
Pforzheim – Mit Beginn des kommenden Schuljahrs bringt die Stadt Pforzheim ein neues Punktesystem zur Vergabe von Hortplätzen auf den Weg. Ziel ist mehr Gerechtigkeit bei der Platzvergabe – doch Eltern zeigen sich gespalten: Bringt das neue Verfahren mehr Fairness oder verschärft es die soziale Schieflage?
Transparenz statt Willkür: Warum Pforzheim das System ändert
Schon seit Jahren stößt das bestehende Verfahren zur Vergabe von Betreuungsplätzen an seine Grenzen. Der Druck wächst – besonders im Hinblick auf den kommenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026. Die Stadt Pforzheim reagiert nun mit einer Maßnahme, die bereits in anderen Bereichen wie Krippen- und Kitaplätzen angewandt wird: Ein Punktesystem soll die Hortplatzvergabe ab dem Schuljahr 2026/27 transparenter und gerechter machen.
Ziel der Verwaltung ist es, die Entscheidungen nachvollziehbar zu gestalten und Eltern mehr Planungssicherheit zu geben. Denn bisher galt: Wer zuerst kommt, bekommt einen Platz – sofern überhaupt einer verfügbar war. Diese Praxis stieß zunehmend auf Kritik, vor allem von berufstätigen Eltern und Alleinerziehenden.
So funktioniert das neue Punktesystem
Das neue System baut auf bewährten Elementen der Krippen- und Kitavergabe auf, berücksichtigt jedoch zusätzlich die besonderen Bedürfnisse von Schulkindern und ihren Familien. Punkten können dabei vor allem Eltern mit hohem Betreuungsbedarf – etwa aufgrund von Berufstätigkeit oder sozialen Faktoren.
Die wichtigsten Kriterien im Überblick:
Kriterium | Punkte |
---|---|
Alleinerziehend und berufstätig (ab 20 Std./Woche) | 30 |
Beide Eltern berufstätig (jeweils mind. 20 Std./Woche) | 25 |
Sozialer Förderbedarf (z. B. SGB II-Bezug) | 20 |
Geschwisterkind bereits im Hort | 15 |
Besondere familiäre Belastungen (z. B. Pflegefälle) | 10 |
Bei Punktgleichstand entscheidet – wie auch bisher – in vielen Fällen das Losverfahren. Dies wurde bereits im Vorfeld von Elternverbänden kritisiert, da es trotz objektiver Bewertungselemente ein Element der Zufälligkeit mit sich bringt.
Die Herausforderungen bleiben – trotz Systemumstellung
Mit dem neuen System möchte die Stadt Verwaltungslasten reduzieren, die Gerechtigkeit erhöhen und die Vergabe nachvollziehbarer gestalten. Doch das Punktesystem kann nicht über einen grundlegenden Engpass hinwegtäuschen: den Mangel an Hortplätzen.
Im Jahr 2024 mussten in Pforzheim fast 1.300 Familien eine Absage auf ihren Platzwunsch hinnehmen. Bei rund 2.800 Anträgen entspricht das einer Ablehnungsquote von über 45 Prozent. Trotz erheblicher Investitionen in Neubauten und Personal ist die Nachfrage in der wachsenden Stadt ungebrochen.
„Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ist eine wichtige Errungenschaft. Aber er setzt uns als Kommune unter immensen Druck“, erklärt ein Mitarbeiter aus der Stadtverwaltung. „Wir müssen priorisieren – das Punktesystem hilft uns dabei.“
Wie Eltern das System erleben – Einblicke aus Foren und sozialen Medien
Während die Stadtverwaltung betont, wie viel gerechter das neue Verfahren ist, melden sich Eltern mit ganz anderen Erfahrungen zu Wort. In Foren, Eltern-Facebook-Gruppen und auf Plattformen wie X (vormals Twitter) häufen sich Berichte über Frust, Intransparenz und Enttäuschung.
Ein Vater aus Karlsruhe, das bereits ein ähnliches System eingeführt hat, berichtet: „Uns wurde mitgeteilt, dass die zirka 28 Stunden‑Woche, die meine Frau arbeitet, zu wenig ist. … Da ich nur Vollzeit arbeite, sehen sie bei uns keinen dringenden Betreuungsbedarf.“
Auch in Pforzheim beklagen Eltern, dass selbst bei hoher Punktzahl keine Platzgarantie besteht. Bei Gleichstand greife weiterhin das Los – was viele als willkürlich empfinden. Ein besonders häufig diskutierter Kritikpunkt: Teilzeit arbeitende Alleinerziehende erhalten zwar Punkte für ihren Status, sind aber im Nachteil, wenn die Arbeitszeit unter der geforderten Grenze bleibt.
Die am häufigsten genannten Kritikpunkte:
- Teilzeitstellen führen zu weniger Punkten – auch bei tatsächlichem Betreuungsbedarf
- Fehlende Einzelfallbewertung bei besonderen familiären Situationen
- Unzureichende Kommunikation bei Absagen – oft ohne genaue Begründung
- Kein Einblick in die individuelle Punktelage oder Position auf der Warteliste
Soziale Gerechtigkeit oder Systemdiskriminierung?
Fachleute aus der Erziehungswissenschaft sehen Punktesysteme mit gemischten Gefühlen. Zwar fördern sie Transparenz und Standardisierung, bergen aber auch die Gefahr, Familien mit besonderen Lebenslagen zu benachteiligen.
„Solche Systeme objektivieren soziale Realität. Sie machen sichtbar, was zählbar ist – aber sie machen vieles unsichtbar, was nicht in Punkte übersetzt werden kann“, heißt es in einer Analyse der Bildungsforschung. Aspekte wie Sprachförderbedarf, Behinderungen, kulturelle Unterschiede oder psychische Belastungen würden kaum berücksichtigt.
Aus Sicht vieler Eltern bleibt deshalb der Wunsch, dass ergänzend zu harten Kriterien auch weiche Faktoren Berücksichtigung finden. Eine mögliche Lösung könnten individuelle Beratungsgespräche bei der Platzvergabe sein, wie sie in anderen Städten bereits in Pilotprojekten getestet werden.
Was sich Eltern jetzt wünschen – und was die Stadt tun kann
Die Einführung des neuen Punktesystems ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Struktur und Gerechtigkeit in einem überlasteten System. Dennoch zeigt sich: Ohne ausreichende Plätze wird auch das fairste Vergabeverfahren an seine Grenzen stoßen.
Eltern fordern unter anderem:
- Mehr Transparenz in der Punktevergabe und Einsehbarkeit der Platzvergabe-Reihenfolge
- Einbeziehung weicher Faktoren wie Krankheit, familiäre Belastung, Sprachbarrieren
- Bessere Information im Ablehnungsfall, inkl. Hinweise zu Alternativen
- Langfristige Ausbaupläne für mehr Hortplätze und Personal
Ein viel diskutierter Vorschlag aus der Elternschaft: Eine Online-Plattform, über die der aktuelle Punktestand, die Wartelistenposition und die voraussichtliche Chance auf einen Platz in Echtzeit einsehbar sind – ähnlich wie bei Schulbewerbungen oder Studienplatzvergabe in anderen Ländern.
Fazit: Fortschritt mit offenen Fragen
Mit dem neuen Punktesystem will Pforzheim die Vergabe von Hortplätzen gerechter gestalten. Und tatsächlich: Im Vergleich zur alten Praxis des „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ ist der neue Ansatz ein Fortschritt. Doch die Praxis zeigt: Ein gerechtes System ist nur dann wirksam, wenn es auch ausreichend Plätze gibt, um Nachfrage und Bedarf auszugleichen.
Solange Eltern mit berechtigtem Anspruch leer ausgehen und trotz hoher Punktzahl keinen Platz erhalten, bleibt das Vertrauen in das System brüchig. Transparenz, klare Kommunikation und der Ausbau von Kapazitäten werden entscheidend sein, ob das neue Vergabemodell tatsächlich zu mehr Fairness führt – oder neue Ungerechtigkeiten erzeugt.