38 views 11 mins 0 Kommentare

Hausärzte warnen vor neuer Kontaktgebühr bei Arztbesuchen

In Aktuelles
August 21, 2025

Die Diskussion um eine mögliche neue Kontaktgebühr für Arztbesuche sorgt bundesweit für Aufsehen. Arbeitgeberverbände fordern eine Gebühr pro Arztkontakt, um Kosten zu senken und sogenannte Mehrfachbesuche einzudämmen. Hausärzte, Patientenvertreter und Teile der Politik schlagen jedoch Alarm: Sie warnen vor unsozialen Folgen und verweisen auf die gescheiterte Praxisgebühr aus der Vergangenheit.

Ein Vorschlag entzündet die Debatte

Ausgelöst wurde die aktuelle Debatte durch eine Äußerung des Hauptgeschäftsführers der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter. In einem Interview betonte er, dass eine Gebühr bei jedem Arztbesuch helfen könne, die Kosten im Gesundheitssystem zu begrenzen und gleichzeitig „Ärzte-Hopping“ zu vermeiden. Damit ist gemeint, dass Patientinnen und Patienten für dieselbe gesundheitliche Beschwerde mehrere Arztpraxen aufsuchen, ohne klare Steuerung.

Doch schon kurz nach Bekanntwerden der Idee meldeten sich Hausärzte und Patientenvertreter zu Wort. Sie sprachen von einem „unsozialen und undurchdachten“ Vorstoß, der vor allem jene treffe, die ohnehin auf regelmäßige medizinische Betreuung angewiesen seien – chronisch Kranke und Menschen mit geringem Einkommen.

Wie funktioniert eine Kontaktgebühr?

Viele fragen sich derzeit: Was bedeutet Kontaktgebühr beim Arztbesuch? Der Begriff beschreibt eine feste Zahlung, die bei jedem einzelnen Arzttermin anfällt. Anders als die frühere Praxisgebühr, die von 2004 bis 2012 einmal pro Quartal erhoben wurde, wäre die Kontaktgebühr somit bei jedem Besuch fällig – auch bei Routine- oder Folgeterminen.

Gesundheitsökonomen brachten Summen von zehn bis fünfzehn Euro pro Besuch ins Gespräch. Diese könnten durch Deckelungen abgefedert werden, etwa über die bereits bestehende Belastungsgrenze bei Zuzahlungen (zwei Prozent des Bruttoeinkommens, für chronisch Kranke ein Prozent). Offen ist allerdings, ob und wie eine solche Gebühr technisch umgesetzt würde – beispielsweise über die elektronische Gesundheitskarte oder direkt in der Praxis.

Die Reaktionen der Hausärzte

Der Deutsche Hausärztinnen- und Hausärzteverband hat sich klar positioniert: Eine Kontaktgebühr lehne man entschieden ab. In einer Stellungnahme hieß es, die Idee sei nicht nur unsozial, sondern berge auch erhebliche gesundheitliche Risiken. „Patientinnen und Patienten würden Arztbesuche aufschieben, um Geld zu sparen – mit fatalen Folgen für Früherkennung und rechtzeitige Behandlung“, warnt die Verbandschefin.

Unterstützung erhält sie von Patientenschützern, die darauf hinweisen, dass eine zusätzliche Hürde im Gesundheitssystem besonders für Einkommensschwache eine Barriere darstellen würde. Schon heute zeigen Zahlen, dass Menschen mit geringem Einkommen häufiger auf notwendige Arztbesuche verzichten, wenn finanzielle Zusatzbelastungen entstehen.

Die Politik schaltet sich ein

Auch in der Politik blieb der Vorschlag nicht ohne Widerhall. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek bezeichnete die Kontaktgebühr als „den falschen Weg“. Insbesondere chronisch Kranke hätten zahlreiche Arzttermine, die sie nicht vermeiden könnten. Sie mit jeder Konsultation zusätzlich zu belasten, sei unfair und gesundheitspolitisch kontraproduktiv.

Auf Bundesebene ist bislang kein Gesetzesentwurf in Sicht. Dennoch zeigt die Debatte, wie angespannt die Lage in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist. Steigende Ausgaben für Arzneimittel, Personal und Digitalisierung sorgen für Defizite in Milliardenhöhe. Gleichzeitig verzeichnen Krankenkassen große Unterschiede bei den Zusatzbeiträgen, was Versicherte zunehmend zum Kassenwechsel bewegt.

Hintergrund: Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Die GKV steht seit Jahren unter Druck. Prognosen sprechen von Finanzierungslücken in Höhe von bis zu 47 Milliarden Euro. Zwar erzielten die Kassen im ersten Quartal 2025 noch einen Überschuss von 1,8 Milliarden Euro, doch diese Schwankungen verdeutlichen vor allem die Instabilität des Systems. Für Versicherte bedeutete dies zuletzt steigende Zusatzbeiträge – in vielen Kassen über 2,5 Prozent.

Die Frage lautet also: Wer fordert Kontaktgebühr und wieso? Vor allem Arbeitgeber sehen darin einen Weg, die Ausgaben zu steuern. Sie argumentieren, dass durch eine kleine Eigenbeteiligung Bagatellbesuche reduziert würden und die GKV langfristig entlastet werde. Kritiker entgegnen jedoch, dass finanzielle Hürden nicht zwischen „unnötigen“ und „wichtigen“ Arztterminen unterscheiden können.

Ein Blick zurück: Die Praxisgebühr

Deutschland hat mit der Praxisgebühr bereits Erfahrungen gesammelt. Von 2004 bis 2012 zahlten Patientinnen und Patienten zehn Euro pro Quartal, wenn sie ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen. Ziel war ebenfalls, die Zahl der Arztkontakte zu verringern und die Steuerung zu verbessern.

Doch Evaluierungen zeigten schnell: Die Praxisgebühr war bürokratisch, unpopulär und hatte nur geringe Steuerungseffekte. Zwar gingen Bagatellkontakte zurück, gleichzeitig verzichteten aber auch Menschen auf notwendige Arztbesuche. Diese negative Wirkung führte schließlich dazu, dass die Gebühr 2013 abgeschafft wurde. Kritiker sprechen deshalb heute von einer „Praxisgebühr 2.0“.

Statistiken: Deutschland im Vergleich

Deutschland gilt im internationalen Vergleich als Land mit besonders vielen Arztkontakten. Laut OECD lag der Durchschnitt 2022 bei rund 9,6 Besuchen pro Person, während der EU-Schnitt deutlich darunter liegt. Andere Studien schätzen die Zahl sogar auf bis zu 16 Kontakte pro Jahr, wenn auch mit methodischen Unterschieden.

Zum Vergleich: In skandinavischen Ländern liegt die Zahl wesentlich niedriger – nicht zuletzt, weil dort ein striktes Gatekeeping-System gilt, bei dem der Hausarzt als erste Anlaufstelle vorgeschrieben ist. Wer direkt zum Facharzt will, benötigt dort eine Überweisung.

Alternativen zur Kontaktgebühr

In sozialen Netzwerken und Foren werden verschiedene Alternativen diskutiert. Viele Nutzer verweisen auf eine flächendeckende digitale Terminvergabe über Plattformen wie Doctolib, die das System effizienter machen könnte. Andere schlagen sogenannte No-Show-Gebühren vor – Zahlungen für nicht wahrgenommene Termine. Diese würden gezielt jene betreffen, die Ressourcen verschwenden, anstatt alle Patientinnen und Patienten gleichermaßen zu belasten.

Auch die Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems steht im Raum. Damit würde der Hausarzt wieder stärker in die Rolle des Lotsen rücken und Patientenströme gezielter lenken. Dieses Modell wird von Befürwortern als effektiver angesehen, weil es keine finanziellen Barrieren aufbaut, sondern organisatorische Steuerung nutzt.

Offene Fragen und Szenarien

Angesichts der aktuellen Diskussion stellen sich viele konkrete Fragen:

  • Wird die Kontaktgebühr eingeführt? – Noch ist alles offen. Der Vorschlag ist Teil einer politischen Debatte, ein Gesetz liegt nicht vor.
  • Wie hoch könnte eine Kontaktgebühr sein? – Diskutiert werden zehn bis fünfzehn Euro pro Besuch, mit Deckelungen für sozial Schwächere.
  • Welche negativen Folgen hatte die Praxisgebühr früher? – Studien belegen, dass Menschen Arztbesuche verzögerten oder ganz vermieden, was teils zu gesundheitlichen Verschlechterungen führte.

Stimmen aus den sozialen Medien

Auf Plattformen wie X (Twitter) wird die Debatte unter den Hashtags #Kontaktgebühr und #Praxisgebühr heftig geführt. Viele Nutzer warnen vor einer Wiederholung der Fehler der Vergangenheit und teilen persönliche Erfahrungen: von verschobenen Arztbesuchen über Ärger mit Bürokratie bis hin zu der Angst, dass gerade chronisch Kranke finanziell an ihre Grenzen stoßen könnten.

In Foren wie r/Finanzen diskutieren Nutzer offen über die steigenden Zusatzbeiträge ihrer Krankenkassen und die Frage, ob eine zusätzliche Gebühr das System stabilisieren oder die Versicherten weiter belasten würde. Der Tenor ist eindeutig: Die Zahlungsbereitschaft ist niedrig, die Skepsis hoch.

Internationale Perspektiven

Andere Länder zeigen, dass Kostenbeteiligungen sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können. In Schweden etwa zahlen Patientinnen und Patienten moderate Gebühren, die sozial abgefedert sind. In den USA belegte das bekannte RAND-Experiment bereits in den 1970er-Jahren, dass Kostenbeteiligungen zwar die Zahl der Arztkontakte senken, dabei aber keinen Unterschied zwischen notwendigen und unnötigen Behandlungen machen – mit teils negativen gesundheitlichen Folgen.

Die Idee einer Kontaktgebühr entzündet eine der wichtigsten Debatten im deutschen Gesundheitssystem seit Jahren. Befürworter sehen darin ein Steuerungsinstrument und einen Beitrag zur Finanzierung, Gegner eine soziale Hürde mit riskanten Folgen. Die Erinnerung an die Praxisgebühr ist noch frisch und prägt das Misstrauen vieler Menschen. Klar ist: Deutschland hat ein überdurchschnittlich hohes Aufkommen an Arztkontakten, doch die Lösung der Probleme wird nicht allein durch Gebühren gefunden werden.

Ob am Ende eine Kontaktgebühr, ein gestärktes Primärarztsystem, digitale Terminlösungen oder andere Maßnahmen umgesetzt werden, ist noch unklar. Die Diskussion zeigt aber bereits jetzt, dass es um mehr geht als nur um Geld – es geht um die Balance zwischen Solidarität, Effizienz und Zugänglichkeit im Gesundheitswesen. Wie Deutschland diese Balance findet, wird die kommenden Jahre maßgeblich prägen.

Avatar
Redaktion / Published posts: 2115

Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.