17 views 9 mins 0 comments

Ab 1. Juli 2025 kostenlos nach Paris – was verbirgt sich hinter dem Gratis-Zugticket

In Aktuelles
Juni 24, 2025
Paris kostenlos

Die Vorstellung, kostenlos mit dem Zug nach Paris zu reisen, klingt für viele junge Menschen in Deutschland und Europa wie ein Versprechen aus einer besseren Zukunft. Tatsächlich verdichten sich die Möglichkeiten, 2025 mit geringen oder gar keinen Kosten von Deutschland aus nach Frankreich zu reisen – doch hinter der populären Schlagzeile steckt eine komplexe Mischung aus EU-Initiativen, regionalen Förderprogrammen, politischen Zielsetzungen und praktischen Hürden.

DiscoverEU – Das europäische Ticket für 18-Jährige

Im Zentrum der Debatte steht das europaweite Förderprogramm DiscoverEU, das sich gezielt an junge Erwachsene im Alter von 18 Jahren richtet. Wer zwischen dem 1. Juli 2006 und dem 30. Juni 2007 geboren wurde und die Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaats oder eines teilnehmenden Partnerlandes besitzt, kann sich bewerben. Die Auswahl erfolgt über ein Online-Quiz, bei dem grundlegende Fragen zur Europäischen Union beantwortet werden müssen.

Rund 36.000 kostenlose Interrail-Pässe werden im Rahmen der aktuellen Runde vergeben. Diese Tickets ermöglichen jungen Erwachsenen, zwischen dem 1. Juli 2025 und dem 30. September 2026 bis zu 30 Tage lang durch Europa zu reisen – in vielen Fällen auch nach Paris. Dabei sind sowohl Regionalverbindungen als auch Fernverkehrszüge inbegriffen, sofern sie durch den Interrail-Pass abgedeckt werden.

Die Bilanz seit 2018

Seit dem Start von DiscoverEU im Jahr 2018 haben sich rund 1,5 Millionen Jugendliche beworben. Insgesamt wurden bisher mehr als 355.000 Tickets vergeben. Die europäische Kommission sieht in der Initiative ein „Symbol europäischer Integration“ und investiert bis 2027 Mittel in Höhe von 700 Millionen Euro.

Doch trotz der beeindruckenden Zahlen ist der Zugang zum DiscoverEU-Programm auf eine sehr enge Zielgruppe begrenzt: Nur 18-Jährige dürfen sich bewerben – ältere oder jüngere Jugendliche sind ausgeschlossen. Zudem wird Kritik an der Auswahlmethode laut: Das Auswahlverfahren bevorzuge sozioökonomisch privilegierte Teilnehmer mit höherer Bildung und besserem Zugang zu Informationen.

Sommeraktion für junge Reisende unter 28 Jahren

Eine deutlich breitere Zielgruppe adressiert eine Sonderaktion im Sommer 2025, die von den Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gemeinsam mit der französischen Region Grand Est ins Leben gerufen wurde. Zielgruppe: Menschen unter 28 Jahren mit einem gültigen Deutschland-Ticket oder dem vergünstigten Deutschland-Jugendticket.

Inhaber dieser Tickets können während der Sommermonate kostenlos mit Regionalzügen über die deutsch-französische Grenze fahren – zum Beispiel von Karlsruhe nach Straßburg, von Saarbrücken nach Metz oder sogar in Richtung Paris über Umsteigeverbindungen. Wichtig: Die Aktion gilt ausschließlich für den Regionalverkehr (IRE, RE, RB, TER) – Schnellzüge wie ICE oder TGV sind ausgenommen.

Grenzüberschreitende Herausforderungen

Zwar erscheint die Maßnahme als symbolträchtige Erweiterung des Europa-Gedankens, doch sie ist nicht frei von Problemen. Berichte aus Online-Foren und sozialen Netzwerken zeigen, dass viele französische Zugbegleiter nicht ausreichend über das Angebot informiert sind. Das führt dazu, dass deutsche Jugendliche mit gültigem Ticket teilweise als Schwarzfahrer behandelt werden – mit Bußgeldern von bis zu 50 Euro.

„Ich hatte ein gültiges Deutschlandticket, aber der Kontrolleur wollte das nicht anerkennen. Ich musste trotzdem Strafe zahlen“, berichtet ein betroffener Student aus Freiburg.

Solche Zwischenfälle zeigen, dass die Umsetzung grenzüberschreitender Mobilitätsaktionen nicht nur vom politischen Willen, sondern auch von reibungsloser Kommunikation zwischen den Bahngesellschaften abhängt.

Paris für 19,99 Euro – Super-Sparpreis Europa

Unabhängig von staatlich geförderten Programmen bietet die Deutsche Bahn weiterhin den sogenannten Super-Sparpreis Europa an. Für Reisen von deutschen Großstädten wie Frankfurt, Stuttgart oder Mannheim nach Paris sind Tickets im Fernverkehr bereits ab 19,99 Euro erhältlich – Sitzplatzreservierung inklusive.

Allerdings gilt hier das Prinzip: Je früher die Buchung, desto günstiger der Preis. Kurzentschlossene zahlen schnell ein Vielfaches, zumal das Kontingent für günstige Tickets begrenzt ist.

Brexit und die Grenzen des europäischen Traums

Während Jugendliche aus den EU-Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern am DiscoverEU-Programm teilnehmen dürfen, sind britische Jugendliche seit dem Brexit ausgeschlossen. Für viele in Großbritannien ist dies ein schmerzlicher Verlust. Die Regierung in London zeigt bislang keine Bestrebungen, eine Rückkehr zur Teilnahme am Programm zu ermöglichen.

Dieser Ausschluss zeigt deutlich: Die Idee eines grenzenlosen Europas ist politisch fragil. Mobilität, einst Symbol der europäischen Freiheit, wird nun zur Verhandlungsmasse in geopolitischen Beziehungen.

Inklusion? Fehlanzeige bei Menschen mit Behinderung

Ein bislang wenig beachteter Aspekt ist die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Weder das DiscoverEU-Programm noch die Sommeraktionen der Bundesländer bieten spezifische Erleichterungen für Reisende mit besonderen Mobilitätsanforderungen. Der Inklusionsbericht des SALTO-YOUTH-Netzwerks (Dez. 2024) kritisiert, dass Maßnahmen zur Barrierefreiheit fehlen oder nur unzureichend kommuniziert werden.

Auch die DiscoverEU-Website stellt nur eingeschränkte Informationen zu rollstuhlgerechten Zügen, Assistenzdiensten oder barrierefreien Unterkünften bereit. Das widerspricht dem inklusiven Anspruch, den sich viele EU-Programme auf die Fahnen schreiben.

Ein politisches Projekt mit doppeltem Boden

Die Ursprünge von DiscoverEU reichen ins Jahr 2015 zurück. Damals forderten die Autoren Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer, jedem EU-Bürger zum 18. Geburtstag ein kostenloses Interrail-Ticket zu schenken. Die Idee wurde von der EU-Kommission 2018 aufgegriffen und als Pilotprojekt mit 12 Millionen Euro gestartet.

Doch der Vorschlag, das Programm auf alle 18-Jährigen in der EU auszuweiten, scheiterte am finanziellen Aufwand. Hochrechnungen gingen von bis zu 1,5 Milliarden Euro jährlich aus. Stattdessen wurde das Programm auf ein jährliches Bewerbungsverfahren mit begrenzten Kontingenten reduziert.

Kritiker bezeichnen das Projekt deshalb als Symbolpolitik. Befürworter hingegen sehen in DiscoverEU ein wertvolles Instrument, um junge Menschen in Kontakt mit der europäischen Idee zu bringen. In vielen Bewerberländern ist das Interrail-Ticket nicht nur ein symbolischer Gewinn, sondern auch eine realistische Reisechance, die sonst finanziell kaum möglich wäre.

Mobilitätsstrategie der EU

DiscoverEU ist kein Einzelfall, sondern Teil einer größeren EU-Strategie. Im Rahmen der Mobilitätsinitiative „Europe on the Move“ fördert die Europäische Kommission seit Jahren verschiedene Programme zur Förderung grenzüberschreitender Mobilität – von Erasmus+ bis hin zu Infrastrukturprojekten.

In aktuellen parteipolitischen Programmen – etwa bei der Europäischen Volkspartei (EVP) – wird die Jugendmobilität ausdrücklich als Mittel zur Stärkung der europäischen Identität und Wertegemeinschaft betont. Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing lobte die DiscoverEU-Initiative als „strategisch sinnvoll“ und betonte den Bildungsaspekt solcher Reisen.

Vergleich der aktuellen Optionen

ProgrammZielgruppeGültigkeitVerkehrsmittelKosten
DiscoverEU18-Jährige (EU)30 Tage (1.7.2025–30.9.2026)Interrail inkl. Fernverkehrkostenlos (nach Bewerbung)
Sommeraktion DE–FRunter 28-Jährige (mit D-Ticket)Juli–August 2025nur Regionalverkehrkostenlos
Super-Sparpreis Europaalle AltersgruppenganzjährigICE/TGVab 19,99 €

Fazit: Ein Schritt in die richtige Richtung – mit Stolpersteinen

Der Traum vom kostenlosen Zugticket nach Paris ist kein bloßes PR-Versprechen. Dank DiscoverEU und regionaler Initiativen wie der Sommeraktion in Süddeutschland und Grand Est existieren reale Möglichkeiten, zumindest für bestimmte Zielgruppen, tatsächlich kostenlos oder sehr günstig nach Frankreich zu reisen.

Allerdings offenbaren sich in der praktischen Umsetzung zahlreiche Stolpersteine: uninformierte Kontrolleure, fehlende Inklusionsmaßnahmen, begrenzte Zielgruppen und politische Ausschlüsse. Wer es schafft, diese Hürden zu überwinden, gewinnt nicht nur ein Ticket, sondern vielleicht auch ein Stück europäischer Erfahrung und Identität.

Paris wartet – für manche kostenlos, für andere zumindest erreichbar.

Avatar
Redaktion / Published posts: 1505

Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.