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Warum der Staat beschlagnahmte Bitcoin verkaufen darf – und was das für Krypto-Besitzer bedeutet

In Aktuelles
Juli 05, 2025
Krypto

Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Hanau sorgt für Aufsehen in der Krypto-Community. Die Entscheidung erlaubt Behörden, beschlagnahmte Kryptowährungen wie Bitcoin im Notfall zu verkaufen, um drohende Verluste für den Staat zu vermeiden. Während das juristische Fundament dafür steht, wächst die Diskussion über Gerechtigkeit, Eigentumsrechte und verpasste Gewinne.

Ein Urteil mit Signalwirkung

Im April 2025 entschied das Landgericht Hanau, dass Strafverfolgungsbehörden berechtigt sind, beschlagnahmte Kryptowährungen zu veräußern, wenn ein erheblicher Wertverlust droht. Grundlage für dieses Urteil ist § 111p der Strafprozessordnung (StPO), der eine Notveräußerung von sichergestelltem Vermögen erlaubt – etwa dann, wenn Gegenstände verderben könnten oder wie im Fall von Bitcoin starken Kursschwankungen unterliegen.

Die Entscheidung hat unmittelbare Folgen für zahlreiche laufende und zukünftige Verfahren: Kryptowährungen, die im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen beschlagnahmt werden, können ab sofort rascher und ohne ausdrückliche Zustimmung des Eigentümers verkauft werden. Damit bricht das Urteil mit der gängigen Erwartung vieler Anleger, dass ihre Kryptowerte zumindest bis zur rechtskräftigen Verurteilung unangetastet bleiben.

Gesetzliche Grundlage: § 111p StPO

Das Gesetz erlaubt Notveräußerungen beschlagnahmter Vermögenswerte, wenn deren Wert durch Verzögerungen gefährdet ist. Ursprünglich für klassische Gegenstände gedacht – etwa verderbliche Waren – wird die Regelung zunehmend auf digitale Assets wie Kryptowährungen angewendet.

Das Ziel: Werterhalt statt Spekulation

Ein zentraler Punkt in der Argumentation des Gerichts war die extreme Volatilität von Kryptowährungen. Ein staatliches Hinauszögern des Verkaufs, um potenzielle Kursgewinne mitzunehmen, würde einer Spekulation gleichkommen. Das Urteil sieht es als unzumutbar an, dass der Staat das Risiko massiver Verluste tragen soll.

„Der Eigentümer mag auf Kursgewinne hoffen – der Staat hingegen darf sich nicht auf spekulatives Terrain begeben“, so die Richter in ihrer schriftlichen Begründung.

Die staatliche Linie ist also klar: Das beschlagnahmte Vermögen soll gesichert, nicht optimiert werden.

Verkauf in der Praxis: Zahlen und Strategien

Der Staat hat in den vergangenen Jahren bereits mehrfach beschlagnahmte Bitcoins verkauft – mit teils gigantischem Umfang. Besonders hervorzuheben ist der Fall Sachsen:

  • Juni–Juli 2024: Verkauf von 49.858 BTC
  • Wert zum Verkaufszeitpunkt: rund 2,64 Mrd. Euro
  • Methode: marktschonende Notveräußerung über mehrere Wochen

Auch das Bundeskriminalamt und der Zoll haben in den Jahren 2020 bis 2023 rund 4.150 BTC verwertet – vor allem im Rahmen von Ermittlungen gegen Cyberkriminalität und Darknet-Plattformen.

Wie läuft der Verkauf ab?

In der Regel setzen Behörden auf eine Kombination aus folgenden Methoden:

  1. Veräußerung über Börsen (z. B. Binance, Kraken)
  2. Over-the-Counter-Geschäfte (OTC), um Marktbewegungen zu vermeiden
  3. Seltener: Auktionen über Plattformen wie Justiz-Auktion.de

Die beschlagnahmten Kryptowerte werden meist in staatlich verwalteten Wallets aufbewahrt. Nach dem Verkauf fließen die Erlöse in die Landeshaushalte oder werden für potenzielle Rückzahlungen an Opfer reserviert.

Kontroverse um Eigentumsrechte und Kursgewinne

Besonders in sozialen Netzwerken sorgt das Urteil für Diskussionen. Nutzer werfen dem Staat vor, potenzielle Kursgewinne für die ursprünglichen Besitzer zu vernichten. Tatsächlich stieg der Bitcoin-Kurs kurz nach dem Verkauf durch den deutschen Staat um über 100 %. Ein Reddit-Nutzer bringt es auf den Punkt:

„German government sold 50.000 Bitcoins for 55.000 – now it’s at 110.000. I missed out on an incredible 2.8B profit.“

Auch die Transparenz des Verkaufsverfahrens wird kritisch gesehen. Die gesetzliche Formulierung erlaubt eine Notveräußerung bei drohendem Wertverlust – jedoch ist nicht klar geregelt, ab welchem Verlustniveau dies greift. Ein Nutzer bemerkt:

„Sie sagen, sie müssten bei 10 % Verlust verkaufen – aber diese 10 % stehen nirgends im Gesetz.“

Volatilität: Das zentrale Risiko

Die Deutsche Bundesbank stuft Kryptowährungen als extrem volatil ein. In einer Analyse von 2021 wurde die tägliche Kursvolatilität von Bitcoin mit etwa 4 % angegeben – im Vergleich dazu liegt sie bei Gold unter 1 %. Dies verdeutlicht die Herausforderung für Behörden, den „richtigen“ Zeitpunkt für einen Verkauf zu finden, ohne dem Markt selbst zu schaden oder in politische Kritik zu geraten.

Vergleich mit anderen Ländern

Im internationalen Vergleich existieren alternative Modelle. In den USA wurde etwa in Arizona diskutiert, ob ein staatlicher Fonds aus beschlagnahmten Kryptowerten eingerichtet werden sollte. Dieser Vorstoß wurde jedoch gestoppt – dennoch zeigt er, dass andere Staaten kreativer mit dem Thema umgehen.

Deutschland verfolgt bislang eine strikt pragmatische Linie: Verkauf bei Gefahr des Wertverlusts, kein Spekulieren, keine Fondsbildung.

Technische Umsetzung & Herausforderungen

Der Verkauf beschlagnahmter Kryptowährungen ist technisch anspruchsvoll. Die Behörden arbeiten zunehmend mit spezialisierten Forensik-Teams, Verwahrdiensten und Blockchain-Analysefirmen zusammen. In Einzelfällen erfolgt sogar internationale Zusammenarbeit mit Kryptobörsen im Ausland.

Herausforderungen im Überblick

BereichHerausforderung
VerwahrungSichere, unveränderliche Speicherung über Cold Wallets
VerkaufVermeidung von Kurseinbrüchen durch gestaffelten Verkauf
RechtSaubere Dokumentation und gerichtliche Freigabe
TransparenzÖffentliche Nachvollziehbarkeit, Vermeidung von Korruption

Reaktionen aus der Szene

In Krypto-Foren wie „Mauerstraßenwetten“ oder „r/Bitcoin“ ist die Diskussion hitzig. Besonders Nutzern mit rechtlich ungeklärtem Kryptobesitz – etwa durch frühe Käufe ohne KYC – drohen durch die neuen Richtlinien empfindliche Verluste. Viele fragen sich, ob ein anonymer BTC-Kauf aus Jugendzeiten überhaupt noch legal veräußert werden kann.

Gleichzeitig melden sich auch Stimmen zu Wort, die die staatliche Praxis als notwendig bezeichnen:

„Wenn der Staat wartet und der Kurs einbricht, schreien alle wegen Steuerverschwendung. Verkauft er früh, beschweren sich die Besitzer. Man kann’s keinem recht machen.“

Klarheit mit offenen Fragen

Mit dem Urteil des Landgerichts Hanau gibt es erstmals klare juristische Rückendeckung für den staatlichen Verkauf beschlagnahmter Kryptowährungen. Es bietet Behörden die Möglichkeit, schnell und effizient zu handeln – zum Schutz öffentlicher Mittel und ohne in Spekulationsfallen zu tappen.

Gleichzeitig bleiben Fragen offen: Gibt es transparente Standards für Verkaufszeitpunkte? Wäre ein staatlicher Krypto-Fonds sinnvoller? Wie geht man mit historischen Beständen ohne KYC-Nachweis um?

Fest steht: Die Entscheidung markiert einen Wendepunkt im Umgang mit digitalen Vermögenswerten – und wird die rechtliche und gesellschaftliche Debatte in Deutschland noch lange prägen.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.