Machtwechsel nach 35 Jahren Machtwechsel in Potsdam: Noosha Aubel löst SPD im Rathaus ab

In Politik
Oktober 13, 2025

POTSDAM – Nach über drei Jahrzehnten SPD-Herrschaft erlebt Potsdam einen historischen Wendepunkt. Die parteilose Kandidatin Noosha Aubel hat die Stichwahl zur Oberbürgermeisterin deutlich gewonnen und beendet damit die Ära der Sozialdemokraten im Rathaus. Ihr Sieg gilt als Symbol eines breiteren politischen Wandels – weg von Parteibindung, hin zu Persönlichkeitswahl und Bürgernähe.

Ein historischer Sieg in der Landeshauptstadt

Mit 72,9 Prozent der Stimmen triumphierte die parteilose Noosha Aubel über ihren SPD-Konkurrenten Severin Fischer, der nur 27,1 Prozent erreichte. Damit endet eine 35-jährige Ära sozialdemokratischer Oberbürgermeister in Potsdam – eine Serie, die mit Horst Gramlich begann und über Matthias Platzeck, Jann Jakobs und zuletzt Mike Schubert reichte. Insgesamt gaben 60.803 Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme ab, was einer Wahlbeteiligung von 42,5 Prozent entspricht.

Der Erfolg Aubels ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie gewann in allen 131 Wahlbezirken und setzte sich damit nicht nur in den traditionell grünen oder bürgerlichen Vierteln durch, sondern auch in Teilen der Stadt, die sonst fest in SPD-Hand lagen. Noch nie zuvor war eine parteilose Kandidatin in Potsdam so klar erfolgreich.

„Ich bin echt geblieben“ – Die neue Tonlage im Rathaus

In ihrer Dankesrede sprach Aubel von einem „Moment der Veränderung“. Sie wolle, so ihre Worte, „echt bleiben“ und Politik auf Augenhöhe gestalten. Damit positionierte sie sich bewusst gegen das Bild einer Politik, die von Parteiapparaten gesteuert wird. Ihr Wahlslogan und das T-Shirt mit der Aufschrift „Wir sind Oberbürgermeisterin“ unterstrichen den Anspruch, Bürgernähe und Gemeinschaft zu verkörpern.

Noosha Aubel, 49 Jahre alt, ist die erste Frau seit 1984 auf dem Oberbürgermeisterposten Potsdams. Sie studierte Erziehungswissenschaften und Organizational Management, arbeitete als Beigeordnete für Bildung, Jugend und Kultur und kennt die Verwaltung der Stadt aus dem Effeff. Nach internen Konflikten mit dem früheren Oberbürgermeister Mike Schubert hatte sie 2023 die Verwaltung verlassen – um nun in einem spektakulären Comeback als neue Rathauschefin zurückzukehren.

Die Ursachen des SPD-Verlusts

Die SPD hatte in Potsdam über Jahrzehnte eine dominierende Stellung. Doch zuletzt wuchs der Unmut. Der Bürgerentscheid im Mai 2025, der den damaligen SPD-Oberbürgermeister Mike Schubert aus dem Amt drängte, war ein deutliches Zeichen. Vorwürfe von Missmanagement und eine sogenannte „VIP-Ticket-Affäre“ beschädigten das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger nachhaltig. Hinzu kamen sinkende Beteiligungsraten und der Eindruck, dass die SPD zu sehr mit sich selbst beschäftigt sei.

Politikwissenschaftler sehen in Aubels Sieg einen Ausdruck eines überregionalen Trends: Immer mehr Städte entscheiden sich für parteilose oder unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten. Diese Entwicklung, so Experten, spiegle das wachsende Misstrauen vieler Menschen gegenüber etablierten Parteien wider. In Brandenburg, aber auch bundesweit, sind parteiunabhängige Bürgermeisterwahlen auf dem Vormarsch.

Warum hat Noosha Aubel in Potsdam gewonnen?

Diese Frage bewegt viele Bürgerinnen und Bürger – auch über Potsdam hinaus. Der entscheidende Faktor war wohl Aubels glaubwürdiger Auftritt. Sie präsentierte sich als unideologische, pragmatische Politikerin, die Lösungen sucht, statt Parteipositionen zu verteidigen. Ihre Unterstützung durch ein breites Bündnis aus Grünen, Volt, Die Andere und der Tierschutzpartei verlieh ihrer Kandidatur zusätzliches Gewicht.

In Stadtteilen mit hoher Wahlbeteiligung wie Babelsberg und Bornstedt erzielte sie überdurchschnittliche Ergebnisse. Anders sah es in sozial schwächeren Gebieten wie Schlaatz oder Drewitz aus: Dort war die Beteiligung deutlich geringer, und viele Stimmen gingen in früheren Wahlrunden an die AfD. In der Stichwahl aber entschieden sich viele dieser Wählerinnen und Wähler offenbar für Aubel oder blieben der Urne fern.

Ein neues Verständnis von Stadtpolitik

Noosha Aubel betonte mehrfach, dass sie den Dialog mit allen Bürgern führen wolle – auch mit denen, die sie nicht gewählt haben. „Ich werde nicht alles versprechen, aber erklären, wenn etwas nicht geht“, sagte sie am Wahlabend. Diese Haltung unterscheidet sie von klassischen Parteipolitikern, die oft Erwartungen wecken, die später nicht erfüllbar sind.

Schwerpunkte der neuen Amtsinhaberin

Inhaltlich kündigte Aubel an, die Themen Wohnungsbau, Verkehr und Bildung in den Mittelpunkt zu stellen. Besonders die Wohnraumpolitik gilt als eine ihrer größten Herausforderungen: Potsdam wächst, Flächen sind knapp, und die Mietpreise steigen. Aubel spricht von „intelligenter Verdichtung“ und will neuen Wohnraum schaffen, ohne Grünflächen zu opfern. Gleichzeitig setzt sie auf eine „autoarme Innenstadt“, nicht – wie ihr Gegner Fischer behauptete – auf eine autofreie.

Beispielhafte Ziele ihrer Agenda:

  • Ausbau bezahlbarer Mietwohnungen in kommunaler und genossenschaftlicher Trägerschaft
  • Mehr Tempo beim Ausbau von Kitas und Schulen
  • Förderung klimafreundlicher Mobilität ohne ideologische Zwänge
  • Stärkung der Kultur- und Jugendarbeit in Stadtteilen mit Integrationsbedarf
  • Dialogrunden mit Bürgerinitiativen, um Verwaltungstransparenz zu verbessern

Wachsende Erwartungen der Bürger

Viele Bürgerinnen und Bürger verbinden mit Aubels Amtsantritt Hoffnung auf einen neuen Stil. In den sozialen Netzwerken wird sie als „Bürgermeisterin des Aufbruchs“ bezeichnet. Auf Plattformen wie Twitter oder in lokalen Facebook-Gruppen wird besonders ihre Authentizität hervorgehoben. Gleichzeitig warnen einige Stimmen davor, dass die parteilose Rolle auch eine Herausforderung sein könnte – ohne Parteiapparat fehlen Strukturen, auf die sie sich stützen könnte.

Wahlbeteiligung und gesellschaftliche Trends

Die Wahlbeteiligung von nur 42,5 Prozent zeigt ein ambivalentes Bild. Einerseits gelang es Aubel, viele Menschen zu mobilisieren, die zuvor als politikfern galten. Andererseits verweist die niedrige Beteiligung darauf, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung dem politischen Prozess weiterhin distanziert gegenübersteht. Besonders in den südlichen Stadtteilen blieb die Beteiligung gering – ein Muster, das schon bei früheren Kommunalwahlen zu beobachten war.

Statistik: Wichtige Kennzahlen der Wahl

KriteriumWert
Gesamtzahl Wahlberechtigte143.046
Abgegebene Stimmen60.803
Wahlbeteiligung42,5 %
Stimmen für Noosha Aubel43.446 (72,9 %)
Stimmen für Severin Fischer (SPD)16.177 (27,1 %)

Der politische und gesellschaftliche Kontext

Die Wahl in Potsdam ist auch Ausdruck einer sich wandelnden politischen Kultur. Die klassische Parteibindung verliert an Bedeutung, Persönlichkeiten rücken stärker in den Vordergrund. Während die SPD in Brandenburg und bundesweit mit schwindenden Mitgliederzahlen kämpft, gewinnen parteiunabhängige Akteure an Einfluss. Diese Entwicklung zeigt sich nicht nur in Kommunen, sondern zunehmend auch bei Landrats- und Bürgermeisterwahlen.

Die Politikwissenschaft deutet diese Entwicklung als „Lokalisierung“ der Politik: Wähler entscheiden nicht mehr nach Parteiprogramm, sondern nach persönlichem Vertrauen. Noosha Aubel steht damit für einen Typus Politikerin, der sich jenseits klassischer Parteigrenzen bewegt – kompetent, kommunikativ, und mit einem Fokus auf praktische Lösungen.

Reaktionen aus Politik und Stadtgesellschaft

Die Reaktionen auf Aubels Sieg fielen deutlich aus. SPD-Vertreter zeigten sich enttäuscht, gratulierten aber fair. Der kommissarische Oberbürgermeister Burkhard Exner (SPD) sprach von einer „Zäsur“ und wünschte der neuen Amtsinhaberin „Kraft und Weitsicht“. Vertreter der Grünen und von Volt feierten den Sieg als „Signal für Aufbruch und Offenheit“.

Auch viele Bürger äußerten Erleichterung: Nach Jahren parteipolitischer Spannungen hoffen sie auf mehr Sachorientierung und weniger Machtkämpfe. „Ich wünsche mir, dass es endlich wieder um Lösungen geht – nicht um Zuständigkeiten“, schrieb eine Nutzerin in einem lokalen Forum.

Welche Bedeutung hat der Machtwechsel für die SPD?

Die Niederlage hat Signalwirkung. Nach 35 Jahren ununterbrochener Rathauspräsenz muss die SPD in Potsdam ihren Platz neu finden. Der Bürgerentscheid gegen Mike Schubert und das schwache Ergebnis Fischers deuten darauf hin, dass sich die Partei von ihrer einstigen Kernwählerschaft entfremdet hat. Innerhalb der SPD mehren sich Stimmen, die einen Neuanfang fordern – personell wie inhaltlich.

Ausblick: Eine Stadt im Wandel

Für Noosha Aubel beginnt nun die eigentliche Herausforderung: das Vertrauen, das sie gewonnen hat, in Ergebnisse umzuwandeln. Ihre Politik wird daran gemessen werden, ob sie tatsächlich eine neue Nähe zu den Bürgern herstellt – und ob es ihr gelingt, unterschiedliche Interessen in einer wachsenden Stadt auszubalancieren.

Was erwartet Potsdam unter Noosha Aubel?

Potsdam steht vor großen Aufgaben: bezahlbares Wohnen, nachhaltige Stadtentwicklung, Mobilitätswende und sozialer Zusammenhalt. Aubel hat betont, sie wolle Verwaltung und Bürgergesellschaft enger verzahnen und mehr Transparenz schaffen. Ihr erklärtes Ziel sei es, „die Energie dieser Stadt in gemeinsame Projekte zu lenken“. Wie erfolgreich sie dabei sein wird, hängt nicht nur von ihrer Person, sondern auch vom politischen Umfeld ab.

Schlussbetrachtung: Ein neues Kapitel für Potsdam

Der deutliche Sieg von Noosha Aubel markiert mehr als nur einen Wechsel im Rathaus – er steht für eine neue Ära städtischer Politik. Die Bürgerinnen und Bürger Potsdams haben gezeigt, dass sie bereit sind, neue Wege zu gehen und parteiunabhängige Persönlichkeiten zu unterstützen, wenn sie glaubwürdig auftreten. Nach Jahrzehnten sozialdemokratischer Vorherrschaft öffnet sich die Stadt einer anderen Art von Führung – weniger durch Parteiprogramme, mehr durch Persönlichkeit, Offenheit und Dialog.

Ob Aubel diese Erwartungen erfüllen kann, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Doch eines steht bereits fest: Der Machtwechsel in Potsdam ist nicht nur ein lokales Ereignis, sondern ein deutliches Signal für die politische Landschaft in Deutschland – ein Zeichen dafür, dass Vertrauen und Authentizität wieder zu entscheidenden Faktoren im politischen Wettbewerb werden.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.