beiträge leisten.
Öffentliche Reaktionen in sozialen Medien
Auf Plattformen wie Reddit und in Diskussionsforen zeigen sich viele Menschen empört über die Pläne. Nutzer berichten von Unsicherheiten in der Antragspraxis und den komplizierten Regeln zur Familienversicherung. In einem Beitrag schreibt eine Nutzerin: „Ich bin verheiratet, arbeite im Minijob und weiß oft selbst nicht, ob ich noch mitversichert bin oder eigene Beiträge zahlen muss.“ Solche Aussagen verdeutlichen die Komplexität des Systems, das für Laien kaum durchschaubar ist.
In der Diskussion um die Arbeitgeberforderungen wird die Sorge laut, dass die Abschaffung der kostenlosen Mitversicherung zu einer stillen Kostenverlagerung auf die Familien führt. „Die Idee, dass Ehepartner künftig 220 Euro im Monat zahlen sollen, trifft gerade Haushalte mit Kindern hart“, heißt es in einem Kommentar. Die öffentliche Debatte zeigt, dass Reformbedarf zwar anerkannt wird – aber nicht auf Kosten der Schwächeren.
Frage: Wie wirkt sich eine mögliche Reform auf die Familienversicherung für Ehepartner aus?
Kommt es zur Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung, müssten Ehepartner mit geringem oder keinem Einkommen künftig einen Mindestbeitrag zahlen. Für viele Haushalte bedeutete das Mehrkosten von über 2.000 Euro im Jahr. Experten befürchten, dass dies vor allem traditionelle Einverdienerfamilien finanziell belastet.
Das Solidarprinzip unter Druck
Das Solidarprinzip bildet das Herzstück der gesetzlichen Krankenversicherung. Es besagt, dass Starke für Schwache einstehen – also Gutverdienende und Gesunde für Geringverdienende und Kranke. Kritiker der Arbeitgeberpläne sehen dieses Prinzip bedroht. „Ein Angriff auf das Solidarprinzip wäre inakzeptabel“, warnte die Gewerkschaft ver.di in einer Stellungnahme.
Demgegenüber argumentieren Befürworter, das System müsse gerechter und moderner werden. Viele Menschen lebten heute in Patchwork-Familien oder Partnerschaften ohne Trauschein, die von der beitragsfreien Regelung ohnehin nicht profitieren. Eine gezieltere, einkommensabhängige Lösung könne gerechter sein als die pauschale Mitversicherung von Ehepartnern.
Frage: Was passiert, wenn der Ehepartner die Einkommensgrenze überschreitet oder eine abhängige Beschäftigung aufnimmt?
Sobald die Einkommensgrenze überschritten wird oder eine versicherungspflichtige Tätigkeit besteht, endet die kostenlose Familienversicherung. Der Ehepartner muss sich dann selbst versichern – meist als freiwilliges Mitglied der GKV, was mit Kosten von über 200 Euro monatlich verbunden ist.
Ökonomische Argumente und soziale Realität
Die Arbeitgeber verweisen darauf, dass die beitragsfreie Mitversicherung jährlich Milliarden kostet und den Wettbewerb zwischen Erwerbstätigen verzerrt. Ökonomen wie die des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung weisen darauf hin, dass die Regelung Erwerbsanreize schwäche. In der Praxis jedoch sind es meist Mütter, die von der beitragsfreien Mitversicherung profitieren, weil sie sich um Kinder kümmern oder in Teilzeit arbeiten. Eine Abschaffung könnte also unbeabsichtigte soziale Folgen haben.
Nach Angaben der Krankenkassen sind derzeit mehrere Millionen Ehepartner beitragsfrei mitversichert. Eine Abschaffung der Regelung würde daher nicht nur finanzielle, sondern auch administrative Herausforderungen mit sich bringen. Krankenkassen müssten neue Beitragskonten einrichten und Einkommen prüfen – ein erheblicher Verwaltungsaufwand.
Frage: Bis zu welchem Einkommen darf der Ehepartner haben, damit die Familienversicherung greift?
Die Einkommensgrenze liegt derzeit bei 535 Euro monatlich, bei Minijobs bei 556 Euro. Wird diese Grenze regelmäßig überschritten, endet die kostenlose Mitversicherung automatisch.
Reformbedarf ja – aber mit Augenmaß
Die Diskussion zeigt: Eine Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist notwendig, um das System zukunftsfähig zu halten. Doch der Weg dorthin bleibt umstritten. Während Arbeitgeber finanzielle Entlastungen und Effizienzgewinne betonen, fordern Gewerkschaften und Sozialverbände den Erhalt solidarischer Elemente. Auch viele Politiker sehen in der Familienversicherung einen unverzichtbaren Bestandteil des sozialen Zusammenhalts.
Die Bundesregierung hat eine Expertenkommission eingesetzt, die bis Frühjahr 2026 Vorschläge für eine umfassende Reform erarbeiten soll. Ob die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern auf der Streichliste steht, ist noch offen. Sicher ist jedoch: Das Thema wird die politische Debatte noch lange prägen.
Ein mögliches Szenario für die Zukunft
Ein denkbares Reformmodell wäre eine einkommensabhängige Teilbeitragspflicht für Ehepartner. Wer kein oder nur sehr geringes Einkommen hat, könnte weiterhin entlastet werden, während Besserverdienende einen anteiligen Beitrag zahlen. Eine solche Lösung könnte das Solidarprinzip bewahren und zugleich die GKV-Einnahmen stabilisieren.
Abschließende Betrachtung: Ein Streit zwischen Gerechtigkeit und Solidarität
Die Auseinandersetzung um die Familien-Mitversicherung ist mehr als eine Frage der Finanzen – sie ist ein Spiegelbild der sozialen Balance in Deutschland. Auf der einen Seite steht das Ziel, das Gesundheitssystem finanziell zu entlasten und effizienter zu machen. Auf der anderen Seite steht der Anspruch, Solidarität und soziale Sicherheit zu bewahren. Ob und wie die Politik diesen Spagat schafft, wird zeigen, welchen Stellenwert Solidarität in der kommenden Gesundheitsreform wirklich hat.
 
  
  
  
 

































