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Kommt nach den Vorfällen im Iran nun die gesetzliche Wehrpflicht schon 2025?

In Aktuelles
Juni 24, 2025
Wehrpflicht Deutschland 2025

Verteidigungsminister Boris Pistorius bringt ein umstrittenes Vorhaben auf den Weg: Eine gesetzliche Neuregelung soll es ermöglichen, künftig auf eine verpflichtende Einberufung junger Männer – und perspektivisch auch Frauen – zurückzugreifen, wenn nicht genügend Freiwillige für den Dienst in der Bundeswehr gefunden werden. Dabei geht es nicht um eine Rückkehr zur klassischen Wehrpflicht im alten Sinne, sondern um ein flexibles Modell mit einer sogenannten „Wehrpflicht-Option“. Diese soll im neuen Wehrdienstgesetz verankert werden, das noch vor der Sommerpause im Kabinett beraten werden soll.

Freiwilligkeit mit Auffangmechanismus

Im Zentrum der Neuregelung steht ein zweistufiges Konzept: Zunächst sollen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, junge Menschen freiwillig für den Dienst in der Bundeswehr zu gewinnen. Erst wenn diese Bemühungen nicht ausreichen, kann eine Verpflichtung aktiviert werden – jedoch nicht pauschal, sondern zielgerichtet, etwa durch eine Auswahl bestimmter Jahrgänge oder Qualifikationen.

Dieser Mechanismus soll gesetzlich vorbereitet werden, sodass im Ernstfall keine zeitintensiven Gesetzgebungsverfahren notwendig sind. Die Bundesregierung würde dann – mit Zustimmung des Parlaments – eine Pflichtdienstkomponente aktivieren können.

Die sicherheitspolitische Ausgangslage

Auslöser für den Vorstoß ist die sich verändernde sicherheitspolitische Lage Europas. Vor allem die Bedrohung durch Russland und die Anforderungen an die NATO-Verteidigungsfähigkeit setzen Deutschland unter Druck. Die Bundeswehr soll personell aufwachsen: Von derzeit rund 182.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten will man auf 260.000 aufstocken. Parallel soll die Reserve auf etwa 200.000 Kräfte wachsen.

Verteidigungsminister Pistorius warnte mehrfach, dass der Verteidigungsfall nicht mehr nur ein theoretisches Szenario sei. Die Bundeswehr müsse in der Lage sein, Landes- und Bündnisverteidigung glaubhaft und zuverlässig zu leisten.

Rückhalt und Widerstand in der Politik

Der Vorstoß des Ministers spaltet die Parteienlandschaft. Während die CDU/CSU das Vorhaben größtenteils begrüßt, zeigen sich SPD und FDP intern gespalten. Besonders die Linke kündigte „erbitterten Widerstand“ gegen jede Form einer neuen Wehrpflicht an.

Einige Stimmen aus der SPD fordern stattdessen attraktive Anreize für freiwilligen Dienst: höhere Entlohnung, moderne Unterbringung, bessere Ausbildungsperspektiven. Auch SPD-Parteichef Lars Klingbeil plädiert dafür, Vorbereitungen zu treffen – jedoch ohne klare Festlegung auf eine Pflichtlösung.

Übersicht der politischen Positionen:

ParteiPosition zur Wehrpflicht-Option
CDU/CSUUnterstützt gesetzliche Verankerung, drängt auf zügige Umsetzung
SPDUneinheitlich: Klingbeil offen, Miersch skeptisch
FDPGrundsätzlich für Freiwilligkeit, bei Bedarf offen für Optionen
GrüneVorbehalte gegenüber Pflichtdienst, betonen Gleichstellung
LinkeKlare Ablehnung, fordert Volksbefragung

Öffentliche Meinung: Unterstützung mit Altersgefälle

Eine aktuelle Umfrage zeigt: 54 Prozent der Bevölkerung befürworten die Rückkehr einer Form der Wehrpflicht. Vor allem ältere Generationen zeigen Zustimmung – bei den 18- bis 29-Jährigen liegt die Zustimmung hingegen nur bei rund 35 Prozent.

Interessant: Während 18 Prozent nur eine Wehrpflicht für Männer unterstützen, befürworten 36 Prozent eine geschlechtsunabhängige Lösung. Letztere wäre allerdings nur durch eine Grundgesetzänderung realisierbar.

Die rechtliche Dimension

Rein rechtlich existiert die Wehrpflicht in Deutschland weiterhin – sie wurde 2011 lediglich ausgesetzt. Artikel 12a des Grundgesetzes erlaubt sie weiterhin. Allerdings wurden seitdem zentrale Verwaltungsstrukturen abgebaut: Musterungsämter geschlossen, Personal reduziert, Datenvernichtung vollzogen.

Eine neue Regelung würde vor allem die Wiedereinführung der Erfassung junger Menschen erforderlich machen – beispielsweise durch Befragungen zum 18. Lebensjahr. Die geplante Wehrdienstoption sieht genau dies vor, allerdings zunächst freiwillig und anonymisiert.

Ein Blick über die Grenzen: Schweden, Dänemark, Finnland

Deutschland ist nicht allein mit der Debatte. In mehreren europäischen Staaten gibt es bereits Modelle, an denen sich das Bundesverteidigungsministerium orientiert.

  • Schweden: Wiedereinführung der Wehrpflicht im Jahr 2017, geschlechtsneutral, mit Auswahlverfahren
  • Dänemark: Einführung einer Wehrpflicht für Frauen ab 2026
  • Finnland: Allgemeine Wehrpflicht mit sozialen Ausweichdiensten

Diese Modelle setzen auf flexibles Rekrutieren, Kombination aus Militär- und Zivildiensten sowie bessere Verankerung in der Gesellschaft.

Infrastrukturprobleme als Bremsklotz

Ein zentrales Problem für eine schnelle Umsetzung ist der Zustand der militärischen Infrastruktur. Kasernen sind vielerorts marode, Ausbildungszentren unterdimensioniert, Material fehlt in großer Zahl. Für eine Aufstockung der Truppenstärke braucht es laut Expertenschätzungen rund eine Million zusätzliche Ausrüstungsgegenstände – vom Spind bis zur Schutzweste.

Ein weiteres Problem ist die Abbrecherquote: Fast ein Drittel der Freiwilligen verlässt die Ausbildung vorzeitig. Gründe sind schlechte Ausstattung, mangelnde Betreuung, unklare Perspektiven.

Kosten und wirtschaftliche Auswirkungen

Ein vollständiger Aufbau eines Dienstpflichtsystems würde enorme Kosten verursachen. Allein der Ausbau von Unterkünften und Ausbildungskapazitäten wird auf über 50 Milliarden Euro geschätzt. Hinzu kommen jährliche Personalkosten, Verwaltungsaufwand und Ausgaben für Anreize wie Führerscheine, Studienförderung oder Zuschüsse.

Ökonomen warnen zudem vor negativen Effekten auf den Arbeitsmarkt: Junge Erwachsene würden später ins Berufsleben eintreten, was sich langfristig auf das Rentensystem und die Produktivität auswirken könnte.

Wiedereinführung auch für Zivilbereiche denkbar

Ein häufig diskutierter Vorschlag ist eine „allgemeine Dienstpflicht“, die nicht nur das Militär umfasst, sondern auch Sozialeinrichtungen, Pflegeheime, Katastrophenschutz oder Kindertagesstätten. Viele gesellschaftliche Bereiche haben seit der Aussetzung des Zivildienstes mit Nachwuchsmangel zu kämpfen. Eine solche Lösung wäre jedoch ebenfalls nur mit Grundgesetzänderung machbar – und politisch umstritten.

Zitat von Pistorius dazu:

„Es geht nicht nur um die Bundeswehr. Es geht darum, dass junge Menschen Verantwortung übernehmen – für das Land und füreinander.“

Eine komplexe Rückkehr mit vielen offenen Fragen

Die von Pistorius geplante Wehrpflicht-Option ist ein Kompromiss zwischen vollständiger Aussetzung und allgemeiner Pflicht. Sie zielt darauf ab, der Bundeswehr mittelfristig eine stabile Personalbasis zu geben, ohne sofort flächendeckend junge Menschen zu verpflichten.

Ob das Modell politisch durchsetzbar ist, hängt stark vom weiteren Verlauf der sicherheitspolitischen Lage ab. Klar ist: Ohne strukturelle Investitionen, gesellschaftlichen Rückhalt und klare rechtliche Fundamente wird es keine Rückkehr zur Dienstpflicht geben – auch nicht durch die Hintertür.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.