
19. Juni 2025, 14:00 Uhr
Die einst als technologisches Traumpaar gefeierte Partnerschaft zwischen OpenAI und Microsoft steht offenbar vor einem historischen Bruch. Hinter den Kulissen brodelt es gewaltig: Streit über die Kontrolle von geistigem Eigentum, strategische Differenzen beim Aufbau globaler KI-Infrastruktur und wachsende Machtambitionen auf beiden Seiten haben ein Zerwürfnis ausgelöst, das weitreichende Folgen für die gesamte KI-Branche haben könnte.
Ein Pakt mit Milliardenvolumen – und wachsendem Misstrauen
Seit Microsofts Einstieg mit einer Gesamtinvestition von über 13 Milliarden US-Dollar galt das Unternehmen als exklusiver Technologiepartner von OpenAI. Azure stellte die Cloud-Ressourcen, Microsoft integrierte ChatGPT-Technologien in Produkte wie Copilot und Teams, und beide Seiten profitierten. Doch hinter dieser Fassade hat sich ein Riss aufgetan.
Im Zentrum der Spannungen steht die Umwandlung OpenAIs von einer Non-Profit-Struktur zu einer sogenannten “Public Benefit Corporation”. Damit möchte OpenAI künftig offener für externe Investoren sein, unter anderem für Großprojekte wie das 100-Milliarden-Dollar-Infrastrukturvorhaben „Stargate“, das gemeinsam mit SoftBank und Oracle aufgesetzt wurde. Doch dafür braucht OpenAI Microsofts Zustimmung – und die scheint mehr als fraglich.
Microsofts Skepsis: Strategien, Beteiligung, Kontrolle
Microsoft zeigt sich zunehmend zurückhaltend. Insbesondere ein Vorschlag OpenAIs, Microsoft künftig eine Beteiligung von nur 33 Prozent anzubieten – statt der bisherigen profitbasierten Rückvergütungen –, wird intern in Redmond als unzureichend bewertet. Microsoft will keinen festen Anteil, sondern weiterhin dynamisch an Gewinnen beteiligt sein.
Der Streit eskalierte jüngst mit dem Versuch OpenAIs, das KI-Startup „Windsurf“ für rund 3 Milliarden US-Dollar zu übernehmen. Microsoft beanspruchte Zugriff auf das entstehende geistige Eigentum – was OpenAI als strategische Bevormundung deutete und zu blockieren versuchte. Der Konflikt um IP-Rechte entwickelte sich zum Prüfstein der Beziehung.
Die „nukleare Option“ – Antitrust und Eskalation
OpenAI-Führungskräfte erwägen offenbar, regulatorischen Druck auf Microsoft auszuüben. Diskutiert wird laut interner Quellen die Einleitung einer Antitrust-Kampagne gegen den Tech-Giganten. Ziel: Eine Prüfung durch Aufsichtsbehörden, ob Microsoft seine dominierende Stellung im KI-Sektor missbraucht. Sollte dieser Schritt umgesetzt werden, wäre das Verhältnis beider Unternehmen schwer beschädigt – mit potenziellen Auswirkungen auf den gesamten Markt.
„OpenAI versucht sich zu emanzipieren. Microsoft wiederum will nicht riskieren, die Kontrolle über eine der wertvollsten Partnerschaften der Tech-Geschichte zu verlieren.“
Cloud, Chips, Kontrolle – OpenAIs Diversifikationskurs
Während Microsoft zunehmend auf seine bestehenden Verträge (gültig bis mindestens 2030) pocht, verfolgt OpenAI den Kurs der Unabhängigkeit. Bereits jetzt werden alternative Infrastrukturen aufgebaut: Das Projekt Stargate soll OpenAI Zugang zu eigener Cloud-Power verschaffen – unabhängig von Microsoft Azure.
Oracle ist bereits als Cloud-Partner an Bord, auch Gespräche mit Google laufen. Ziel ist es, künftig KI-Trainings und Deployments auf mehreren Plattformen auszuführen – eine klare Abkehr von der bisherigen Monostruktur.
Stargate: Megaprojekt mit Risiken
Das Stargate-Vorhaben sieht den Aufbau eines Netzwerks aus Rechenzentren vor, das langfristig ein Volumen von bis zu 500 Milliarden Dollar erreichen könnte. Doch nicht alle Experten sind überzeugt: Kritiker verweisen auf massive Energieanforderungen, fragile Lieferketten – vor allem rund um spezialisierte KI-Chips aus Taiwan – sowie auf infrastrukturelle Unsicherheiten.
Hinzu kommen finanzielle Herausforderungen: Zwar sollen SoftBank und Oracle das Vorhaben unterstützen, doch ein zu starkes Engagement könnte etwa bei SoftBank sogar zu Bonitätsherabstufungen führen.
Technologische Neuausrichtung und neue Protokolle
Ein weiterer Hebel, den OpenAI nutzt, ist das sogenannte Model Context Protocol (MCP). Dieses neue Framework erlaubt es, KI-Modelle flexibel zwischen Plattformen zu orchestrieren. Auch Microsoft ist hier zwar beteiligt, doch langfristig könnte MCP OpenAI strategisch aus der Abhängigkeit lösen.
Damit entwickelt sich ein neues digitales Ökosystem: Statt eines dominanten Technologiepartners (Microsoft) können künftig unterschiedliche Anbieter interoperabel angebunden werden. Das stärkt OpenAIs Position – und schwächt gleichzeitig die bisherige Plattformbindung an Azure.
Interner Wettbewerb – Talent, Know-how, Kontrolle
Die Spannungen zeigen sich auch im Kampf um Talente. OpenAI hat ein neues Büro in Bellevue, nur wenige Kilometer vom Microsoft-Hauptsitz entfernt, eröffnet – ein klares Signal: Es geht um Personal, Wissen und Einfluss. Microsoft wiederum stockt eigene KI-Abteilungen auf, insbesondere durch die Abwerbung von Schlüsselpersonen bei DeepMind und Inflection AI.
Die Konkurrenz findet also nicht nur auf strategischer und technischer Ebene statt, sondern längst auch im Personalbereich. Beide Unternehmen versuchen, die klügsten Köpfe an sich zu binden – ein weiteres Indiz für die wachsende Entfremdung.
Geopolitische Komponente: China, Taiwan und neue Player
Der Konflikt spielt sich auch vor einem geopolitischen Hintergrund ab. Mit „DeepSeek“ steigt China in den internationalen KI-Wettbewerb ein – und das zu deutlich geringeren Trainingskosten. Zudem bleibt die Abhängigkeit westlicher Unternehmen von Chip-Herstellern wie TSMC bestehen, die hauptsächlich in Taiwan produzieren.
Ein Konflikt in der Taiwanstraße könnte die gesamte KI-Infrastruktur westlicher Firmen ins Wanken bringen. Das Stargate-Projekt, das auf Milliarden an Hardware-Komponenten angewiesen ist, wäre besonders betroffen. Hier zeigt sich: Der Streit zwischen Microsoft und OpenAI ist nicht nur ein Duell zweier Unternehmen – sondern ein Mikrokosmos globaler Machtverschiebungen.
Risiken und Szenarien – was passiert als Nächstes?
Szenario | Potenzielle Folgen |
---|---|
Partnerschaftsbruch | OpenAI setzt auf neue Cloud-Partner, Microsoft forciert eigene Modelle – Spaltung der KI-Landschaft. |
Regulatorische Klage | FTC oder EU könnten Ermittlungen aufnehmen, Microsoft droht Imageschaden, OpenAI verliert Vertrauen. |
Vertragsneuverhandlung | Microsoft bleibt Minderheitspartner, OpenAI erhält mehr Freiheit – fragile Kompromisslösung. |
Stargate-Erfolg | OpenAI wird unabhängiger, finanziert sich über SoftBank & Co. – risikobehaftet, aber potenziell revolutionär. |
Zwischen Innovation und Instabilität
Die Lage zwischen OpenAI und Microsoft ist angespannt wie nie. Was einst als Vorzeigepartnerschaft begann, droht nun in einem Machtkampf zu enden, der das Kräfteverhältnis in der KI-Branche nachhaltig verändern könnte. Die nächsten Wochen dürften entscheidend sein – nicht nur für die beiden Unternehmen, sondern für die gesamte Entwicklung der künstlichen Intelligenz weltweit.
Egal, ob es zu einer Trennung, Neuausrichtung oder einem offenen Bruch kommt: Klar ist, dass OpenAI und Microsoft vor einem Wendepunkt stehen – und mit ihnen ein ganzer Industriezweig.