
Uchte (Niedersachsen), 25. Mai 2025, 09:00 Uhr
Mitten im Moor bei Uchte, zwischen dem niedersächsischen Landkreis Nienburg/Weser und der Landesgrenze zu Bremen, liegt ein Ort, der wie aus der Zeit gefallen scheint: Ein versteckter Autofriedhof, auf dem über drei Dutzend Oldtimer – stille Zeugen der Nachkriegszeit – langsam von der Natur zurückerobert werden. Was heute wie ein verlassenes Kunstprojekt wirkt, ist in Wahrheit ein Kapitel Automobilgeschichte, das tief im Moor konserviert und zugleich dem Verfall preisgegeben wird.
Ein Relikt aus den 1950er- und 1960er-Jahren
Die Geschichte dieses außergewöhnlichen Ortes reicht bis in die 1950er-Jahre zurück. Zu jener Zeit, als Deutschland in der Nachkriegszeit wirtschaftlich wieder aufblühte und der Besitz eines Autos zunehmend zum Symbol bürgerlichen Wohlstands wurde, begann ein Landwirt damit, alte und ausrangierte Fahrzeuge in einer abgelegenen Ecke seines Grundstücks abzustellen. Die Fahrzeuge – viele von ihnen Unfallwagen – wurden dort entsorgt, schlicht, weil es damals keine systematische Altmetall- oder Schrottverwertung gab.
Nach und nach wuchs die Zahl der dort abgestellten Autos. Heute stehen dort 37 Fahrzeuge, die in verschiedenen Stadien des Zerfalls langsam von Moos, Farnen und Birken überwuchert werden. Besonders auffällig sind Modelle wie der Ford Taunus, der Opel Rekord, der NSU Prinz und der VW Käfer – alles Klassiker der westdeutschen Autogeschichte. Auch ein Fiat Neckar sowie ein Opel-Olympia-Lieferwagen gehören zu den heute kaum noch erkennbaren Wracks.
Ein Ort zwischen Verfall und Bewahrung
Was zunächst wie Müll wirken könnte, hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem kulturellen Mahnmal und einer fotografischen Pilgerstätte entwickelt. Vor allem die Fotografen Ulrich Haufe und Clemens Kröner haben mit eindrucksvollen Aufnahmen den morbiden Charme dieses Ortes dokumentiert. Die rostenden Karosserien, eingerahmt von nebelverhangenem Schilf und dichtem Geäst, wirken dabei wie Szenen aus einem dystopischen Film.
Der Fotograf Haufe sagte in einem Interview: „Man spürt förmlich, wie sich Geschichte in diesen Wracks festgekrallt hat. Sie sprechen – nicht mit Worten, aber mit ihrer Patina.“
Einige der Fahrzeuge wurden mittlerweile geborgen und dem PS.Speicher in Einbeck, Europas größtem Oldtimer-Museum, übergeben. Darunter auch der erwähnte Fiat Neckar. Diese Rettungsaktionen markieren einen symbolischen Spagat zwischen Erhalt und Akzeptanz des natürlichen Verfalls.
Warum wurden die Fahrzeuge nie entfernt?
Ein Hauptgrund für die jahrzehntelange Untätigkeit liegt im Standort: Das Areal liegt in einem schwer zugänglichen Moorgebiet, das von dichter Vegetation und sumpfigem Untergrund durchzogen ist. Fahrzeuge oder schweres Gerät können das Gelände nur unter großem Aufwand und mit potenziellen Umweltschäden betreten. Zudem wurde der Ort nie offiziell registriert oder als Schrottplatz deklariert – eine juristische Grauzone, die über Jahrzehnte hinweg schlicht ignoriert wurde.
In den 1980er- und 1990er-Jahren erlosch das öffentliche Interesse weitgehend. Erst mit dem Aufkommen sozialer Medien und Urban-Exploring-Foren erlebte der Autofriedhof eine Renaissance. Heute wird der Standort allerdings bewusst nicht öffentlich kommuniziert, um Vandalismus und Souvenirjäger fernzuhalten.
Natürlicher Zerfall als Denkmal
Was von außen wie ein trauriger Ort des Verfalls erscheint, hat für viele Oldtimer-Fans und Historiker einen einzigartigen Wert. Die Fahrzeuge bilden eine Momentaufnahme der Automobilgeschichte – nicht glänzend poliert und in Museen verwahrt, sondern in ihrem natürlichen Sterbeprozess. Gerade dieser langsame Verfall in Symbiose mit der Natur wird als kraftvolle Metapher für Vergänglichkeit und Kreisläufe des Lebens verstanden.
Einige Umweltschützer kritisieren allerdings die Belastung durch Altölreste, Rostpartikel und Gummiteile, die möglicherweise ins Grundwasser sickern könnten. Bisher gibt es jedoch keine offiziellen Messungen oder Hinweise auf ökologische Gefahren durch den Autofriedhof.
Oldtimer in Deutschland – Zahlen und Fakten
Deutschland ist ein Land der Oldtimer-Liebhaber. Die Zulassungszahlen für Fahrzeuge mit H-Kennzeichen sind seit Jahren steigend:
Jahr | Anzahl H-Kennzeichen | Steigerung zum Vorjahr |
---|---|---|
2020 | 514.000 | +10,8 % |
2021 | 618.000 | +20,2 % |
2022 | 655.000 | +6,0 % |
2023 | 682.000 | +4,1 % |
Das wachsende Interesse an historischen Fahrzeugen erklärt auch, warum der versteckte Friedhof im Moor inzwischen mehr ist als nur ein Schrottplatz. Für viele Enthusiasten ist er ein authentischer Zeitzeuge, der Emotionen weckt, die ein Ausstellungsraum kaum hervorrufen kann.
Vergleichbare Orte in Europa
International gibt es ähnliche Plätze: In Schweden etwa verrottet im Wald von Bastnäs eine riesige Sammlung von über 100 Fahrzeugen. Auch in Belgien und Frankreich finden sich vergleichbare Autofriedhöfe, die teils gezielt als Touristenattraktionen erhalten werden. Doch der Ort bei Uchte unterscheidet sich durch seine Abgeschiedenheit und Authentizität – hier wurde nie inszeniert, nie geplant, sondern lediglich der Lauf der Dinge akzeptiert.
Die Zukunft des Autofriedhofs
Die Frage nach der Zukunft dieses ungewöhnlichen Ortes bleibt offen. Während einige der Ansicht sind, man solle die verbliebenen Wracks endgültig entfernen und das Gelände renaturieren, sprechen sich andere für einen gezielten Schutz aus – als Industriedenkmal oder Naturkunstwerk. Bislang hat jedoch weder die Kommune noch das Land Niedersachsen konkrete Pläne vorgelegt.
Ein Denkmalstatus wäre theoretisch möglich, ist aber wegen der privaten Eigentumsverhältnisse sowie fehlender infrastruktureller Voraussetzungen schwierig umzusetzen. Das Gelände ist zudem nicht öffentlich zugänglich, was einen langfristigen Erhalt unter musealen Gesichtspunkten erschwert.
Fazit: Zwischen Rost und Romantik
Der versteckte Autofriedhof im niedersächsischen Moor ist ein Ort voller Gegensätze: Er erzählt von Fortschritt und Verfall, von Wirtschaftswunder und Umweltbewusstsein, von Technik und Natur. Für die einen ist es bloß ein vergessener Schrottplatz, für andere ein Ort mit Seele, ein stilles Denkmal deutscher Nachkriegsgeschichte.
In einer Zeit, in der alles dokumentiert, konserviert und kuratiert wird, bietet dieser Platz eine rare Ausnahme: Hier wird Geschichte nicht inszeniert, sondern passiert einfach. Und genau das macht ihn so besonders.