
Bad Friedrichshall, 5. November 2025 – Eine Wiese am Ortsrand, die Sonne steht tief, und an den Leinen hängt: nichts. Trotzdem schnalzen Stimmen, es werden Kommandos gegeben, Gesten geübt, Körperhaltung korrigiert. Wer hier vorbeikommt, mag zweimal hinsehen. Doch das, was zunächst bizarr wirkt, ist für manche längst ein ernstzunehmendes Hobby – „Hobby Dogging“ genannt.
Ein Spaziergang ohne Hund – wie alles begann
Entstanden ist der Trend in Baden-Württemberg. Die Hundetrainerin Barbara Gerlinger aus Bad Friedrichshall wollte ihren Schülern ursprünglich nur helfen, ihre eigene Körpersprache zu verbessern. Aus einer spontanen Idee im Vereinsheim wurde schließlich eine Bewegung: Menschen, die mit einer leeren Leine durch den Park oder über Trainingswiesen laufen – und dabei so tun, als führten sie einen Hund.
„Die Idee entstand beim Plausch im Vereinsheim“, erzählt Gerlinger. „Am Anfang wurde viel gelacht, aber irgendwann haben wir gemerkt: Es funktioniert tatsächlich.“ In ihren Kursen laufen die Teilnehmenden über Hürden, bleiben stehen, geben Kommandos. Manche tragen ein Geschirr oder Halsband, andere nur eine Leine. Das Tier dazu existiert allein in ihrer Vorstellung. Doch der Effekt sei real, sagt die Trainerin: „Das Problem ist nie der Hund – es sitzt immer am anderen Ende der Leine.“
Training für Haltung, Stimme und Führung
Der Gedanke hinter dem Gassi-Gehen ohne Hund ist ernsthafter, als viele denken. In Interviews betont Gerlinger, dass es beim Hobby Dogging nicht um Albernheit geht, sondern um Selbstreflexion. Teilnehmer lernen, wie sie mit Körperspannung, Stimme und Gestik auf ihre Umwelt wirken. Sie üben Konzentration und führen imaginäre Tiere, um ihre eigene Führungskompetenz zu schulen.
Nach Angaben aus mehreren Berichten profitieren die Teilnehmenden körperlich und mental zugleich: Bewegung an der frischen Luft, Stressabbau, bewusstes Auftreten. Eine Teilnehmerin beschreibt das Gefühl so: „Ich wollte schon immer einen Hund, kann mir aber keinen leisten. Wenn ich mit meiner Leine unterwegs bin, fühle ich mich trotzdem ruhiger.“
Zwischen Selbsttraining und Unterhaltung
Auf sozialen Plattformen wie Instagram und TikTok wird der Trend teils belächelt, teils begeistert gefeiert. Reels mit Hashtags wie #gassigehenohnehund oder #hobbydogging zeigen Gruppen, die mit viel Humor, aber auch echtem Ehrgeiz trainieren. Die Reaktionen reichen von Verwunderung bis Neugier. Einige fragen: „Wie kann man Kommandos üben, wenn kein Hund da ist?“ – andere erkennen in den Bewegungsabläufen Parallelen zum Yoga oder Achtsamkeitstraining.
Wer macht bei Hobby Dogging mit?
Die Zielgruppe ist erstaunlich vielfältig. Laut Berichten von Stern und Süddeutscher Zeitung nehmen Menschen unterschiedlichen Alters teil – von Jugendlichen bis zu Senioren. Viele kommen aus Tierfreundekreisen, manche haben ihren Hund verloren und möchten die Routine des Spaziergangs beibehalten. Andere wollen schlicht testen, ob sie bereit für die Verantwortung eines echten Hundes sind. Wiederum andere genießen einfach die Bewegung in der Gruppe und den spielerischen Aspekt.
In der Region Heilbronn hat sich inzwischen eine kleine Szene gebildet. Die Kurse dauern meist zwischen 45 und 60 Minuten, ähneln einem klassischen Hundetraining – nur eben ohne Tier. Die Teilnehmenden geben Kommandos wie „Sitz!“ oder „Bei Fuß!“, wechseln Richtungen und trainieren die Leinenführung. Alles im Rhythmus ihrer eigenen Atmung, unter Anleitung erfahrener Hundetrainer.
Von Deutschland in die Welt: Wenn der Trend viral geht
Was in Süddeutschland begann, hat mittlerweile internationale Aufmerksamkeit erregt. Medien aus Großbritannien, Finnland und Tschechien berichteten über die Bewegung. In englischsprachigen Artikeln wird „Hobby Dogging“ sogar mit dem skandinavischen Hobby Horsing verglichen – einem Sport, bei dem Erwachsene auf Steckenpferden reiten. Die Parallele liegt im imaginativen Spiel, das zugleich Training und Ausdrucksform ist.
Ein Artikel beschreibt den Trend als „emotional bonding without a pet“ – also als Möglichkeit, emotionale Bindung und Bewegung zu kombinieren, ohne ein echtes Tier besitzen zu müssen. Psychologinnen und Psychologen sehen darin einen Effekt, der an mentale Trainingsmethoden erinnert: Das Gehirn unterscheidet nur begrenzt zwischen realer und vorgestellter Handlung. Wer also regelmäßig „unsichtbare Hunde“ führt, trainiert reale Körpermuster.
Warum Menschen Gassi gehen ohne Hund
Fragt man die Teilnehmenden selbst, so geht es um mehr als den Spaßfaktor. Einige sagen, sie wollten herausfinden, ob sie Verantwortung für ein Tier übernehmen könnten. Andere schätzen die soziale Komponente: In den Kursen lernt man Gleichgesinnte kennen, lacht miteinander – und bewegt sich an der frischen Luft. Wieder andere berichten, dass sie die Routine des Spaziergangs als festen Teil ihres Tages beibehalten möchten, obwohl ihr Hund verstorben ist.
Für viele ist das „Gassi gehen ohne Hund“ also eine Art Ersatzhandlung mit therapeutischer Wirkung: Bewegung, Struktur, Entschleunigung. Ein Teilnehmer beschreibt es als „Trockentraining für Geist und Körper“.
Zwischen Faszination und Spott
Natürlich ruft der Trend auch Skepsis hervor. Unter Social-Media-Posts finden sich Kommentare wie „Die Welt wird immer verrückter“ oder „Jetzt fehlen nur noch die unsichtbaren Katzen“. Doch Gerlinger nimmt das mit Humor: „Es ist ein bisschen verrückt – aber was ist heutzutage nicht verrückt?“
Ihre Haltung zeigt: Die Initiatorin sieht Hobby Dogging als Experiment zwischen Ernst und Spaß. Viele Kritiker hätten den Trend zunächst belächelt, sagt sie, doch nach einer Trainingseinheit ändere sich die Perspektive schnell. Denn wer einmal eine halbe Stunde lang mit einer imaginären Leine Kommandos geübt hat, merkt: Konzentration und Körperbewusstsein werden tatsächlich gefordert.
Abgrenzung und Begriffsklärung
Ein besonderes Phänomen ist die Begriffskonfusion in sozialen Netzwerken. Auf Plattformen wie Reddit kursieren teils andere, nicht jugendfreie Verwendungen des Wortes „Dogging“. Trainerinnen wie Gerlinger bemühen sich daher um klare Abgrenzung: Hobby Dogging meint ausschließlich das Training ohne Hund, nicht irgendwelche anstößigen Aktivitäten. In Deutschland hat sich inzwischen die scherzhafte, aber eindeutige Variante „Gassi gehen ohne Hund“ als Synonym etabliert.
Praktische Aspekte: Kein Futter, keine Steuer, keine Pflicht
Ein Punkt, den viele Teilnehmende schätzen, sind die geringen Hürden. Es braucht keine Anmeldung bei der Gemeinde, keine Hundesteuer, keine Tierarztkosten. Man kann einfach loslaufen – allein oder in der Gruppe. Auch der ökologische Fußabdruck sei geringer, scherzt eine Teilnehmerin: „Keine Tütenpflicht, kein Bellen, kein Stress.“
Was Teilnehmende üben
- Bewusste Körperhaltung und Blickführung
- Sprachführung und Stimmmodulation
- Rhythmusgefühl beim Gehen
- Mentale Fokussierung auf Bewegung und Atmung
In vielen Kursen wird zudem Musik eingesetzt, um die Bewegungsabläufe zu unterstützen. Manche Gruppen trainieren sogar Choreografien – eine Art „Leinensynchronlauf“ mit unsichtbaren Hunden. Laut Trainerin Gerlinger stärkt das Konzentration und Koordination gleichermaßen.
Wissenschaftliche Einordnung
Psychologische Fachleute sehen im Trend kein Zeichen gesellschaftlicher Entfremdung, sondern ein Beispiel dafür, wie Menschen mit Kreativität auf soziale und emotionale Bedürfnisse reagieren. Der imaginäre Hund sei in gewisser Weise ein Projektionsobjekt: Er zwinge die Menschen zur Ruhe, zum Rhythmus, zum Führen. Das erkläre auch, warum manche nach einer Stunde Training von „innerer Balance“ sprechen.
Einige Experten verweisen zudem auf Parallelen zu therapeutischen Visualisierungsübungen: Wer eine Handlung geistig durchspielt, aktiviert ähnliche neuronale Netzwerke wie bei der realen Bewegung. Das mache das Hobby Dogging – jenseits aller Skurrilität – zu einer Art Mentaltraining.
Wie verbreitet ist Hobby Dogging?
Nach aktuellem Stand wird das Hobby Dogging vor allem in Süddeutschland praktiziert, vereinzelt auch in Österreich und der Schweiz. Die Kurse von Gerlinger und ihren Kolleginnen sind regelmäßig ausgebucht, und über soziale Medien melden sich Interessierte aus anderen Städten. Erste Versuche, den Trend zu professionalisieren, laufen bereits – mit Workshops, Zertifikaten und Vorträgen auf Hundemessen.
In Zahlen lässt sich das Phänomen bislang schwer fassen, doch die virale Reichweite ist deutlich: Videos mit dem Hashtag #hobbydogging erzielen zusammen mehrere Millionen Aufrufe. Auf X (ehemals Twitter) wurde das Thema mehrfach von großen Medienmarken aufgegriffen und heiß diskutiert.
Zwischen Trend, Training und Therapie
Ob Hobby Dogging ein kurzlebiger Trend bleibt oder sich langfristig etabliert, ist offen. Doch die Reaktionen zeigen, dass das Thema einen Nerv trifft: Bewegung, Achtsamkeit, soziale Interaktion – all das steckt im „Gassi gehen ohne Hund“. Für die einen ist es eine charmante Spinnerei, für andere ein ernst gemeinter Weg zu mehr Selbstwahrnehmung.
Trainerin Gerlinger sagt dazu: „Wenn Menschen lachen und gleichzeitig etwas über sich lernen, dann habe ich alles richtig gemacht.“
Ein Spaziergang in die Zukunft
Vielleicht werden künftig mehr Menschen mit leeren Leinen unterwegs sein – nicht, weil sie verrückt sind, sondern weil sie in der Ruhe zwischen Schritt und Kommando etwas finden, das man im Alltag oft verliert: bewusste Aufmerksamkeit. Hobby Dogging mag kurios wirken, doch es steht exemplarisch für eine Zeit, in der Menschen neue Wege suchen, um Körper, Geist und Humor miteinander zu verbinden.
































