
Seit dem 16. August steht bei Air Canada nahezu alles still. Über 10.000 Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter haben ihre Arbeit niedergelegt. Der Grund: Ein harter Tarifkonflikt über unbezahlte Arbeitszeiten. Die Auswirkungen spüren nicht nur zehntausende Passagiere – sondern auch die gesamte kanadische Wirtschaft.
Ein Streik mit Signalwirkung
Am frühen Morgen des 16. August 2025 begann ein Arbeitskampf, der schon jetzt als einer der folgenschwersten in der Geschichte der kanadischen Luftfahrt gilt. Die Gewerkschaft der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter – CUPE – ließ über 10.000 Mitglieder in den Streik treten. Die Konsequenz: Der gesamte Flugbetrieb von Air Canada und der Tochtergesellschaft Air Canada Rouge wurde eingestellt. Etwa 130.000 Reisende pro Tag sind seither betroffen.
Die Forderung der Gewerkschaft ist deutlich: Sie verlangt die Bezahlung der sogenannten „Ground Time“ – also jener Arbeitszeiten, die zwar verpflichtend sind, bislang aber nicht entlohnt werden. Dazu gehören Tätigkeiten wie das Boarding, Sicherheitschecks oder Wartezeiten zwischen den Flügen.
Was steckt hinter dem Begriff „Ground Time“?
In der Luftfahrt wird traditionell nur die Zeit vergütet, in der sich ein Flugzeug tatsächlich in der Luft befindet – das bedeutet: Die Uhr für die Bezahlung beginnt oft erst mit dem Schließen der Flugzeugtüren. Das ist für viele Beschäftigte nicht mehr akzeptabel, zumal sie während der „unbezahlten“ Zeiten dennoch vollumfänglich dienstlich eingebunden sind. Laut CUPE handelt es sich hierbei um rund 35 Stunden unbezahlter Arbeit pro Monat pro Crew-Mitglied.
Welche Flüge sind vom Streik betroffen?
Der Streik betrifft alle Linienflüge von Air Canada sowie Air Canada Rouge. Nicht betroffen sind hingegen Verbindungen, die von Air Canada Express durchgeführt werden, vor allem durch die Partnergesellschaften Jazz Aviation und PAL Airlines. Diese bedienen vorwiegend kleinere Städte im Inland und sind derzeit noch im Einsatz.
Air Canada veröffentlichte eine Liste mit betroffenen Flügen, riet jedoch gleichzeitig davon ab, ohne bestätigte Umbuchung zum Flughafen zu fahren. Die Hotline und Online-Plattformen zur Umbuchung sind massiv überlastet, was die Frustration bei Passagieren weiter anheizt.
Warum streiken Air‑Canada‑Flugbegleiter aktuell?
Die zentrale Forderung ist eine gerechtere Vergütung. Neben der Bezahlung der Ground Time geht es auch um allgemein höhere Löhne. Während Air Canada zuletzt den Piloten eine Lohnerhöhung von 26 Prozent zugestand, wurde der Kabinen-Crew nur eine Erhöhung von 8 Prozent geboten. Die Gewerkschaft spricht deshalb von einem strukturellen Ungleichgewicht – nicht zuletzt auch im Hinblick auf geschlechtsspezifische Lohnunterschiede, da ein Großteil der Flugbegleiter:innen weiblich ist.
Ein Eingriff der Regierung sorgt für Diskussionen
Angesichts der immensen Auswirkungen auf die Bevölkerung und Wirtschaft griff die kanadische Regierung unter Ministerin Patty Hajdu schnell ein. Mit Verweis auf den Canada Labour Code verpflichtete sie sowohl Air Canada als auch die Gewerkschaft zur sogenannten „binding arbitration“ – einer verbindlichen Schlichtung.
Damit soll der Konflikt in geordneten Bahnen gelöst werden. Die Arbeitsniederlegung soll innerhalb von 48 Stunden beendet werden, ein Schlichter vermittelt zwischen den Parteien. Dennoch erwartet Air Canada, dass es mindestens fünf bis zehn Tage dauern könnte, bis der Flugbetrieb wieder vollständig läuft.
Wie lange könnte der Air‑Canada‑Streik dauern?
Offiziell ist kein Enddatum bekannt. Die verpflichtende Schlichtung deutet auf ein baldiges Ende hin, doch bis zum vollständigen Neustart des Flugbetriebs dürfte es noch dauern. Expert:innen gehen von einem Zeithorizont von ein bis zwei Wochen aus, abhängig davon, wie schnell ein Kompromiss zwischen den Parteien gefunden wird und wie effizient die Umstellung auf den Normalbetrieb gelingt.
Reisende zwischen Frust, Ungewissheit und Solidarität
Die Reaktionen der Passagiere fallen gemischt aus. Während viele ihren Unmut über ausgefallene Urlaubsreisen, geschäftliche Termine oder Rückflüge in sozialen Medien äußern, zeigen andere Verständnis für die Forderungen der Beschäftigten. In verschiedenen Foren wie Reddit wird insbesondere diskutiert, ob der Eingriff der Regierung ein Präzedenzfall sei, der das Streikrecht schwächt.
„Ich unterstütze die Forderungen, aber warum passiert das mitten in der Hochsaison? Meine Familie ist in Europa gestrandet“, schreibt ein Nutzer.
„Das zeigt doch, wie absurd das System ist – warum wird Boarding nicht bezahlt?“, entgegnet ein anderer.
Was können Reisende tun, deren Flüge durch den Streik gestrichen wurden?
Air Canada bietet verschiedene Optionen an: Passagiere mit Tickets, die vor dem 14. August gebucht wurden, können kostenlos auf einen anderen Flug zwischen dem 21. August und dem 12. September umbuchen. Alternativ ist die Umwandlung in ein Reiseguthaben oder eine vollständige Rückerstattung möglich.
Wichtig: Anspruch auf Entschädigung nach EU-Recht besteht nicht, da Arbeitskämpfe als außergewöhnliche Umstände gelten. Auch nach kanadischem Recht gibt es keine Verpflichtung zur Kostenübernahme für Hotels oder Verpflegung bei streikbedingten Flugausfällen.
Welche Rechte haben betroffene Passagiere?
Die Regelungen der kanadischen Air Passenger Protection Regulations (APPR) sehen vor, dass bei Flugausfällen durch Streiks kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen besteht – wohl aber auf Rückerstattung oder Umbuchung. In Einzelfällen konnte eine Umbuchung auf andere Airlines organisiert werden, z. B. über British Airways oder United Airlines. Dies ist jedoch kapazitätsabhängig und nicht garantiert.
Wirtschaftliche Auswirkungen für Airline und Land
Air Canada ist Kanadas größte Fluggesellschaft mit über 41.000 Mitarbeitenden. Im Jahr 2024 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 16,1 Milliarden Dollar und einen operativen Gewinn von über 900 Millionen Dollar. Ein mehrtägiger Streik kann Verluste in Millionenhöhe verursachen – ganz zu schweigen von den indirekten Effekten auf den Tourismussektor, Geschäftsreisen und Lieferketten.
Faktor | Auswirkung |
---|---|
Tägliche ausgefallene Flüge | ca. 700 |
Betroffene Passagiere täglich | ca. 130.000 |
Voraussichtliche Dauer der Beeinträchtigung | mindestens 1 Woche |
Direkter Umsatzverlust pro Tag | geschätzt 20–30 Mio. CAD |
Öffentliche Unterstützung für die Forderungen wächst
Eine Umfrage des Angus Reid Instituts zeigt: 59 Prozent der Kanadierinnen und Kanadier befürworten die Forderung nach Bezahlung der Ground Time – selbst wenn dies zu leicht höheren Flugpreisen führen sollte. 74 Prozent sprechen sich sogar für eine gesetzliche Regelung aus, die eine Vergütung für alle geleisteten Arbeitszeiten vorschreibt.
Vor allem der Gender-Aspekt wird betont: Da ein Großteil des Kabinenpersonals weiblich ist, wird der unvergütete Anteil auch als Ausdruck struktureller Benachteiligung gewertet. Der Tarifkonflikt hat sich dadurch in eine breite gesellschaftliche Debatte verwandelt.
Wie geht es weiter?
Die kommenden Tage sind entscheidend. Der Schlichter muss zwischen den Fronten vermitteln, die Regierung beobachtet die Lage aufmerksam. Die Airline ihrerseits steht unter dem Druck, schnellstmöglich den Normalbetrieb wieder aufzunehmen, um Kundenvertrauen und Marktposition nicht zu gefährden.
Der Fall zeigt deutlich: Es geht nicht nur um Gehälter – sondern um die grundlegende Frage, was Arbeitszeit in der Luftfahrt wert ist. Der Streik von Air Canada könnte ein Wendepunkt sein – für die Branche, für Tarifverhandlungen in Nordamerika, und für tausende Beschäftigte weltweit, die ähnliche Missstände erleben.
Reisende sollten sich tagesaktuell auf den Kanälen von Air Canada informieren, Umbuchungen prüfen und nicht ohne Bestätigung zum Flughafen reisen. Die Entwicklungen der nächsten Tage werden zeigen, ob ein Kompromiss möglich ist – oder ob sich der Stillstand auf unbestimmte Zeit verlängert.