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USA gegen Iran: Was ein militärischer Angriff völkerrechtlich bedeutet

In Aktuelles
Juni 22, 2025
USA

Die jüngsten Luftschläge der Vereinigten Staaten auf iranische Nuklearanlagen haben weltweit für Empörung und diplomatische Spannungen gesorgt. Während das Weiße Haus die Maßnahmen als präventive Verteidigung rechtfertigt, melden sich Völkerrechtler, Politiker und internationale Institutionen mit teils scharfer Kritik zu Wort. Die zentrale Frage lautet: War dieser Angriff rechtlich legitim – oder stellt er einen Verstoß gegen internationales Recht und die US-Verfassung dar?

Der rechtliche Rahmen: Gewaltverbot und Ausnahmen

Grundlage jeder juristischen Bewertung militärischer Interventionen ist die Charta der Vereinten Nationen. Artikel 2(4) der UN-Charta untersagt den Einsatz von Gewalt in den internationalen Beziehungen – es sei denn, es handelt sich um einen Akt der Selbstverteidigung nach Artikel 51 oder um eine Aktion, die durch eine Resolution des Sicherheitsrates gedeckt ist. Im vorliegenden Fall fehlt eine solche UN-Mandatierung vollständig. Auch eine akute Selbstverteidigungslage ist umstritten.

Das Völkerrecht erlaubt nur dann eine sogenannte „präemptive Selbstverteidigung“, wenn eine unmittelbare, überwältigende Bedrohung besteht. Dieses Prinzip basiert auf dem sogenannten Caroline-Test aus dem 19. Jahrhundert und verlangt, dass keine Zeit für diplomatische Lösungen bleibt. Viele internationale Rechtsexperten sehen diese Bedingung nicht erfüllt. Ein Angriff auf iranische Atomanlagen – unter Berufung auf eine potenzielle Bedrohung – wäre demnach völkerrechtswidrig.

Prävention oder Präemp­tion? Die juristische Feinlinie

In der Diskussion muss zwischen „präventivem“ und „präemptivem“ Angriff unterschieden werden:

BegriffDefinitionVölkerrechtliche Bewertung
PräventivkriegAngriff ohne konkrete, unmittelbare BedrohungVerboten
PräemptivkriegAngriff bei nachweislich bevorstehender BedrohungUnter Umständen erlaubt

US-Vertreter betonen, dass Hinweise auf ein iranisches Atomwaffenprogramm bestehen. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) wie auch US-Nachrichtendienste selbst hatten diese Behauptungen jedoch mehrfach relativiert. Damit fehlt die zentrale rechtliche Voraussetzung für eine präemptive Selbstverteidigung.

US-Verfassungsrecht: Wer darf Krieg führen?

Nach der Verfassung der Vereinigten Staaten liegt das Recht zur Kriegserklärung ausschließlich beim Kongress. Der Präsident hat zwar als Commander-in-Chief weitreichende militärische Befugnisse, diese dürfen jedoch nur in Notfällen ohne parlamentarisches Mandat eingesetzt werden. Die sogenannte War Powers Resolution aus dem Jahr 1973 verlangt, dass der Präsident binnen 48 Stunden nach einem Militäreinsatz den Kongress informiert und binnen 60 Tagen eine Zustimmung einholt.

Die aktuelle Administration beruft sich auf Artikel II der Verfassung – dem Präsidenten wird darin das Recht eingeräumt, die Nation gegen Bedrohungen zu schützen. Doch ob ein Luftschlag gegen iranische Ziele, ohne unmittelbar drohende Gefahr, unter diese Klausel fällt, ist juristisch höchst umstritten.

Kongress in Aufruhr: Kritik von beiden Seiten

Zahlreiche Mitglieder des Kongresses, sowohl aus dem demokratischen als auch aus dem republikanischen Lager, haben die Luftschläge scharf kritisiert. Während konservative Stimmen die Maßnahmen als nationale Sicherheitsmaßnahme verteidigen, sprechen demokratische Abgeordnete wie Alexandria Ocasio-Cortez, Chuck Schumer und Hakeem Jeffries von einem „klaren Verfassungsverstoß“.

„Der Präsident hat die Macht des Kongresses missachtet. Dies ist ein Angriff ohne Legitimation – innenpolitisch wie völkerrechtlich.“ – Rep. AOC

Einige Abgeordnete fordern nun sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten, sollten weitere Angriffe ohne Kongressmandat erfolgen.

Historische Parallelen und Präzedenzfälle

Ein Blick auf vergangene US-Militäroperationen zeigt eine wiederkehrende Strategie: Luftschläge ohne UN-Mandat und ohne explizite Kriegserklärung durch den Kongress. Besonders prägnant ist der Fall „Operation Nimble Archer“ von 1987. Damals griff die US-Marine iranische Ölplattformen an. Der Internationale Gerichtshof befand später, dass dies ein Verstoß gegen das Gewaltverbot war.

Auch der Angriff auf General Qasem Soleimani im Jahr 2020 wird in zahlreichen juristischen Fachbeiträgen als unzulässig eingestuft – da keine unmittelbar bevorstehende Bedrohung nachgewiesen werden konnte.

Großbritannien als indirekter Akteur

Ein oft übersehener Aspekt ist die Rolle Dritter: Großbritannien stellt regelmäßig militärische Infrastruktur zur Verfügung, etwa auf der Insel Diego Garcia oder in Zypern. Sollte der Angriff auf Iran von dort aus koordiniert oder unterstützt worden sein, könnte sich auch London völkerrechtlich verantworten müssen.

Der britische Völkerrechtler Professor Mark Hermer warnt davor, „eine Infrastruktur für völkerrechtswidrige Militäraktionen bereitzustellen, ohne klare Notwehrlage“. Eine Beteiligung über Unterstützungsleistungen könnte rechtlich als Komplizenschaft gewertet werden.

Internationale Reaktionen und strategische Risiken

Die globale Reaktion ist einhellig: Vereinte Nationen, Europäische Union, China, Russland und zahlreiche Schwellenländer kritisieren den US-Angriff scharf. UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einem „unkontrollierbaren Flächenbrand im Nahen Osten“.

Iran hat angekündigt, auf den Angriff zu reagieren, betrachtet ihn als „schweren Bruch des Völkerrechts“ und beruft sich ebenfalls auf Artikel 51 der UN-Charta – das Recht auf Selbstverteidigung. Bereits kurz nach den US-Luftschlägen wurden Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Die Gefahr eines regionalen Krieges mit globalen Auswirkungen wächst.

Neue juristische Instrumente: Lawfare

Im Schatten klassischer Diplomatie gewinnt ein neues Konzept an Bedeutung: „Lawfare“ – der strategische Einsatz juristischer Mittel als Mittel der Kriegsführung. Staaten, NGOs und sogar Privatpersonen versuchen, rechtswidrige Angriffe vor internationalen Gerichten anzugreifen. Auch im vorliegenden Fall könnte Iran den Internationalen Gerichtshof oder den Sicherheitsrat anrufen.

Ein Ziel: Nicht nur politische, sondern auch rechtliche Kosten für aggressive Staaten zu erhöhen. In der Praxis bleibt dieses Mittel jedoch oft ohne unmittelbare Konsequenzen – besonders bei mächtigen Ländern wie den USA.

Rechtlich fragwürdig, politisch brisant

Die juristische Bewertung des US-Angriffs auf iranische Nuklearanlagen fällt deutlich aus: Es fehlen sowohl eine UN-Resolution als auch ein akuter Verteidigungsfall, um die Maßnahmen völkerrechtlich zu rechtfertigen. Auch verfassungsrechtlich bewegt sich die Administration auf dünnem Eis, da der Kongress nicht eingebunden wurde.

Hinzu kommen politische Risiken: Die Eskalationsspirale zwischen Israel, Iran und den USA droht, außer Kontrolle zu geraten. Internationale Stimmen fordern mehr denn je eine Rückkehr zur Diplomatie – doch solange juristische Normen umgangen oder uminterpretiert werden, bleibt die Lage angespannt.

Was bleibt, ist die Mahnung aus früheren Konflikten: Auch ein technologisch überlegener Angriff bleibt ein völkerrechtliches Risiko, wenn die Regeln internationaler Ordnung ignoriert werden. Der Rechtsfrieden ist – auch im 21. Jahrhundert – kein Automatismus, sondern ein fragiles Gut.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.