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Premiere im ZDF ZDF zeigt erstmals queeren katholischen Gottesdienst live aus der Kirche St. Anna

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Oktober 26, 2025

Münster – Am 26. Oktober 2025 wird in der katholischen Kirche St. Anna in Münster-Mecklenbeck ein historischer Moment gefeiert: Zum ersten Mal überträgt das ZDF einen queeren katholischen Gottesdienst live im Fernsehen. Die Feier soll ein sichtbares Zeichen für Vielfalt, Glaube und Akzeptanz setzen – und gilt als Meilenstein für queere Gläubige in der katholischen Kirche.

Ein Gottesdienst, der Geschichte schreibt

Am Sonntag, dem 26. Oktober 2025, um 9:30 Uhr schalten bundesweit Hunderttausende ihre Fernseher ein, um einen Gottesdienst zu erleben, der in mehrfacher Hinsicht besonders ist. Unter dem Leitwort „Wer bin ich … für dich?“ feiert die Queergemeinde Münster in Zusammenarbeit mit der Pfarrei St. Liudger eine Eucharistiefeier, die erstmals im ZDF übertragen wird. Für die musikalische Gestaltung sorgt die Band effata! unter der Leitung von Anselm Thissen, begleitet vom Lied „Du bist so anders“, das Gemeindemitglied Jan Diekmann eigens komponierte.

Dieser Gottesdienst markiert einen Wendepunkt: Während die katholische Kirche weltweit noch immer um den Umgang mit queeren Menschen ringt, setzt die Gemeinde in Münster ein sichtbares Zeichen der Offenheit. Die ZDF-Produktion ist nicht nur eine religiöse Veranstaltung, sondern auch ein gesellschaftliches Signal – ein Aufruf zu Toleranz, Dialog und gegenseitigem Respekt.

Wer ist die Queergemeinde Münster?

Die Queergemeinde Münster wurde bereits 1999 gegründet und gehört damit zu den ältesten ihrer Art in Deutschland. Entstanden aus einer Initiative schwuler Theologen, öffnete sie bald ihre Türen für lesbische, bisexuelle, trans und nicht-binäre Menschen ebenso wie für heterosexuelle Unterstützer:innen. Das Ziel war von Beginn an klar: ein sicherer Raum, in dem alle Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Identität – ihren Glauben leben können.

„Wir glauben, dass Gott uns Menschen über alle Grenzen hinweg zum Glauben beruft“, sagt Jan Diekmann von der Queergemeinde. „Wir wollen niemanden provozieren, sondern zeigen, dass wir als queere Christinnen und Christen ebenso gläubig sind und unseren Glauben ausleben möchten.“

Die Gemeinde feiert sonst ihre Gottesdienste in der Krypta der Antoniuskirche, einem kleineren, geschützten Raum. Für die Fernsehübertragung wurde nun die größere Kirche St. Anna in Mecklenbeck gewählt, die technisch besser ausgestattet ist und Platz für die rund 33 ZDF-Mitarbeitenden bietet, die an der Live-Produktion beteiligt sind.

Von der Nische in die Öffentlichkeit

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist die Queergemeinde Münster ein Ort der Begegnung, aber auch des Widerstands gegen kirchliche Ausgrenzung. Viele ihrer Mitglieder haben Verletzungen erfahren, weil sie sich von ihrer Kirche nicht akzeptiert fühlten. „Die wenigen, die noch geblieben sind, haben einen sehr festen Glauben – und das schafft eine besondere Atmosphäre im Gottesdienst“, erklärt Diekmann.

Der Gottesdienst will diese Erfahrung sichtbar machen. Zwei Mitglieder der Gemeinde geben persönliche Glaubenszeugnisse und erzählen, wie sie ihre Identität mit ihrem Glauben vereinbaren. Es sind intime, emotionale Momente, die Mut machen sollen – nicht nur den Zuschauer:innen, sondern auch der Kirche selbst.

Das Motto: „Wer bin ich … für dich?“

Das Leitwort greift sowohl das Tagesevangelium als auch eine bekannte Aussage von Papst Franziskus auf. Der hatte 2013 auf eine Frage nach homosexuellen Priestern geantwortet: „Wer bin ich, ihn zu verurteilen?“ Diese Aussage inspirierte die Queergemeinde zu einer neuen Formulierung: „Wer bin ich … für dich?“ – eine Einladung, sich selbst, Gott und die Mitmenschen in neuem Licht zu sehen.

Die Frage steht im Zentrum der Liturgie und soll die Zuschauer:innen zum Nachdenken anregen. Wer bin ich für Gott? Wer bin ich für meine Mitmenschen? Und: Wer darf ich in der Kirche sein? Diese Fragen berühren das Selbstverständnis der katholischen Gemeinschaft – besonders in einer Zeit, in der Themen wie Geschlecht und Identität zunehmend diskutiert werden.

Was unterscheidet diesen Gottesdienst von einem „normalen“?

Viele Elemente bleiben vertraut – Lesung, Predigt, Eucharistiefeier. Doch die Sprache und die Symbolik sind bewusst inklusiver gestaltet. Geschlechtergerechte Formulierungen, persönliche Glaubenszeugnisse und moderne Musik prägen die Liturgie. Eine Paarsegnung findet nicht statt, betonen die Verantwortlichen, auch wenn die Gemeinde grundsätzlich Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare befürwortet.

Kirchliche Spannung und gesellschaftliche Bedeutung

Dass dieser Gottesdienst polarisiert, war der Gemeinde und dem ZDF bewusst. Vor der Kirche steht vorsorglich ein Polizeistreifenwagen – nicht wegen konkreter Bedrohungen, sondern um mögliche Proteste abzufangen. Der Großteil der Bevölkerung begrüßt die Initiative jedoch als wichtigen Schritt zur Gleichberechtigung in der Kirche.

„Wir wissen, dass dieser Gottesdienst polarisiert“, sagte Jan Diekmann im Vorfeld. „Aber wir glauben, dass Sichtbarkeit der erste Schritt zu Veränderung ist.“

Die katholische Kirche und queere Menschen – ein schwieriges Verhältnis

Die katholische Kirche hat sich jahrzehntelang schwergetan, Homosexualität und queere Identitäten anzuerkennen. Offiziell gelten gleichgeschlechtliche Partnerschaften nach wie vor nicht als mit der kirchlichen Lehre vereinbar. Dennoch wächst die Zahl der Gemeinden, die queere Gläubige aktiv einbinden.

Eine wissenschaftliche Studie mit 417 Teilnehmenden aus Deutschland zeigte, dass viele LGBTQI+-Gläubige innerhalb der Kirche sowohl Akzeptanz als auch Diskriminierung erfahren. Negative Erfahrungen führen häufig zu „spiritueller Trockenheit“ – einem Gefühl innerer Distanz zum Glauben. Gleichzeitig stärkt Selbstakzeptanz das psychische Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit. Diese Ergebnisse verdeutlichen, wie sensibel die Balance zwischen Glauben und Identität ist.

Deutschland im europäischen Vergleich

Der „Rainbow Index of Churches in Europe (RICE)“ bewertet die Offenheit christlicher Kirchen gegenüber queeren Menschen. 2025 erreichte die katholische Kirche in Deutschland 37,5 von 47 Punkten – ein Spitzenwert. Noch 2020 lag sie lediglich auf Platz 10 in Europa. Heute gilt Deutschland laut RICE als Land mit der „queerfreundlichsten katholischen Kirche“ Europas.

Dieser Wandel hat viel mit Gemeinden wie der in Münster zu tun, die seit Jahren sichtbar und engagiert arbeiten. Auch der Synodale Weg, der Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland, hat die Diskussion über Geschlechtergerechtigkeit und Sexualität neu belebt.

Wie reagiert die Öffentlichkeit?

Die Ankündigung des ZDF-Gottesdienstes sorgte in sozialen Medien für lebhafte Debatten. Auf Instagram feierte die @queergemeinde_muenster die Premiere mit dem Satz: „Unser Gottesdienst läuft im ZDF!“ – begleitet von Regenbogen-Emojis und großer Vorfreude. Die Stimmung: stolz, offen, emotional.

Auf Reddit diskutierten User:innen die theologische Bedeutung des Ereignisses. Während viele den Schritt als überfällig lobten, äußerten andere Zweifel, ob die katholische Kirche bereit sei, strukturell Konsequenzen zu ziehen. Auf der Facebook-Seite des ZDF-Fernsehgottesdiensts zeigte sich ein ähnliches Bild: Lob, Kritik und viele Fragen – etwa zur Sicherheit oder zur liturgischen Gestaltung. Die Reichweite war enorm und zeigte, wie groß das öffentliche Interesse an der Thematik ist.

Warum überträgt das ZDF diesen Gottesdienst?

Die Gottesdienstreihe im ZDF existiert seit 1979 und erreicht durchschnittlich rund 800.000 Zuschauer:innen. Mit der Übertragung aus Münster will der Sender nach eigenen Angaben den gesellschaftlichen Wandel widerspiegeln und Menschen sichtbar machen, die in traditionellen Kirchen oft übersehen werden. Es geht um Inklusion und Repräsentation – beides Kernanliegen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Dass das ZDF sich für diese Premiere entschied, ist also kein Zufall, sondern Ausdruck eines neuen Verständnisses von kirchlicher Vielfalt im Fernsehen. „Ein solcher Gottesdienst gehört mitten in die Gesellschaft“, heißt es aus Redaktionskreisen.

Glaube, Musik und Emotion

Die musikalische Gestaltung spielt eine zentrale Rolle. Die Band effata! sorgt mit modernen Arrangements und emotionalen Texten für eine lebendige Atmosphäre. Besonders das Lied „Du bist so anders“ gilt als Herzstück der Feier – eine Hymne auf die Vielfalt menschlicher Identität. „Das wird sehr persönlich und sehr bewegend“, kündigte Jan Diekmann an.

Musik im Gottesdienst – Überblick

  • Eröffnungslied: Du bist so anders (Jan Diekmann, 2019)
  • Zwischengesang: Psalm 130 – „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“
  • Schlusslied: effata! – „Öffne dich“

Durch diese Elemente entsteht ein Gottesdienst, der klassische Liturgie mit moderner Spiritualität verbindet – ein Spagat, den nur wenige Gemeinden so konsequent wagen.

Ein Blick auf die Zahlen

AspektZahl / Fakt
Gründung der Queergemeinde Münster1999
Zuschauer:innen ZDF-Gottesdienste (Ø)ca. 800.000 pro Sendung
Mitglieder der Queergemeinde (geschätzt)ca. 200 aktive Teilnehmende
Rainbow Index of Churches Europe 2025 – Deutschland37,5 von 47 Punkten
Gottesdienst-Beginn26. Oktober 2025 – 9:30 Uhr

Ein Symbol weit über Münster hinaus

Der queere Gottesdienst aus St. Anna ist mehr als eine Fernsehübertragung – er ist ein kulturelles Signal. Er zeigt, dass Glauben und Vielfalt kein Widerspruch sein müssen. Er macht sichtbar, dass queere Menschen längst Teil der Kirche sind. Und er öffnet eine Debatte, die über Münster hinausreicht: Wie kann eine jahrtausendealte Institution inklusiv und zukunftsfähig werden?

Vielleicht ist dieser Gottesdienst nicht die Lösung aller Spannungen zwischen Tradition und Moderne. Aber er ist ein Anfang – ein Zeichen, dass Wandel möglich ist, wenn Mut und Offenheit aufeinander treffen. Am Ende steht nicht nur ein Fernsehereignis, sondern ein Stück gelebte Geschichte, das zeigt, was Kirche im 21. Jahrhundert sein kann: bunt, vielfältig und voller Glauben.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.