
San Francisco, 23. Juni 2025, 10:00 Uhr (CCS)
OpenAI, das wohl bekannteste Unternehmen im Bereich Künstliche Intelligenz, sorgt erneut für Schlagzeilen. Diesmal jedoch nicht durch technologische Durchbrüche wie GPT-5 oder neue Partnerschaften, sondern durch interne Finanzstrukturen: Aktuelle und ehemalige Mitarbeitende haben in jüngster Zeit Aktienanteile im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar veräußert – und das ganz ohne offiziellen Börsengang. Stattdessen ermöglichten sogenannte „Tender Offers“ private Verkäufe an ausgewählte Investoren. Was hinter diesem milliardenschweren Liquiditätsmodell steckt, welche Auswirkungen es hat und warum diese Strategie zunehmend zum Vorbild im Silicon Valley wird, beleuchtet dieser Artikel.
Was sind Tender Offers – und warum sind sie so attraktiv?
Ein „Tender Offer“ ist ein privates Angebot, bei dem Mitarbeitende ihre Firmenanteile an institutionelle Investoren verkaufen können. OpenAI hat diese Methode in den letzten Monaten gleich mehrfach genutzt. Der jüngste Fall: Ein Aktienverkauf im Wert von rund drei Milliarden US-Dollar an Großinvestoren wie SoftBank. Rund 400 Mitarbeitende und Ex-Mitarbeitende profitierten davon. Besonders auffällig: Auch ehemalige Mitarbeiter erhielten großzügige Verkaufslimits – teilweise bis zu zehn Millionen US-Dollar pro Person. In früheren Runden lag dieser Wert bei lediglich zwei Millionen.
Durch diese Transaktionen erhalten Mitarbeitende eine Art „Börsengang light“ – ohne die mit einem IPO verbundenen Risiken und Offenlegungspflichten. Das Modell dient gleichzeitig als Instrument zur Mitarbeiterbindung und Talentgewinnung.
Bewertung auf Rekordniveau – OpenAI kratzt an der 300-Milliarden-Marke
Mit jeder Tender-Runde stieg auch die Bewertung von OpenAI. Während das Unternehmen 2024 noch mit rund 86 Milliarden US-Dollar taxiert wurde, wird der Marktwert heute auf etwa 300 Milliarden geschätzt. Die Bewertungsentwicklung spiegelt den Boom in der KI-Branche wider – aber auch den enormen Wettbewerb um Talente und Kapital.
Jahr | Unternehmensbewertung (geschätzt) | Kapital durch Tender-Angebote |
---|---|---|
2023 | 86 Mrd. USD | 1,3 Mrd. USD |
2024 | 157 Mrd. USD | 1,5 Mrd. USD |
2025 | 300 Mrd. USD | 3,0 Mrd. USD |
Liquidität statt Börsengang: Strategie mit Signalwirkung
OpenAI verfolgt bewusst einen alternativen Weg zur Kapitalgenerierung. Der klassische Börsengang – mit all seinen rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen – wird umgangen. Stattdessen sorgt man über private Transaktionen für Liquidität. Diese Strategie zeigt Signalwirkung: Andere große Tech-Firmen wie Stripe oder SpaceX beobachten das Modell genau – manche wenden es bereits an.
Ein Insider berichtet: „Für viele Unternehmen in der Wachstumsphase ist der Tender Offer attraktiver als der Gang an die Börse. Er erlaubt Kapitalbeschaffung, ohne Kontrolle abzugeben.“ Gleichzeitig schützt diese Struktur das Unternehmen vor kurzfristigen Börsenschwankungen und spekulativem Druck von Investoren.
Governance und Ethik: Kritik an der Struktur
Kritiker äußern jedoch Bedenken hinsichtlich der langfristigen Ausrichtung von OpenAI. Die Organisation war ursprünglich als Non-Profit gegründet worden. Heute agiert sie als sogenannte „Public Benefit Corporation“ – ein hybrides Modell, das wirtschaftlichen Erfolg mit einer gemeinnützigen Mission vereinen soll. Doch Experten warnen: Dieses Modell könnte in der Praxis dazu führen, dass finanzielle Interessen über die ursprünglichen ethischen Ziele gestellt werden.
„Die Verlagerung hin zu einer gewinnorientierten Struktur birgt die Gefahr, dass die eigentliche Mission – der verantwortungsvolle Umgang mit künstlicher Intelligenz – in den Hintergrund tritt.“ – Stuart Russell, KI-Forscher
Auch der zunehmende Einfluss großer Investoren wie SoftBank weckt Sorgen: Haben diese künftig mehr Mitspracherecht bei strategischen Entscheidungen? Und wie unabhängig bleibt OpenAI bei der Entwicklung sicherer KI-Systeme?
Interne Spannungen: Kritik aus den eigenen Reihen
Nicht alle Mitarbeitenden begrüßen die aktuelle Entwicklung. Frühere Angestellte berichten von restriktiven Exit-Verträgen, die unter anderem lebenslange Verschwiegenheitsklauseln und finanzielle Rückforderungsrechte enthalten. Diese Bedingungen könnten den freien Austausch über Erfahrungen im Unternehmen massiv einschränken.
Zudem wurde bekannt, dass OpenAI versuchte, Aktienoptionen ehemaliger Mitarbeitender verfallen zu lassen, wenn diese nicht aktiv auf Rechteverzichtsklauseln eingingen – ein Vorgehen, das rechtlich und moralisch umstritten ist.
Der Kampf um Talente: 100-Millionen-Boni von Meta und Co.
Die Tech-Branche befindet sich in einem nie dagewesenen Wettbewerb um die besten KI-Talente. Besonders im Fokus: Mitarbeitende von OpenAI. So soll Meta gezielt versucht haben, Entwickler mit Einstiegsboni von bis zu 100 Millionen US-Dollar abzuwerben. Auch Konzerne wie Google DeepMind und Anthropic erhöhen ihre Angebote.
OpenAI kontert diesen Trend durch hohe Gehälter und eben jene attraktiven Tender-Modelle. Für viele ist das Gesamtpaket unschlagbar: Hohe Einstiegsgehälter, Beteiligungen mit realistischer Liquiditätschance – und die Aussicht, bei einem der innovativsten Unternehmen der Welt mitzuwirken.
Globale Dimensionen: Geopolitik und Regulation
Die wachsende Rolle von OpenAI im internationalen KI-Markt bringt auch geopolitische Herausforderungen mit sich. Während die USA auf eher lockere Regulierungsmechanismen setzen, verfolgt die EU mit dem AI Act eine strengere Linie. Diese Regulierungsdifferenzen könnten sich künftig auf die Beteiligungsmodelle und Wertentwicklung von Unternehmen wie OpenAI auswirken.
Gleichzeitig beobachten Länder wie Saudi-Arabien, Südkorea und China die Entwicklungen in den USA genau – und versuchen, mit eigenen Förderprogrammen KI-Fachkräfte zu gewinnen. Die Verhandlungsmacht von Mitarbeitenden steigt damit nicht nur lokal, sondern global.
Privatisierung der KI-Forschung: Gefahr für die Wissenschaft?
Ein oft übersehener Aspekt betrifft die Auswirkungen der hohen Gehälter und Aktiengewinne auf den akademischen Bereich. Immer mehr Top-Wissenschaftler kehren Universitäten den Rücken, um bei Unternehmen wie OpenAI zu arbeiten. Dies führt zu einer schleichenden Privatisierung der KI-Forschung – und könnte die Unabhängigkeit der Forschung gefährden.
Öffentliche Institutionen verlieren dabei nicht nur Know-how, sondern auch Innovationskraft. Für die Gesellschaft stellt sich die Frage: Wem gehört die Zukunft der KI – der Allgemeinheit oder jenen, die sich Anteile leisten können?
Risiken der Sekundärmärkte: Hoch bewertet, aber volatil
Die hohe Bewertung von OpenAI basiert in erster Linie auf privaten Schätzungen und Investoreninteresse. Doch private Märkte sind nicht weniger spekulativ als öffentliche. So fiel der geschätzte Marktwert von OpenAI während der internen Führungsstreitigkeiten im Herbst 2024 auf Plattformen wie Forge oder Carta vorübergehend um bis zu 90 Prozent.
Experten raten daher zur Vorsicht: „Die Illiquidität privater Anteile ist ein Risiko. Wer heute Millionen auf dem Papier besitzt, könnte morgen leer ausgehen, wenn keine Käufer mehr da sind.“
OpenAI als Vorbild – aber nicht ohne Schattenseiten
OpenAI hat mit seinen internen Aktienverkäufen neue Maßstäbe gesetzt. Das Unternehmen beweist, dass es möglich ist, Milliarden zu bewegen, ohne an die Börse zu gehen. Für viele Mitarbeitende ist das ein finanzieller Befreiungsschlag. Für die Branche ein Modell, das Schule machen könnte.
Doch der Erfolg hat auch Schattenseiten: Governance-Probleme, restriktive Verträge, regulatorische Spannungen und eine zunehmende Verschiebung von Wissen in den privaten Sektor werfen Fragen auf, die über kurzfristige Gewinne hinausgehen.
OpenAI steht an einem Scheideweg – zwischen Innovation, Profit und gesellschaftlicher Verantwortung. Welchen Weg das Unternehmen wählt, wird nicht nur seine Mitarbeitenden betreffen, sondern den gesamten technologischen Kurs der kommenden Jahre mitbestimmen.