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Streit um Schulpflicht: Sollen Schüler künftig ihre Klassen selbst reinigen?

In Aktuelles
Oktober 07, 2025

Dresden – Eine Debatte, die das Land spaltet: Müssen Schülerinnen und Schüler bald ihre Klassenzimmer selbst putzen? Was zunächst wie ein unbedeutender Vorschlag klingt, hat sich zu einem gesellschaftlichen Reizthema entwickelt. Zwischen pädagogischem Ideal, Sparzwang und Sorge um Hygienestandards diskutieren Eltern, Lehrer und Politiker, wo die Verantwortung der Schule endet – und die der Kinder beginnt.

Hintergrund: Der Vorschlag aus Dresden entzündet eine bundesweite Diskussion

Auslöser der aktuellen Debatte ist ein Vorschlag aus Dresden. Der dortige Bildungsbürgermeister Jan Donhauser (CDU) brachte die Idee ins Spiel, dass Schülerinnen und Schüler künftig bei der Reinigung ihrer Klassenzimmer mithelfen könnten. Ziel sei es, nicht nur Kosten zu sparen, sondern auch Verantwortungsbewusstsein und Teamgeist zu fördern. Donhauser sprach von einem „pädagogischen Ansatz“, der Kindern vermitteln solle, dass Sauberkeit und Ordnung Teil des gemeinschaftlichen Lebens seien.

„Wir wollen prüfen, ob Schüler einfache Aufgaben übernehmen können, um ein Bewusstsein für Sauberkeit zu schaffen“, erklärte der CDU-Politiker. Die Stadt Dresden gibt jedes Jahr Millionenbeträge für Schulreinigung aus – in Zeiten knapper Haushalte sei es laut Donhauser sinnvoll, nach neuen Wegen zu suchen.

Doch die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Elternvertretungen und Schülerverbände reagierten mit scharfer Kritik. Viele sehen den Vorschlag als Versuch, strukturelle Probleme auf Kinder abzuwälzen. Der Schülervertretungsrat bezeichnete die Idee als „Rückschritt in vergangene Zeiten“, während Elternverbände vor Überforderung und unzumutbaren Zuständen warnten.

Rechtliche Grenzen: Dürfen Schulen Schüler überhaupt zum Putzen verpflichten?

Die rechtliche Lage ist klarer, als viele denken. Schulen dürfen Kinder nicht verpflichten, Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich von Reinigungsunternehmen erledigt werden müssen. Laut Schulgesetzen der Länder besteht die Hauptaufgabe der Schüler im Lernen – nicht in der Pflege der Gebäude. Regelmäßige Reinigungsarbeiten, die über gelegentliches Aufräumen hinausgehen, könnten als unzulässige Arbeitsleistung gewertet werden.

Ein häufig gestellte Frage lautet: „Darf eine Schule Schüler verpflichten, ihr Klassenzimmer zu putzen?“
Die Antwort lautet: nein – zumindest nicht dauerhaft oder im Rahmen eines verbindlichen Plans. Kurze Aufräumaktionen, Müllentsorgung oder das Abwischen der Tafel sind erlaubt. Aber sobald Schüler regelmäßig Aufgaben übernehmen, die sonst bezahlt werden, bewegen sich Schulen auf rechtlich dünnem Eis.

Argumente der Befürworter: Verantwortung und Gemeinschaftsgefühl fördern

Trotz der Kritik gibt es auch Befürworter des Modells. Sie verweisen auf internationale Beispiele, vor allem auf das japanische Schulsystem, in dem Schüler seit Jahrzehnten ihre Klassenräume und Flure selbst reinigen. Ziel ist dort nicht die Kostenersparnis, sondern die Erziehung zur Gemeinschaft und Disziplin. Kinder lernen, dass Sauberkeit eine Form des Respekts gegenüber der Schule und ihren Mitschülern ist.

Auch in Deutschland existieren ähnliche, wenn auch seltene Ansätze. An einigen Schulen übernehmen Schülerfirmen die Reinigung von Klassenräumen – gegen Bezahlung oder als Projektarbeit. Lehrer berichten, dass sich das Klima verbessert habe: weniger Vandalismus, mehr Rücksichtnahme und ein stärkeres Bewusstsein für gemeinschaftliche Räume. Diese Modelle sind jedoch freiwillig und zeitlich begrenzt.

Welche Aufgaben könnten Schüler überhaupt übernehmen?

Die Frage, „Welche Aufgaben könnten Schüler beim Reinigen übernehmen – und welche nicht?“, wird in der Praxis sehr unterschiedlich beantwortet. Pädagogisch vertretbar sind Aufgaben wie:

  • Das Aufräumen des eigenen Arbeitsplatzes
  • Das Entsorgen von Papiermüll
  • Das Abwischen von Tischen
  • Das Fegen kleiner Flächen

Nicht erlaubt oder nicht empfehlenswert sind Tätigkeiten wie Fensterreinigung, Bodenpflege mit Reinigungsmitteln oder das Putzen von Toilettenanlagen. Diese Aufgaben erfordern Fachkenntnisse, Arbeitsschutzmaßnahmen und geeignete Ausstattung – die Schüler schlichtweg nicht besitzen.

Kritik: „Schüler sollen lernen, nicht putzen“

Der wohl häufigste Einwand lautet: Schule sei kein Ersatz für Reinigungspersonal. „Schüler sollen lernen, nicht putzen“, forderte bereits 2014 der Stadtelternrat Hannover, als ähnliche Ideen aufkamen. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) unterstützt diese Haltung. „Lehrkräfte reinigen nicht, streichen keine Wände und bringen auch nicht den Abfall raus“, so der Verband – und Schüler sollten ebenfalls nicht in solche Aufgaben gedrängt werden.

Elternvertreter warnen zudem vor ungleichen Belastungen: Wenn einige Kinder fleißig mithelfen und andere sich entziehen, entstehen Spannungen und Ungerechtigkeit. Auch hygienische Aspekte werden oft übersehen: Schulen sind Orte mit hoher Keimbelastung, und unprofessionelle Reinigung kann mehr schaden als nützen.

In Online-Foren wie Urbia oder gutefrage.net diskutieren Eltern ähnliche Probleme: „Mein Sohn soll nach der letzten Stunde fegen, aber keiner kontrolliert, ob das ordentlich gemacht wird“, schreibt eine Mutter. Solche Alltagsberichte zeigen, dass selbst kleine Dienste im Schulalltag organisatorisch schwierig umzusetzen sind.

Der finanzielle Druck: Warum Städte nach neuen Lösungen suchen

Ein Blick auf die Haushaltslage vieler Kommunen verdeutlicht, warum solche Vorschläge überhaupt entstehen. Allein Dresden gibt jährlich mehrere Millionen Euro für Schulreinigung aus. In Berlin und anderen Großstädten stoßen Reinigungsdienste zunehmend an ihre Grenzen. Steigende Lohnkosten, Fachkräftemangel und Inflation belasten die Budgets. In Berlin wurde sogar diskutiert, Schultoiletten nur noch einmal täglich statt mehrmals zu reinigen – eine Idee, die ebenfalls Empörung auslöste.

Lehrkräfte berichten, dass sie immer häufiger selbst zu Besen und Pinsel greifen, um den Unterrichtsbetrieb aufrechtzuerhalten. In einer Umfrage des Portals News4Teachers gaben viele Lehrer an, regelmäßig kleinere Reparaturen oder Putzarbeiten zu übernehmen, weil niemand sonst dafür zuständig sei. Das eigentliche Problem scheint also tiefer zu liegen: Es geht um die strukturelle Unterfinanzierung des Bildungssystems.

Wie organisieren Schulen heute Putzdienste?

Einige Schulen haben bereits seit Jahren feste „Klassendienste“, die Schüler im Wechsel übernehmen. Dazu gehören das Leeren von Mülleimern, das Wischen der Tafel oder das Aufstellen der Stühle nach dem Unterricht. In manchen Regionen gibt es auch sogenannte „Putz- und Flicktage“, an denen Schüler gemeinsam mit Lehrkräften das Schulgebäude reinigen. Diese Aktionen sollen mehr Bewusstsein für das Gemeinschaftseigentum schaffen – nicht aber professionelle Reinigung ersetzen.

Der internationale Vergleich: Japan, Singapur und Deutschland

In asiatischen Bildungssystemen ist das gemeinsame Putzen Teil der Schulkultur. In Japan und Singapur etwa reinigen Schüler täglich ihre Klassenzimmer, Flure und sogar Toiletten. Lehrer übernehmen eigene Bereiche, meist die Lehrertoiletten. Es geht dort nicht um Einsparungen, sondern um Disziplin, Charakterbildung und Respekt. Diese Werte sind tief in der Gesellschaft verankert.

Deutsche Pädagogen sehen darin durchaus Vorzüge, warnen aber vor vorschnellen Vergleichen. In Deutschland fehlt die kulturelle Einbettung solcher Rituale, und der Umgang mit Hygiene- und Arbeitsrecht ist ein anderer. Stattdessen empfehlen Experten, Schüler stärker in Verantwortung zu bringen – etwa durch Umweltprojekte, Klassendienste oder partizipative Schulgestaltung.

Was spricht gegen, dass Schüler ihre Schulen selbst reinigen?

Zu den häufigsten Gegenargumenten gehören:

  • Fehlende Fachkenntnis und unzureichende Ausstattung
  • Verlust von Lernzeit und pädagogischem Fokus
  • Gefahr der Ungleichbehandlung innerhalb der Klassen
  • Rechtliche Unsicherheiten bei Pflichtaufgaben
  • Gesundheitliche Risiken durch Reinigungsmittel

Diese Bedenken werden von Lehrerverbänden, Elterninitiativen und Gewerkschaften gleichermaßen geteilt. Der Deutsche Lehrerverband spricht von einer „Symboldebatte“, die von den eigentlichen Problemen ablenke – nämlich maroden Schulgebäuden und chronischem Personalmangel im Bildungswesen.

Ein gesellschaftliches Spiegelbild

Der Streit um die Schulreinigung ist letztlich mehr als eine Verwaltungsfrage. Er berührt die Grundsatzfrage, welche Werte eine Gesellschaft ihren Kindern vermitteln will. Soll Schule allein ein Ort des Lernens bleiben – oder auch ein Ort, an dem Verantwortung praktisch erlernt wird? Während manche das Putzen als „Erziehung zum Anpacken“ betrachten, sehen andere darin einen Rückschritt und Ausdruck staatlicher Sparpolitik auf Kosten der Jugend.

Interessanterweise zeigen internationale Studien, dass gemeinschaftliche Aktivitäten wie das Reinigen, Pflanzen oder Renovieren das Zugehörigkeitsgefühl stärken können. Der Unterschied liegt jedoch darin, ob diese Tätigkeiten freiwillig, projektbasiert und pädagogisch begleitet sind – oder ob sie aus finanzieller Not heraus entstehen.

Ausblick: Verantwortung ja, Ersatz nein

Die Debatte um das „Schülerputzen“ zeigt exemplarisch, wie angespannt das Bildungssystem in Deutschland derzeit ist. Eltern und Lehrkräfte kämpfen mit überfüllten Klassen, zu wenig Personal und veralteten Gebäuden. Wenn in dieser Situation ausgerechnet Schüler in Reinigungsdienste eingebunden werden sollen, wirkt das wie ein Symbol für ein tieferliegendes Problem: fehlende Wertschätzung und mangelnde Investition in Bildung.

Dennoch bleibt die Grundidee einer stärkeren Mitverantwortung nicht ohne Reiz. Schülerinnen und Schüler, die lernen, ihren Raum sauber zu halten, entwickeln ein stärkeres Bewusstsein für Ordnung, Umwelt und Gemeinschaft. Entscheidend ist, dass solche Aktivitäten freiwillig, klar begrenzt und pädagogisch eingebettet bleiben.

Vielleicht ist es an der Zeit, das Thema nicht nur als Kostenfrage zu begreifen, sondern als Gelegenheit, Schule neu zu denken – als Ort, an dem Verantwortung geteilt wird, ohne dass Kinder die Aufgaben der Erwachsenen übernehmen müssen. Denn letztlich geht es nicht darum, wer putzt – sondern darum, welche Werte wir gemeinsam vermitteln wollen.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.