Politische Zäsur mit Signalwirkung? Erste Abschiebung nach Syrien seit 2011: Deutschland weist verurteilten Straftäter aus

In Politik
Dezember 24, 2025

Berlin, 24. Dezember – Es ist ein Schritt, der lange als undenkbar galt und nun kurz vor Jahresende Realität geworden ist. Über Jahre hinweg war Syrien ein Land, in das Deutschland niemanden abschob – zu groß die Unsicherheit, zu unübersichtlich der Krieg, zu fragil die staatlichen Strukturen. Am Dienstag jedoch verließ erstmals seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs wieder ein abgeschobener Straftäter deutschen Boden mit dem Ziel Damaskus.

Mit dieser Entscheidung setzt die Bundesregierung ein deutliches politisches Zeichen. Die Abschiebung eines verurteilten Straftäters nach Syrien markiert einen Wendepunkt in der deutschen Abschiebepolitik und berührt zugleich zentrale Fragen von Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und humanitärer Verantwortung.

Erste Abschiebung nach Syrien seit 2011

Abgeschoben wurde ein 37-jähriger syrischer Staatsangehöriger, der in Nordrhein-Westfalen wegen besonders schweren Raubes, Körperverletzung und Erpressung verurteilt worden war. Nach vollständiger Verbüßung seiner Haftstrafe wurde der Mann am Dienstag mit einem Linienflug nach Damaskus ausgeflogen und dort den syrischen Behörden überstellt. Dies bestätigte das Bundesinnenministerium in Berlin.

Es handelt sich um die erste Abschiebung nach Syrien seit Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 2011. In den vergangenen 14 Jahren war eine Rückführung aus Deutschland faktisch ausgeschlossen gewesen, da die Sicherheitslage im Land von deutschen Behörden durchgehend als zu gefährlich eingestuft wurde.

Die nun erfolgte Abschiebung ist daher nicht nur ein einzelner Verwaltungsvorgang, sondern ein politisch hoch aufgeladener Schritt. Sie zeigt, dass die Bundesregierung ihre bisherige Praxis grundlegend überprüft und neu ausrichtet – zumindest in Fällen schwerer Straftaten.

Koalitionsbeschluss und politische Linie

Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) verwies in einer Stellungnahme auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD. Darin hatten sich die Regierungsparteien darauf verständigt, Abschiebungen „nach Afghanistan und Syrien – beginnend mit Straftätern und Gefährdern“ wieder zu ermöglichen. Die jetzt vollzogene Abschiebung nach Syrien setzt diese Vereinbarung erstmals konkret um.

Dobrindt betonte, die Maßnahme sei Ausdruck eines klaren rechtsstaatlichen Prinzips. Die Gesellschaft habe ein berechtigtes Interesse daran, dass Menschen, die schwere Straftaten begangen haben, das Land verlassen. Abschiebung nach Syrien sei dabei kein Automatismus, sondern das Ergebnis sorgfältiger rechtlicher und politischer Abwägungen.

Bereits im Sommer 2025 hatte Deutschland nach jahrelanger Unterbrechung Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufgenommen. Auch dort wurden zunächst verurteilte Straftäter und als gefährlich eingestufte Personen zurückgeführt. Die Abschiebung nach Syrien fügt sich nun in diese Linie ein.

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Diplomatische Vorbereitung und Abstimmungen

Der Schritt nach Syrien war nach Angaben des Innenministeriums das Ergebnis monatelanger Gespräche mit den Behörden in Damaskus. Ziel dieser Gespräche sei es gewesen, einen rechtlich tragfähigen Rahmen für Rückführungen zu schaffen. Die Bundesregierung machte deutlich, dass Abschiebungen nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen sollen und nicht pauschal.

In Regierungskreisen wird darauf verwiesen, dass sich die politische Lage in Syrien verändert habe. Nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Baschar al-Assad im Jahr 2024 sei ein Übergangspräsident im Amt, und die Bundesregierung stuft den Bürgerkrieg als beendet ein. Diese Neubewertung bildet die Grundlage für die aktuelle Entscheidung.

Gleichzeitig betonen Bundesbehörden, dass jede Abschiebung individuell geprüft werde. Maßgeblich seien dabei sowohl die persönliche Situation des Betroffenen als auch die Einschätzung der Sicherheitslage im Zielgebiet.

Reaktionen zwischen Zustimmung und scharfer Kritik

Die erste Abschiebung nach Syrien seit Beginn des Bürgerkriegs hat umgehend eine breite innenpolitische Debatte ausgelöst. Befürworter einer restriktiveren Migrationspolitik sehen darin ein überfälliges Signal. Der Staat müsse handlungsfähig bleiben und konsequent auf schwere Straftaten reagieren – unabhängig von Herkunft oder Staatsangehörigkeit.

In Teilen der Öffentlichkeit wird die Entscheidung auch vor dem Hintergrund einer seit Jahren angespannten Migrationsdebatte diskutiert. Migration und innere Sicherheit zählen laut Umfragen zu den Themen, die viele Bürger besonders bewegen. Die Bundesregierung steht dabei unter dem Druck, sowohl rechtstaatliche Prinzipien durchzusetzen als auch humanitäre Standards zu wahren.

Warnungen von Menschenrechtsorganisationen

Deutliche Kritik kommt von Menschenrechtsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Sie warnen davor, die Lage in Syrien vorschnell als stabil zu bewerten. Trotz politischer Veränderungen gebe es weiterhin Berichte über Menschenrechtsverletzungen, mangelnde Rechtssicherheit und unklare Machtverhältnisse in verschiedenen Regionen des Landes.

Die Organisationen befürchten, dass abgeschobene Personen in Syrien Risiken ausgesetzt sein könnten, die aus deutscher Sicht nicht vollständig kontrollierbar seien. Insbesondere der Umgang der syrischen Behörden mit Rückkehrern bleibe schwer einschätzbar.

Kritiker erinnern zudem daran, dass viele der rund eine Million Syrer, die heute in Deutschland leben, vor Gewalt, Zerstörung und Verfolgung geflohen sind. Die Abschiebung nach Syrien – selbst von Straftätern – sei daher nicht nur eine juristische, sondern auch eine moralische Frage.

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Rechtsstaat zwischen Härte und Verantwortung

Die Bundesregierung betont, dass es sich bei der Abschiebung nach Syrien nicht um eine generelle Abkehr vom Schutzgedanken des Asylrechts handelt. Vielmehr gehe es um eine klare Trennung zwischen schutzbedürftigen Flüchtlingen und Personen, die durch schwere Straftaten das Gastrecht verwirkt hätten.

Juristisch stützt sich die Maßnahme auf bestehende Gesetze, die Abschiebungen nach Haftverbüßung ermöglichen, sofern keine zwingenden Abschiebungshindernisse bestehen. Politisch jedoch bewegt sich die Regierung auf einem schmalen Grat: Jeder einzelne Fall kann zur Grundsatzfrage werden.

Die Abschiebung nach Syrien dürfte daher nicht die letzte gewesen sein, die öffentlich diskutiert wird. Beobachter rechnen damit, dass weitere Fälle folgen könnten – und dass Gerichte, Opposition und Zivilgesellschaft diese Entscheidungen aufmerksam begleiten werden.

Signalwirkung über den Einzelfall hinaus

Unabhängig vom konkreten Fall entfaltet die Abschiebung eine erhebliche Signalwirkung. Sie zeigt, dass Deutschland bereit ist, auch langjährige Tabus in der Abschiebepolitik zu überprüfen. Zugleich erhöht sie den Druck auf die Bundesregierung, ihre Neubewertung der Lage in Syrien transparent und nachvollziehbar zu begründen.

Ob sich diese Linie langfristig durchsetzt, hängt nicht zuletzt von der weiteren Entwicklung in Syrien selbst ab – und davon, wie belastbar die politischen und rechtlichen Grundlagen der aktuellen Entscheidung sind.

Ein Wintermoment mit langfristigen Folgen

Dass die erste Abschiebung nach Syrien ausgerechnet kurz vor Weihnachten erfolgt, verleiht dem Vorgang eine besondere Symbolik. In einer Zeit, die traditionell von Besinnlichkeit geprägt ist, rückt die harte Realität staatlicher Entscheidungen in den Vordergrund. Die Bundesregierung setzt damit bewusst ein Zeichen: Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sollen auch dann gelten, wenn Entscheidungen unbequem sind.

Die Debatte darüber, wie weit Abschiebungen gehen dürfen und müssen, wird damit nicht beendet, sondern neu entfacht. Die Abschiebung nach Syrien ist weniger ein Schlusspunkt als der Auftakt zu einer Phase intensiver politischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Auseinandersetzung über die Grenzen und Möglichkeiten deutscher Migrationspolitik.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.