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Nach Angriff in Bad Freienwalde: Eberswalder CSD unter verstärktem Polizeischutz

In Aktuelles
Juni 20, 2025
CSD

Nach dem gewaltsamen Übergriff auf ein Fest für Vielfalt in Bad Freienwalde rüstet sich Eberswalde für den anstehenden Christopher Street Day (CSD). Die Demonstration für Gleichberechtigung und gegen Queerfeindlichkeit steht in diesem Jahr unter besonderen Vorzeichen: erhöhte Sicherheitsvorkehrungen, politische Spannungen und die Herausforderung, ein Zeichen für Vielfalt zu setzen, ohne sich einschüchtern zu lassen.

Ein Angriff, der bundesweit für Aufmerksamkeit sorgt

Am 15. Juni wurde ein als friedlich geplantes Fest in Bad Freienwalde durch eine Gruppe vermummter, mutmaßlich rechtsextremer Täter gestört. Mehrere Personen griffen Teilnehmende körperlich an, zwei wurden leicht verletzt. Der Angriff erfolgte gezielt und organisiert – das hat nicht nur die Veranstaltenden, sondern auch Polizei und Politik aufgeschreckt. Die Ermittlungen richten sich unter anderem gegen einen 21-jährigen Mann mit mutmaßlichen Verbindungen zur Kleinstpartei „Der Dritte Weg“.

Der Vorfall hat weit über die Region hinaus Wellen geschlagen. Insbesondere vor dem Hintergrund steigender queerfeindlicher Gewalt in Deutschland – ein Trend, der sich bereits in den letzten Jahren abzeichnete – wurde die Tat zum Symbol einer wachsenden Bedrohungslage für queere Communities.

Die Antwort: Sichtbarkeit trotz Bedrohung

Die Veranstalter:innen des Eberswalder CSD zeigen sich trotz der Umstände entschlossen. „Wir lassen uns nicht einschüchtern“, betonte Organisator Maximilian Armonies. Für Samstag, den 21. Juni, wird eine breite Beteiligung mit bis zu 2.000 Demonstrierenden erwartet. Gleichzeitig wurde das Sicherheitskonzept umfassend überarbeitet.

Ein Sicherheitsaufgebot in bisher unbekanntem Ausmaß

Die Polizei Brandenburg wird mit starken Kräften vor Ort sein: Neben Hundestaffeln und Bereitschaftseinheiten ist auch der Staatsschutz involviert. Die Route der Demonstration wurde angepasst, die Zuwegungen gesichert und präventive Maßnahmen gegen mögliche Störaktionen ergriffen. Auch private Sicherheitsdienste und zivilgesellschaftliche Gruppen, darunter Antifa-Kollektive, sind in die Schutzkonzepte eingebunden.

Gegenveranstaltung der AfD als zusätzlicher Spannungsherd

Zusätzlich zur angespannten Lage plant die AfD am gleichen Tag ein Sommerfest auf dem Marktplatz – direkt in Sichtweite der CSD-Route. Die örtliche Parteigliederung behauptet, das Fest sei lange zuvor geplant worden, doch Kritiker werfen der AfD gezielte Provokation vor. Die Nähe von rechtspopulistischer Veranstaltung und queerer Demonstration birgt erhebliches Eskalationspotenzial, das auch polizeiintern zu erhöhter Wachsamkeit führt.

Steigende Gewalt gegen queere Menschen – ein bundesweites Problem

Der Angriff in Bad Freienwalde ist kein Einzelfall. Bundesweit haben queerfeindliche Übergriffe deutlich zugenommen:

JahrQueerfeindliche Straftaten gesamtGewalttatenBeleidigungen
20221.007172358
20231.499288449

In Brandenburg allein wurden im vergangenen Jahr 242 rechtsextreme Gewalttaten registriert – ein alarmierender Anstieg. Dabei richtet sich die Gewalt zunehmend gegen Veranstaltungen, die für Vielfalt, Toleranz und Demokratie eintreten.

Zivile Gesellschaft rückt zusammen

In Reaktion auf die Ereignisse zeigen sich zahlreiche Initiativen solidarisch. Queere Netzwerke, antifaschistische Gruppen und politische Vertreter rufen zur Teilnahme am Eberswalder CSD auf. „Sichtbarkeit ist unser Schutz“, heißt es aus Reihen der Organisator:innen. Auch in sozialen Medien findet der Aufruf große Resonanz – unter Hashtags wie #EberswaldeSteht oder #PrideOhneAngst verbreitet sich der Protest digital.

Ein weiterer Aspekt: Die Community nimmt den Schutz vermehrt selbst in die Hand. Es wurden Absprachen mit regionalen Verkehrsunternehmen getroffen, um An- und Abreisen in sicheren Gruppen zu ermöglichen. Zudem kommen private Sicherheitsdienste zum Einsatz, um insbesondere sensible Bereiche wie Versammlungsorte und Bahnhöfe abzusichern.

Staatliches Handeln: Deeskalation oder Symbolpolitik?

Die Behörden stehen in der Kritik: Viele Aktivist:innen werfen ihnen vor, in der Vergangenheit bei ähnlichen Ereignissen zu zögerlich gehandelt zu haben. So erinnern sich viele an die Eskalationen in Chemnitz 2018, als rechte Demonstrationen außer Kontrolle gerieten – ein Ereignis, das auch durch unzureichende Polizeipräsenz gekennzeichnet war.

Ein Zitat eines Aktivisten bringt die Stimmung auf den Punkt:

„Wenn der Staat erst nach einem Angriff reagiert, ist das zu spät. Wir brauchen echte Prävention – nicht nur Nachsorge.“

In Eberswalde jedoch scheint ein Umdenken stattgefunden zu haben. Die Polizei spricht von einem „präventiven Schutzkonzept“, das auf Erfahrung, Analyse und Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren basiert. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Wandel langfristig trägt oder lediglich dem öffentlichen Druck geschuldet ist.

Politische Instrumentalisierung als Gefahr

Besondere Aufmerksamkeit erregte ein Video aus AfD-Kreisen, das die Vorgänge in Bad Freienwalde als „Inszenierung“ darstellte. Die Verharmlosung solcher Gewaltakte trifft auf scharfe Kritik – unter anderem von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Auch die Nähe des AfD-Fests zur CSD-Route gilt vielen als kalkulierte Provokation.

Die AfD selbst weist die Vorwürfe zurück, betont aber gleichzeitig eine „kritische Haltung zur Frühsexualisierung und Genderideologie“. Ein Narrativ, das von Beobachtern als Deckmantel für homofeindliche Rhetorik bewertet wird.

Die Rolle der Kommunen und strukturelle Hürden

Viele queere Initiativen kämpfen in Brandenburg nicht nur mit Bedrohungen von außen, sondern auch mit bürokratischen Hürden. Genehmigungen, hohe Gebühren für Versammlungen und mangelnde Unterstützung durch Städte erschweren die Organisation von CSDs. Der Eberswalder CSD bildet hierbei eine Ausnahme – unterstützt von Stadtverwaltung und Polizei gleichermaßen. Doch das ist längst nicht überall der Fall.

In Schönebeck etwa musste ein geplanter CSD im Frühjahr 2025 abgesagt werden, da sich Stadtverwaltung und Orga-Team nicht auf eine Route einigen konnten. Ein Präzedenzfall, der die strukturellen Schwächen im Umgang mit queerer Sichtbarkeit verdeutlicht.

Ein Zeichen für Vielfalt – trotz allem

Eberswalde steht in diesen Tagen stellvertretend für viele kleinere und mittlere Städte in Deutschland: Orte, in denen sich eine offene Gesellschaft unter schwierigen Bedingungen behaupten muss. Die massive Polizeipräsenz, die gesellschaftliche Mobilisierung und die politische Dimension des CSD 2025 machen deutlich: Der Kampf um Sichtbarkeit und Sicherheit ist noch lange nicht vorbei.

Doch die Hoffnung bleibt – getragen von einer entschlossenen Community, solidarischer Zivilgesellschaft und wachsendem öffentlichen Bewusstsein. Wenn am Samstag die ersten bunten Fahnen durch die Straßen Eberswaldes wehen, wird deutlich: Vielfalt lässt sich nicht verdrängen. Sie ist gekommen, um zu bleiben.

Ausblick

Die kommenden Wochen werden zeigen, welche politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen der Vorfall von Bad Freienwalde und der Umgang mit dem CSD Eberswalde haben wird. Ein Indikator wird sein, ob der Staat über kurzfristige Reaktionen hinaus zu dauerhaften Schutzmechanismen findet. Ebenso entscheidend: ob sich eine breite demokratische Allianz gegen Hass formiert – nicht nur in Eberswalde, sondern in ganz Deutschland.

Denn eines steht fest: Die Verteidigung von Vielfalt ist keine Randnotiz. Sie ist das Fundament einer demokratischen Gesellschaft.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.