
Spannungen zwischen Kanzler Merz und Polizeigewerkschaften über Grenzkontrollen
In Deutschland sorgt die aktuelle Migrationspolitik für Uneinigkeit zwischen Bundeskanzler Friedrich Merz und den Polizeigewerkschaften. Während Merz bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel erklärte, die Grenzkontrollen seien vergleichbar mit denen während der Fußball-Europameisterschaft im Vorjahr, berichten Polizeigewerkschaften von deutlich intensiveren Maßnahmen.
Heiko Teggatz, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), betonte, dass die Bundespolizei derzeit nahezu alle Asylsuchenden an den Grenzen zurückweise, mit Ausnahmen für besonders schutzbedürftige Gruppen wie Schwangere, Kranke und unbegleitete Minderjährige. Diese Praxis steht im Widerspruch zu Merz’ Darstellung, was zu Irritationen innerhalb der Polizeikreise führt.
Die rechtliche Grundlage für diese Zurückweisungen sieht Teggatz im §18 des Asylgesetzes, der bei angemeldeten Grenzkontrollen greift. Zudem existieren Rückübernahmeabkommen mit Nachbarstaaten, die eine Rückführung ermöglichen.
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen innerhalb der Polizeigewerkschaften. Andreas Roßkopf von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte Zweifel an der Umsetzbarkeit flächendeckender Kontrollen entlang der 3.800 Kilometer langen Binnengrenzen und wies auf personelle Engpässe hin.
Die Einführung der sogenannten “nationalen Notlage” durch Merz, die das Dublin-Abkommen außer Kraft setzen soll, hat zudem internationale Reaktionen hervorgerufen. Die Schweiz kritisierte die Maßnahmen als rechtswidrig und kündigte an, mögliche Gegenmaßnahmen zu prüfen.
Die Diskrepanz zwischen den Aussagen des Kanzlers und den Berichten der Polizeigewerkschaften wirft Fragen zur Kommunikation und Koordination innerhalb der Regierung auf. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation weiterentwickelt und ob eine einheitliche Linie in der Migrationspolitik gefunden wird.
Hintergründe: Gesetzeslage und politischer Kontext
Die aktuelle Diskussion um Zurückweisungen an den deutschen Grenzen fußt auf einer komplexen Rechtslage. Laut §18 des Asylgesetzes kann Personen, die über einen sicheren Drittstaat einreisen wollen und bereits dort einen Asylantrag hätten stellen müssen, die Einreise verweigert werden. Dieses sogenannte Drittstaatenprinzip wurde mit dem Dublin-Abkommen auf europäischer Ebene kodifiziert. Dabei ist vorgesehen, dass derjenige EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist, den der Schutzsuchende zuerst betreten hat.
Deutschland hat seit 2015 in der Praxis teilweise auf diese Regel verzichtet, um humanitäre Ausnahmesituationen besser bewältigen zu können. Seitdem ist die Rückkehr zur vollständigen Anwendung des Dublin-Verfahrens politisch umstritten. Innenpolitisch wird die Verschärfung der Grenzkontrollen von konservativen Parteien als notwendig zur Eindämmung irregulärer Migration gesehen. Gleichzeitig warnen Juristen und Menschenrechtsorganisationen vor der Gefahr, Schutzsuchenden den Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren zu verwehren.
Die sogenannte „nationale Notlage“, auf die sich Friedrich Merz stützt, stellt einen rechtlich vagen Begriff dar. Sie kann theoretisch dann ausgerufen werden, wenn eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit vorliegt. Ob die derzeitige Migrationslage eine solche Bedrohung darstellt, ist juristisch umstritten. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat in früheren Gutachten vor einer überdehnten Auslegung dieses Begriffs gewarnt.
Risiken und mögliche Folgen
Die harte Linie der Bundesregierung birgt mehrere Risiken – sowohl innenpolitisch als auch im internationalen Kontext. Eine konsequente Zurückweisungspraxis könnte zu einer Überlastung angrenzender Staaten führen, insbesondere von Österreich und der Schweiz, die bereits über hohe Zugangszahlen klagen. Ohne eine abgestimmte europäische Lösung droht eine Kettenreaktion an nationalen Grenzschließungen, die das Schengen-System weiter untergraben würden.
Zudem ist unklar, wie die Bundespolizei die flächendeckenden Kontrollen personell und logistisch umsetzen soll. Laut Gewerkschaften sind viele Dienststellen bereits jetzt an der Belastungsgrenze. Die notwendige Infrastruktur, um Asylprüfungen direkt an der Grenze rechtssicher vorzunehmen, fehlt an vielen Übergängen. Dies erhöht das Risiko von Fehlentscheidungen und möglichen Grundrechtsverletzungen.
Auch das außenpolitische Verhältnis könnte belastet werden. Die EU-Kommission sieht die einseitige Aussetzung von Teilen des Dublin-Systems kritisch und pocht auf eine gemeinsame europäische Asylpolitik. Einzelmaßnahmen einzelner Mitgliedstaaten könnten nicht nur rechtlich angreifbar sein, sondern auch das Vertrauen zwischen den Mitgliedsländern schwächen.
Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass das politische Klima weiter polarisiert wird. Während ein Teil der Bevölkerung harte Maßnahmen unterstützt, warnen andere vor einer Aushöhlung des Asylrechts. Damit steht nicht nur die Funktionsfähigkeit des Grenzschutzes auf dem Prüfstand, sondern auch zentrale Werte des demokratischen Rechtsstaats.