
Jonava – Ein Vorfall nahe eines litauischen Truppenübungsplatzes sorgt für internationale Unruhe: Eine russische Kamikaze-Drohne mit zwei Kilogramm Sprengstoff an Bord drang in den litauischen Luftraum ein. Die Regierung in Vilnius fordert nun entschlossenere Maßnahmen von der NATO, um die östliche Grenze des Bündnisses gegen hybride Bedrohungen zu schützen.
Eine Drohne, die mehr als ein Warnsignal war
Am 28. Juli 2025 entdeckten litauische Sicherheitskräfte auf einem militärischen Gelände bei Gaižiūnai, unweit der Stadt Jonava, ein unbemanntes Flugobjekt russischer Herkunft. Die Drohne des Typs „Gerbera“ war mit etwa zwei Kilogramm Sprengstoff beladen und wurde umgehend durch Spezialkräfte gesichert und entschärft. Es war nicht das erste Mal, dass eine Drohne dieser Art litauischen Boden erreichte – bereits am 10. Juli war eine ähnliche Drohne gesichtet worden, allerdings ohne Sprengladung.
Litauens Regierung reagierte mit äußerster Sorge. „Das ist kein Einzelfall mehr – das ist eine systematische hybride Bedrohung“, erklärte Außenminister Kęstutis Budrys und forderte in einem Schreiben an den NATO-Generalsekretär umfassende Unterstützung.
Technisches Profil der Gerbera-Drohne
Die russische Gerbera-Drohne ist ein vergleichsweise günstiges, aber effektives Fluggerät, das optisch stark an die iranische Shahed-136 erinnert. Sie wird seit Mitte 2024 aktiv in verschiedenen Konfliktzonen eingesetzt und dient sowohl als Lockvogel als auch als mit Sprengstoff ausgerüstete Kamikaze-Waffe.
Technisches Merkmal | Gerbera-Drohne |
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Reichweite | Bis zu 500 km |
Zuladung | Ca. 2–3 kg Sprengstoff |
Typ | Kamikaze-Drohne (Loitering Munition) |
Hersteller | JSC Alabuga (Russland) |
Einführung | Juli 2024 |
Litauische Militärexperten gehen davon aus, dass diese Drohnen bewusst zur Provokation eingesetzt werden – nicht nur zur physischen Zerstörung, sondern auch als psychologische Kriegsführung.
Hybride Kriegsführung im Baltikum – Eine bewährte Taktik
Die aktuelle Situation reiht sich ein in eine Serie russischer Provokationen, die in Sicherheitskreisen als Teil hybrider Kriegsführung gewertet werden. Diese Strategie umfasst laut Analysten des Atlantic Council nicht nur klassische Angriffe, sondern auch Grenzverletzungen, Desinformationskampagnen und Drohneneinsätze. Die baltischen Staaten gelten dabei als Testfeld.
„Diese Vorfälle sind keine Zufälle. Russland testet systematisch die Reaktionsfähigkeit der NATO und sucht gezielt Schwachstellen“, so ein Experte aus dem Umfeld der europäischen Verteidigungspolitik.
Ein NATO-Diplomat bezeichnete die Drohnenbedrohung als „alarmierendes Zeichen für ein mögliches Übergreifen der russischen Aggression auf NATO-Territorium“ – ein Szenario, das vor wenigen Jahren noch undenkbar schien.
Wie häufig kam es zu Drohnenverletzungen in Litauen?
Im Juli 2025 wurden mindestens zwei bestätigte Überflüge russischer Drohnen gemeldet. Während die erste Drohne keinen Sprengstoff an Bord hatte, stellte die zweite eine konkrete Gefahr für Militärpersonal und Infrastruktur dar. Sicherheitsdienste in der Region dokumentierten im Zeitraum von August 2024 bis Februar 2025 über 20 Sichtungen unbekannter UAVs über militärischen Arealen in Litauen, Estland und Lettland.
Litauens Reaktion: NATO soll handeln
Die litauische Regierung ließ dem Vorfall unmittelbare diplomatische Schritte folgen. In einem Schreiben an NATO-Generalsekretär Mark Rutte forderten Außenminister Budrys und Verteidigungsministerin Dovilė Šakalienė die „dringende Verstärkung der Luftraumüberwachung und Luftverteidigung entlang der Ostgrenze“. Besonders die Region rund um Belarus wird als Schwachpunkt angesehen.
Welche NATO-Initiativen gibt es als Reaktion?
Die NATO hat bereits 2024 ihre Luftüberwachungsmission „Baltic Air Policing“ intensiviert. Neben der Verlegung zusätzlicher Eurofighter, F-16 und F-35 ist auch die Bildung spezieller Task Forces geplant. Die sogenannte „Task Force X“ etwa soll Drohnen, Sabotageakte und hybride Angriffe durch autonome Systeme frühzeitig erkennen und abwehren. Parallel arbeitet ein Konsortium aus Polen, Litauen, Lettland, Estland und Finnland am Aufbau eines „Drohnenwalls“ entlang der russischen und belarussischen Grenze.
Ein gefährlicher Nachbar: Belarus als Drohnenbasis
Besondere Brisanz erhält der Fall durch die Route der Drohne: Sie kam mutmaßlich aus Belarus – einem engen Verbündeten Russlands. Zwar weist die belarussische Regierung jede Beteiligung zurück, machte jedoch gleichzeitig Anschuldigungen gegen Litauen und Polen, sie würden ihrerseits Drohnen auf belarussisches Gebiet senden. Diese Propaganda wird von westlichen Sicherheitsdiensten als gezielte Desinformation eingeordnet.
Plant Belarus eine Ausweitung der Drohnenproduktion?
Russland plant laut Experten den Bau einer Drohnenfabrik auf belarussischem Boden, mit einer jährlichen Kapazität von bis zu 100.000 Einheiten. Sollte dies Realität werden, wäre es ein massives Risiko für die Stabilität der gesamten Region – insbesondere für die baltischen Staaten.
Was ist über die Elektronische Kriegsführung bekannt?
Ukrainische Sicherheitsdienste setzen verstärkt auf elektronische Gegenmaßnahmen gegen Drohnen – etwa GPS-Spoofing. Dabei werden falsche GPS-Signale gesendet, um Drohnen vom Kurs abzubringen. Es wird vermutet, dass auch die Gerbera-Drohne über Litauen möglicherweise durch solche Techniken unbeabsichtigt auf NATO-Gebiet gelangte. Sollte sich dies bestätigen, ergibt sich daraus ein hochsensibler Interessenkonflikt zwischen taktischer Kriegsführung und geopolitischen Auswirkungen.
Welche Rolle spielen Cyber- und GPS-Angriffe?
Wissenschaftliche Studien warnen davor, dass unbemannte Flugkörper zunehmend Ziel oder Werkzeug von Cyberattacken werden. Angriffe auf GPS-Signale oder Transponderdaten (ADS-B) könnten nicht nur den Kurs manipulieren, sondern auch zivile Flugkorridore gefährden. Diese Risiken betreffen nicht nur das Militär, sondern auch die zivile Luftfahrt.
Zivile Reaktionen: Vorsorge, Angst und Realität
In litauischen Foren und sozialen Netzwerken wie Reddit mehren sich Berichte über Bürger, die sich auf den Ernstfall vorbereiten: Notfallpläne, private FPV-Drohnen-Schulungen, Schutzraum-Strategien – all das wird offen diskutiert. Ein Nutzer aus der Region schreibt:
„Ich arbeite im öffentlichen Dienst – ich weiß, was ich im Ernstfall zu tun habe. Danach kümmern wir uns um die Details.“
Die psychologische Wirkung der hybriden Angriffe scheint dabei ebenso gezielt wie die technische. Litauens Bevölkerung hat bereits Erfahrungen mit Desinformationskampagnen, Cyberattacken und plötzlichen Luftraumverletzungen gemacht – nun kommt mit Sprengstoff beladene Technik hinzu.
Was passierte mit der russischen Gerbera-Drohne in Litauen?
Die Gerbera-Drohne wurde durch litauisches Sicherheitspersonal entschärft. Es gab keine Verletzten, allerdings sorgte der Fund für eine flächendeckende Alarmierung der Luftwaffe. Medienberichten zufolge wurde auch die politische Führung vorübergehend in geschützte Räume gebracht – eine Maßnahme, die zeigt, wie ernst die Lage genommen wird.
Die russische Drohne über Litauen war weit mehr als ein isolierter Vorfall. Sie war Ausdruck einer wachsenden Spannung entlang der NATO-Ostgrenze und ein mahnendes Beispiel dafür, wie moderne Kriegsführung längst nicht mehr nur auf dem Boden oder in der Luft stattfindet – sondern im digitalen, psychologischen und zivilgesellschaftlichen Raum. Während Litauen um konkrete Hilfe bittet, steht die NATO vor einer strategischen Bewährungsprobe: Wie entschlossen wird sie auf solche hybriden Bedrohungen reagieren? Die kommenden Wochen werden zeigen, ob Worte Taten folgen – und ob der Luftraum über Europa wirklich so sicher ist, wie man es bisher geglaubt hat.