Chipkonzern Infineon hofft auf KI-Schub – Kommt jetzt neues Wachstum?

In Wirtschaft
November 12, 2025

München, 12. November 2025. Die grauen Hallen auf dem Infineon-Campus wirken an diesem Morgen ungewöhnlich belebt. Zwischen Laboren und Besprechungsräumen läuft alles auf Hochtouren: Ingenieure testen Leistungsmodule, Strategen tüfteln an neuen Roadmaps. Das Ziel ist klar formuliert – Infineon will mit der Kraft der Künstlichen Intelligenz nicht nur effizientere Chips liefern, sondern die eigene Zukunft sichern.

Ein Konzern auf Kurs in Richtung KI-Infrastruktur

Der Halbleiterhersteller Infineon Technologies AG positioniert sich seit Monaten als entscheidender Akteur im aufstrebenden Markt der KI-Infrastruktur. Nach Jahren, in denen das Geschäft vor allem durch Automobil- und Energietechnik getrieben war, setzt der Konzern nun auf ein Segment, das sprichwörtlich unter Strom steht: die Stromversorgung von Rechenzentren für Künstliche Intelligenz.

Mit dieser strategischen Ausrichtung verfolgt Infineon ein ehrgeiziges Ziel: Bis zum Geschäftsjahr 2025/26 soll der Umsatz im sogenannten AI Power Supply Segment rund 1,5 Milliarden Euro erreichen – fast dreimal so viel wie noch vor zwei Jahren. Vorstandschef Jochen Hanebeck erklärte dazu: „Viele Kunden planen kurzfristig, doch wir sehen langfristig enormes Potenzial. Der Bedarf an effizienter Stromversorgung für KI-Systeme wächst exponentiell.“

Vom Netz bis zum Prozessor: der „Grid-to-Core“-Ansatz

Infineons Konzept, das intern als „Grid to Core“ bezeichnet wird, beschreibt eine ganzheitliche Stromversorgungskette – vom öffentlichen Stromnetz bis zum Prozessor eines KI-Servers. Der Ansatz umfasst dabei sowohl Leistungshalbleiter als auch Systeme zur Spannungswandlung, Energieverteilung und Sicherung. Damit versteht sich Infineon nicht mehr nur als Lieferant einzelner Komponenten, sondern als strategischer Partner für KI-Rechenzentren weltweit.

Besonders im Bereich Edge Computing – also der dezentralen Datenverarbeitung direkt am Gerät – sieht das Unternehmen Chancen. Durch lokal ausgeführte KI-Anwendungen lassen sich Bandbreiten sparen, Datenschutz verbessern und Latenzen minimieren. Ein Positionspapier des Unternehmens fasst es prägnant zusammen: „There is no AI without power.“

Kooperation mit Nvidia: Effizienz für das Herz der Rechenzentren

Ein zentrales Signal für die neue Strategie war die Kooperation mit Nvidia, dem Marktführer für KI-Grafikprozessoren. Gemeinsam entwickeln beide Unternehmen Hochspannungs-Gleichstromsysteme (HVDC) für Serverfarmen. Diese sollen die Verluste reduzieren, die bei herkömmlicher Wechselstromverteilung entstehen. Ziel ist eine höhere Energieeffizienz und Skalierbarkeit der Stromversorgung – entscheidend für das exponentielle Wachstum von KI-Modellen und deren Energiehunger.

Die technische Herausforderung dabei ist gewaltig. Rechenzentren, die heute KI-Modelle mit Billionen von Parametern trainieren, verbrauchen bereits jetzt mehr Strom als manche Großstädte. Nach Infineon-Berechnungen könnten KI-Rechenzentren bis 2030 rund sieben Prozent des weltweiten Stromverbrauchs beanspruchen – etwa so viel wie das heutige Indien. Die Optimierung der Energieeffizienz ist daher nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch relevant.

Neue Materialien: Siliziumkarbid und Galliumnitrid als Schlüssel

Technologisch setzt Infineon auf eine Kombination aus Silizium (Si), Siliziumkarbid (SiC) und Galliumnitrid (GaN). Diese Materialien ermöglichen es, bei deutlich höheren Spannungen und Temperaturen zu arbeiten, was wiederum kompaktere und effizientere Stromversorgungssysteme erlaubt. Gerade in den Bereichen Serverleistung und Netzverteilung gelten SiC- und GaN-Halbleiter als Zukunftstechnologien. Sie bilden das Rückgrat moderner AI-Power-Module.

Ein Beispiel für den technologischen Fortschritt ist Infineons neues Referenzdesign für ein 12-Kilowatt-Stromversorgungsmodul. Das Design verwendet ein dreistufiges Flying-Capacitor-Konzept mit CoolSiC-Bauelementen und erreicht eine Effizienz von über 99 Prozent – ein Spitzenwert in der Branche.

Schwaches Umfeld, starker Zukunftsmarkt

Trotz der ehrgeizigen Pläne steht Infineon weiterhin vor Herausforderungen. Im abgelaufenen Geschäftsjahr stagnierte der Umsatz bei rund 3,94 Milliarden Euro, das Segmentergebnis sank um 14 Prozent. Hanebeck sprach offen über die angespannte Nachfrage und kurzfristige Planung vieler Kunden. Doch während Automobil- und Energiegeschäft unter Druck stehen, öffnet sich mit der KI-Infrastruktur ein neuer Wachstumspfad.

Analysten von MWB Research gehen davon aus, dass Infineons KI-Umsatz, der 2025 noch bei rund 500 Millionen Euro liegt, bis 2027 die Marke von einer Milliarde überschreiten könnte. Die Experten sehen das Unternehmen im Vorteil, weil es nicht auf Logikchips setzt, sondern auf das „Powering AI Infrastructure“ – also den Bereich, der KI erst möglich macht.

Europäische Unterstützung stärkt den Kurs

Die europäische Politik unterstützt diesen Kurs. Die Europäische Kommission hat zusätzliche 50 Milliarden Euro für KI-Technologien zugesagt, womit die Gesamtförderung auf 200 Milliarden steigt. Infineon gehört zu den Unternehmen, die von dieser Initiative profitieren. Der Standort Europa soll damit unabhängiger von asiatischen Lieferketten werden – und Infineon wird zu einem der Schlüsselspieler im Aufbau dieser technologischen Souveränität.

Stimmen aus der Community und der Technikszene

Auch in Fachforen und sozialen Medien ist die strategische Neuausrichtung ein Thema. In Technik-Communities wie Reddit wird Infineon immer wieder in einem Atemzug mit Navitas Semiconductor und Wolfspeed genannt – Unternehmen, die ebenfalls auf SiC- und GaN-Technologie setzen. Die Diskussionen drehen sich dabei vor allem um die Effizienzgewinne und die technische Umsetzung von Hochleistungs-Stromverteilungen.

In einem Beitrag der Community The Component Club lobten Nutzer das neue Referenzdesign des Unternehmens: „Infineon has released a 12 kW reference design aimed at AI servers and data centers… breaking 99% efficiency.“ Diese Zahlen belegen die Innovationskraft, mit der Infineon sich im Wettbewerb positioniert. Ein anderer Nutzer im Forum r/datacenter schrieb: „As AI workloads push energy demands higher, next-gen power solutions like Infineon’s SiC chips are becoming critical.“

Was bedeutet das für Rechenzentren konkret?

Nach Unternehmensangaben sollen die neuen Lösungen den Energiebedarf pro KI-Server um bis zu 15 Prozent senken können. In Verbindung mit Batterie-Backup-Einheiten (BBUs) erreicht Infineon eine bis zu 400 Prozent höhere Leistungsdichte im Vergleich zu herkömmlichen Systemen. Diese Technologie ist entscheidend, um bei Netzschwankungen oder Stromausfällen unterbrechungsfreien Betrieb zu gewährleisten – ein Muss für KI-Training und Echtzeitdatenverarbeitung.

Technische Eckpunkte laut Infineon:

  • Bis zu 800 Volt HVDC für Energieverteilung in Rechenzentren
  • Effizienzsteigerung auf über 99 % bei Stromumwandlung
  • 400 % höhere Leistungsdichte in BBU-Systemen
  • Optimierung von Strompfaden „vom Netz bis zum Core“

Globale Trends und Marktdynamik

Der Markt für Halbleiter im Rechenzentrumsbereich wächst rapide. Laut einer Studie der Yole Group lag der weltweite Umsatz 2024 bei rund 209 Milliarden US-Dollar und soll bis 2030 auf über 500 Milliarden steigen. Besonders das Segment „Power & Infrastructure“ verzeichnet laut der Analyse überdurchschnittliche Zuwachsraten. Infineon bewegt sich damit in einem Markt, der strukturell wächst – unabhängig von kurzfristigen Nachfrageschwächen in anderen Sparten.

Die langfristige Perspektive ist eindeutig: Künstliche Intelligenz verändert nicht nur Softwaremärkte, sondern auch die physische Infrastruktur, die sie trägt. Jeder neue KI-Server, jedes Training großer Sprachmodelle bedeutet höhere Anforderungen an Energieeffizienz, Wärmeableitung und Stabilität – Felder, in denen Infineon traditionell stark ist.

Ein Blick auf die nächsten Jahre

Ob Infineon mit seinem Kurs langfristig Erfolg hat, hängt nicht allein von der Technologie ab, sondern auch von der Fähigkeit, den enormen Energiebedarf künftiger KI-Systeme zu managen. Die Partnerschaft mit Nvidia, die Forschung an neuen Materialien und die europäische Unterstützung bilden dafür ein solides Fundament. Analysten sprechen bereits davon, dass Infineon künftig zu den „zentralen Energielieferanten der digitalen Welt“ gehören könnte – ein Titel, der einstundenweise auf dem Spiel steht.

Für den Moment scheint klar: Infineon setzt nicht auf Hype, sondern auf Infrastruktur. In einer Welt, in der Rechenleistung zum neuen Öl wird, liefert das Münchner Unternehmen das, was alle brauchen – Strom, Stabilität und Effizienz. Oder, wie es ein Unternehmensdokument formuliert: „Artificial intelligence begins with reliable power.“

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.