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Marzahn Pride 2025: Wo liegt die wirkliche Gefahr und Bedrohung

In Aktuelles
Juni 18, 2025

Berlin-Marzahn, 18. Juni 2025, 08:00 Uhr (CCS)

Am kommenden Samstag, dem 21. Juni 2025, wird in Berlin-Marzahn wieder Flagge gezeigt – und das im doppelten Sinne. Die Marzahn Pride zieht zum sechsten Mal durch den Bezirk Marzahn-Hellersdorf und ist längst mehr als nur eine Demonstration für queere Rechte. Sie ist zum politischen Statement gegen Rassismus, Queerfeindlichkeit und rechten Populismus geworden – und sie steht in diesem Jahr besonders unter Beobachtung.

Ein lokales Zeichen mit überregionaler Strahlkraft

Was einst als kleine Initiative begann, hat sich heute zu einem wichtigen Bestandteil der Berliner Pride-Landschaft entwickelt. Die Marzahn Pride reiht sich zwar in die Großveranstaltungen des Berliner „Pride Summers“ ein, unterscheidet sich jedoch klar in ihrer Ausrichtung und Tonalität. Hier geht es weniger um Party, als um Sichtbarkeit – insbesondere für russischsprachige queere Menschen, für Migrant*innen aus osteuropäischen Kontexten und für marginalisierte Gruppen im Bezirk.

Organisiert wird die Veranstaltung erneut von Quarteera e. V., einem Netzwerk russischsprachiger queerer Menschen in Deutschland. Unter dem Motto „Unsere Vielfalt, unser Widerstand“ soll nicht nur gefeiert, sondern auch gegen die politischen Realitäten im Bezirk Stellung bezogen werden. Denn Marzahn-Hellersdorf gehört zu den Bezirken mit einem besonders hohen Stimmenanteil für die AfD und gilt als schwieriges Terrain für queere Menschen.

Politische Rückendeckung – aber nicht ohne Konflikt

Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf positioniert sich in diesem Jahr eindeutig: Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic (CDU) und die queerpolitische Sprecherin des Bezirks stellen klar, dass Vielfalt zur demokratischen Grundhaltung gehört. In einer öffentlichen Erklärung hieß es: „Wir sind verschieden. Wir stehen zusammen.“

Unterstützung kommt auch aus dem Senat. Alfonso Pantisano, Berlins Queer-Beauftragter, kündigte ein umfassendes Sicherheitskonzept in Zusammenarbeit mit der Polizei an. Senatorin Cansel Kiziltepe unterstrich ebenfalls die Bedeutung des Events: „Die Marzahn Pride ist ein unmissverständliches Zeichen für Vielfalt in schwierigen Zeiten.“

Gegenwind von rechts – Gegendemo rechtsextremer Gruppen

Parallel zur Pride haben rechtsextreme Gruppen, darunter die als gewaltbereit eingestufte Organisation „Deutsche Jugend voran“ (DJV), eine eigene Demonstration angemeldet. Der Titel ihres Aufmarschs: „Gegen Identitätsverwirrung und Genderwahn“. Die Route dieser Gegendemonstration soll nach bisherigen Plänen in unmittelbarer Nähe zum Pride-Zug verlaufen.

Die Behörden stehen unter Druck: In einem Bezirk mit wachsender politischer Radikalisierung und dokumentierten Fällen queerfeindlicher Übergriffe wird ein Aufeinandertreffen befürchtet. Die Polizei arbeitet an klar abgegrenzten Sperrzonen und Sicherheitskorridoren. Vergangene Vorfälle, etwa in Bad Freienwalde, wo Neonazis gezielt queere Veranstaltungen störten, lassen die Sorge wachsen.

Die Bedrohungslage im Überblick

BedrohungBeschreibung
Rechtsextreme DemonstrationGegendemo der „Deutschen Jugend voran“ mit bis zu 300 Teilnehmenden in Nähe zur Pride.
Physische AngriffeIn den Vorjahren kam es zu Eierwürfen und gezielter Einschüchterung queerer Teilnehmender.
Politische SpannungWachsende Zustimmung zur AfD im Bezirk erschwert queere Sichtbarkeit und Dialog.

Queere Selbstermächtigung trotz Gegenwind

Für Adam Baas von Quarteera ist klar: „Wir lassen uns nicht einschüchtern. Gerade hier müssen wir präsent sein.“ Die Marzahn Pride sei keine Eventveranstaltung, sondern ein Ort des Widerstands und der Begegnung – auch für Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, Sprache oder religiösen Prägung innerhalb queerer Communities Diskriminierung erfahren.

Mit der Teilnahme an Modellprojekten wie „Разнообразие heißt Vielfalt“ der Bundeszentrale für politische Bildung baut Quarteera gezielt Bildungsangebote für russischsprachige Multiplikator*innen aus. Workshops, Fortbildungen und kulturelle Angebote schaffen neue Brücken in Communitys, in denen Akzeptanz nicht selbstverständlich ist.

Kulturelle Formate als Brückenbauer

Anders als beim CSD in der Innenstadt ist die Marzahn Pride auch eine Plattform für Ausdrucksformen, die kulturell in der post-sowjetischen Szene verankert sind. Musik, Tanz, Drag-Performances und Mode spiegeln hier nicht nur queere Lebensfreude, sondern auch Identitätsfindung und interkulturellen Dialog wider. Besonders in Marzahn, einem Bezirk mit hohem Anteil an Migrant*innen aus Russland, der Ukraine und Kasachstan, ist dies ein wichtiges Zeichen.

„Ich spreche mit meiner Community auf Russisch über Pride, weil viele sonst keine Verbindung finden. Wir brauchen Sprache, die verbindet, nicht abschreckt.“ – Teilnehmerin der Pride Week

Neue Allianzen und antikapitalistische Akzente

Spannend ist auch die zunehmende Vernetzung mit anderen Pride-Formaten in Berlin. Während der klassische CSD in der Kritik steht, zu kommerziell und unpolitisch zu sein, rücken alternative Bewegungen wie die Internationalist Queer Pride Berlin (IQPB) oder der Transgeniale CSD stärker ins Zentrum der Communitys.

Diese setzen auf Themen wie Antikolonialismus, Antirassismus und Geflüchtetenrechte – Aspekte, die zunehmend auch bei der Marzahn Pride aufgegriffen werden. Ein Ziel: Sichtbarkeit nicht nur für queere Menschen, sondern auch für mehrfach marginalisierte Gruppen schaffen.

Zwischen Empowerment und Unsicherheit

Doch trotz aller Fortschritte bleibt die Lage fragil. Die strukturelle Unsicherheit, die viele queere Menschen im Bezirk erfahren, wird durch die Präsenz extremistischer Gruppen weiter verschärft. Die Frage, ob der Staat genug tut, um Veranstaltungen wie die Marzahn Pride zu schützen, steht offen im Raum.

Gleichzeitig ist der Wunsch nach Selbstwirksamkeit spürbar. Die Pride Week vom 13. bis 21. Juni zeigt das eindrucksvoll: Mit Diskussionsrunden, Kunstausstellungen, Lesungen und Bildungsformaten hat die Community in Marzahn ein Angebot geschaffen, das weit über den einen Demonstrationstag hinausreicht.

Beispiele für Veranstaltungen der Pride Week

  • Workshop: „Queer sein und postmigrantisch – Identitäten zwischen den Welten“
  • Podium: „Wie sicher ist queeres Leben in Berlin?“
  • Ausstellung: „Queeres Leben im Plattenbau – Geschichten aus Marzahn“

Ein Fazit mit Widerhaken

Die Marzahn Pride 2025 ist ein Ereignis, das weit über den Bezirk hinausweist. Sie macht deutlich, dass queere Sichtbarkeit und politischer Aktivismus auch dort möglich sind, wo das gesellschaftliche Klima rau ist. Gleichzeitig zeigt sie die Grenzen auf: solange rechte Gruppierungen ungehindert aufmarschieren dürfen, bleibt der Schutz queerer Menschen fragil.

Und dennoch: Die Veranstaltung wird stattfinden – bunt, laut, politisch. Als Erinnerung daran, dass Demokratie nicht von allein funktioniert. Und dass Solidarität im Alltag beginnt, nicht nur auf der Straße.

Der 21. Juni ist mehr als ein Demonstrationstag. Er ist ein Versprechen.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.