
Eine aktuelle Umfrage zum Umgang deutscher Lehrkräfte mit Künstlicher Intelligenz (KI) hat hohe Wellen geschlagen. Demnach fühlen sich 62 Prozent der befragten Pädagoginnen und Pädagogen unsicher oder sehr unsicher beim Einsatz von KI-Tools wie ChatGPT im Unterricht. Doch hinter dieser Unsicherheit verbirgt sich ein vielschichtiges Bild: Während ein Teil der Lehrkräfte bereits erste positive Erfahrungen mit der Technologie gemacht hat, dominieren vielerorts Zweifel, Überforderung und ein spürbarer Fortbildungsbedarf. Der folgende Artikel beleuchtet auf Basis fundierter Recherchen, wie Lehrkräfte im In- und Ausland mit der rasanten technologischen Entwicklung umgehen – und was das für die Zukunft der Bildung bedeutet.
Hohe Verunsicherung trotz wachsender Relevanz
Die Ergebnisse des Deutschen Schulbarometers sprechen eine klare Sprache: Obwohl KI-Tools zunehmend in den Schulalltag integriert werden könnten, herrscht große Zurückhaltung. Über die Hälfte der befragten Lehrkräfte nutzt KI gar nicht oder nur sehr selten. Nur etwa 11 Prozent greifen mehrmals pro Woche oder täglich auf entsprechende Tools zurück. Besonders häufig eingesetzt wird KI zur Erstellung von Aufgaben, bei der Unterrichtsplanung oder zur Formulierung von Prüfungsfragen.
Gleichzeitig äußert eine Mehrheit der Befragten große Sorgen über die Auswirkungen auf die Schülerkompetenzen. 62 Prozent sehen negative Effekte auf Sozialverhalten, Kommunikationsfähigkeit oder das kritische Denken. Damit rückt ein Aspekt in den Fokus, der auch international kritisch diskutiert wird.
Zwischen Entlastung und Überforderung: Erfahrungen aus der Praxis
Ein differenzierter Blick zeigt: Es gibt Lehrkräfte, die KI als willkommene Unterstützung empfinden. So berichten Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen-Anhalt etwa von einer deutlichen Entlastung bei der Unterrichtsvorbereitung, wenn sie mit spezialisierten Tools arbeiten. KI-Plattformen wie Teachino oder Thena versprechen hier schnelle Hilfe – von der Materialerstellung bis zur differenzierten Leistungsbewertung.
Doch ohne gezielte Fortbildung bleiben viele Potenziale ungenutzt. Zahlreiche Pädagogen beklagen, dass ihnen das nötige Know-how im Umgang mit Prompting oder der Einschätzung von KI-generierten Inhalten fehlt. Dieser Mangel an digitaler Selbstwirksamkeit stellt eine der größten Hürden auf dem Weg zu einem sicheren KI-Einsatz dar.
„Ich bin neugierig, was KI kann – aber ich traue mich nicht, sie im Unterricht einzusetzen. Ich habe Angst, etwas falsch zu machen“, äußerte eine Gymnasiallehrerin aus Brandenburg in einer qualitativen Interviewauswertung.
Wachsende Kritik: Was KI (noch) nicht kann
Neben der Unsicherheit im Umgang mit KI gibt es auch begründete inhaltliche Kritik. So zeigen Studien, dass KI-generierte Korrekturen – etwa bei Aufsätzen oder mathematischen Aufgaben – oft fehlerhaft sind. Automatisierte Bewertungssysteme erreichen bisher nicht die Qualität und Sensibilität menschlicher Lehrkräfte.
In mehreren Bundesländern und EU-Studien wird daher betont, dass KI allenfalls unterstützend eingesetzt werden kann. Die finale Beurteilung müsse weiterhin beim Menschen liegen – sowohl aus pädagogischer als auch aus rechtlicher Sicht.
Politische Forderungen und Fortbildungsdefizite
Ein zentrales Ergebnis aller Studien und Meinungsbilder: Lehrkräfte wünschen sich gezielte, praxisnahe Fortbildungen. Hochschulen wie die TU Dresden haben bereits reagiert und bieten Fortbildungsmodule speziell für den KI-Einsatz an. Doch bislang erreichen diese Angebote nur einen Bruchteil der Lehrerschaft.
Auch politisch wächst der Druck: Der Ausbau des Digitalpakts wird vielfach gefordert – sowohl hinsichtlich technischer Ausstattung als auch bei der Schulung von Lehrpersonal. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann fordert sogar eine verpflichtende Einführung von Informatik, Medienbildung und KI-Kunde ab der 5. Klasse.
Schülerperspektive: Zwischen Begeisterung und Abhängigkeit
Auch auf Schülerseite zeigt sich ein ambivalentes Bild. Laut Befragungen unter 14- bis 19-Jährigen finden 23 Prozent, dass KI Inhalte besser erkläre als Lehrkräfte. Über die Hälfte glaubt, mit KI effizienter lernen zu können. Gleichzeitig befürchten fast ebenso viele, dass zu viel KI „dumm mache“.
Eine Studie der Wharton School legt nahe, dass Schüler, die sich ausschließlich mit KI auf Prüfungen vorbereiteten, in Tests ohne technische Hilfe schlechter abschnitten. Es scheint also, als könne KI gewisse Lernprozesse zwar begleiten, aber nicht ersetzen.
Internationale Perspektiven: Mut zur Struktur
Ein Blick über den deutschen Tellerrand zeigt, wie unterschiedlich Bildungssysteme mit der Herausforderung umgehen. Estland etwa hat mit dem Programm „AI Leap“ bereits 20.000 Schüler und 3.000 Lehrkräfte in einem strukturierten KI-Training geschult. Auch im US-Schulbezirk Charlotte-Mecklenburg werden aktuell 30 sogenannte „AI-Champion-Schulen“ aufgebaut, die mit eigens entwickelten Tools wie „Geminus“ arbeiten.
Die OECD warnt indes, dass ein ungeordneter KI-Einsatz Bildungslücken eher vertiefen könnte – insbesondere in sozioökonomisch benachteiligten Regionen. Auch UNESCO und der Weltwirtschaftsrat mahnen zu Transparenz, Zweckbindung und ethischen Standards bei der Einführung von KI in den Bildungsbereich.
Weltwirtschaftsrat: Sieben ethische Prinzipien für KI an Schulen
- Zweckbindung
- Transparenz
- Datenschutz
- Fairness
- Inklusion
- Nachvollziehbarkeit
- Verantwortlichkeit
Missbrauch vermeiden: Neue Prüfungsformate im Kommen
Um der Versuchung des „guilt-free cheating“ entgegenzuwirken, gestalten viele Lehrkräfte ihre Prüfungen um. In Großbritannien, Kanada und Kalifornien sind mündliche Prüfungen, handschriftliche Tests und projektbasierte Aufgaben wieder auf dem Vormarsch.
Ziel ist es, KI-gestützten Betrugsversuchen vorzubeugen und gleichzeitig die individuelle Leistung sichtbarer zu machen. Diese Entwicklung zeigt: Die Schule steht nicht nur vor einer technischen, sondern auch vor einer didaktisch-moralischen Umbruchphase.
Schlüsselbegriff der Zukunft: AI Literacy
Ein zentrales Element, das aus fast allen Studien hervorgeht, ist der Begriff „AI Literacy“. Darunter versteht man die Fähigkeit, Künstliche Intelligenz kompetent, kritisch und reflektiert zu nutzen. Diese Kompetenz ist nicht nur für Schüler, sondern auch für Lehrkräfte von zentraler Bedeutung.
Bildungsexperten fordern daher, AI Literacy als festen Bestandteil in Curricula zu verankern – sowohl in der Lehrerausbildung als auch in Schulplänen. Nur so könne gewährleistet werden, dass KI nicht zum Blackbox-Werkzeug, sondern zu einem integrativen, reflektierten Bestandteil der Bildung wird.
Zwischen Potenzial und Pflicht zur Verantwortung
Die Verunsicherung unter Lehrkräften ist nachvollziehbar – sie steht einer Technologie gegenüber, die sich rasend schnell entwickelt und tiefgreifende Veränderungen verspricht. Doch sie ist auch ein Signal dafür, dass systematische, fundierte und ethisch reflektierte Schulungsangebote dringend nötig sind.
KI hat das Potenzial, das Bildungssystem grundlegend zu verändern: Sie kann Lehrkräfte entlasten, Schüler individuell fördern und Schulmaterialien auf ein neues Niveau heben. Doch sie kann auch bestehende Schwächen verschärfen – insbesondere dann, wenn sie ohne Konzept, Begleitung und Transparenz eingeführt wird.
Die nächsten Schritte müssen also klar definiert sein: Ein politisch geförderter Ausbau von Fortbildungsangeboten, verbindliche ethische Leitlinien, transparente Tools und eine entschiedene Förderung von AI Literacy. Nur dann kann KI im Schulalltag zu einem echten Gewinn werden – und nicht zur neuen Quelle von Überforderung.