
Bretten, 4. November 2025 – Zwischen alten Stadtmauern, wo einst Schützen trainierten, erhebt sich heute ein modernes Gebäude aus hellem Beton und Glas. Hier, an der Schießmauer, hat Bretten ein Bauprojekt geschaffen, das nicht nur architektonisch, sondern auch gesellschaftlich Aufmerksamkeit auf sich zieht. In den vergangenen Jahren wurde viel über die Nutzung, die Kosten und die soziale Bedeutung dieser Unterkunft gesprochen – und nun mehren sich neue Informationen, die Licht in die Entwicklung bringen.
Ein Bauprojekt mit gesellschaftlicher Tragweite
Die Unterkunft an der Schießmauer in Bretten steht exemplarisch für die Herausforderungen vieler Kommunen in Baden-Württemberg. Ursprünglich sollte das Gebäude, errichtet von der Weisenburger GmbH, bereits Ende 2019 bezugsfertig sein. Doch die Realität sah anders aus: Kampfmittelbeseitigung, Artenschutzauflagen und ein stark kontaminierter Baugrund verzögerten das Vorhaben deutlich. Trotz dieser Hindernisse konnte das Projekt nach mehrjähriger Planungs- und Bauphase abgeschlossen werden.
Nach Angaben der Stadt investierte Bretten über 5,4 Millionen Euro in den Neubau. Entstanden ist ein viergeschossiger Komplex mit einer Nutzfläche von rund 3.800 Quadratmetern, verteilt auf 42 Wohneinheiten. Die Kapazität liegt bei etwa 180 bis 200 Personen. „Wir stehen unter erheblichem Druck, Geflüchtete und Obdachlose menschenwürdig unterzubringen“, erklärte Oberbürgermeister Martin Wolff bei der Vorstellung des Projekts. Der Staat Baden-Württemberg beteiligte sich mit einem Zuschuss von rund 1,2 Millionen Euro.
Von der Baustelle zum Lebensmittelpunkt
Seit der Fertigstellung ist die Schießmauer nicht mehr nur eine Adresse, sondern für viele Menschen ein neues Zuhause. Hier leben Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Kosovo – aber auch Obdachlose, die von der Stadt übergangsweise untergebracht werden. Laut einer Satzung, die der Gemeinderat eigens beschloss, gelten für alle Bewohner dieselben Regeln: Hausordnung, Sauberkeit und Energieeinsparung sind verpflichtend, Tierhaltung oder bauliche Veränderungen sind untersagt. Räume dürfen werktags zwischen 6 und 22 Uhr betreten werden, bei Gefahr jederzeit.
Aktuell beherbergt die Stadt rund 245 Geflüchtete und 48 obdachlose Personen in verschiedenen Einrichtungen. Fünfzehn Zimmer an der Schießmauer sind explizit für Menschen ohne festen Wohnsitz reserviert. Die Unterbringung erfolgt öffentlich-rechtlich – kein Bewohner hat Anspruch auf eine bestimmte Zimmergröße oder Dauer der Nutzung. Diese Transparenz ist Teil der „Aufklärung an der Schießmauer“, die Stadtverwaltung und Wohnungsbaugesellschaft gemeinsam vorantreiben wollen.
Herausforderungen im Alltag: Zwischen Ordnung und Integration
Während das Gebäude technisch als solide gilt, zeigen sich im Alltag der Bewohner andere Baustellen. Ein Bericht der „Badischen Neuesten Nachrichten“ beschreibt die Situation ernüchternd: Fenster stünden trotz winterlicher Temperaturen offen, Heizungen liefen, Regeln würden nicht konsequent umgesetzt. Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede erschwerten die Kommunikation. „Das Gebäude ist in Ordnung – aber das Miteinander braucht mehr Unterstützung“, lautet ein Kommentar aus der Redaktion. Die Stadt reagierte darauf mit zusätzlichen Betreuungsangeboten und Informationsveranstaltungen.
Auch die Feuerwehr Bretten ist regelmäßig vor Ort – nicht wegen größerer Katastrophen, sondern aufgrund kleinerer Zwischenfälle. Mehrfach mussten Einsatzkräfte ausrücken, weil Brandmelder mutwillig ausgelöst oder Balkone zum Grillen genutzt wurden. In sozialen Medien verweisen die Einsatzberichte auf die „wiederholte Auslösung durch Handdruckmelder“ und appellieren an ein besseres Verständnis für Sicherheitsregeln.
Begegnung statt Abgrenzung: Das Café International
Um die soziale Integration zu fördern, wurde in direkter Nähe das Café International ins Leben gerufen. Es öffnet wöchentlich seine Türen für Bewohner und Bürger. Freiwillige bieten dort Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen, Hausaufgabenhilfe oder einfach einen Ort zum Reden. Kinder malen, Erwachsene tauschen sich aus – eine kleine Initiative, die in Bretten große Wirkung zeigt. Dieses Format ist ein Beispiel dafür, wie Begegnung aktiv gelebt werden kann, anstatt Integration nur zu fordern.
Regelungen im Überblick
| Bereich | Regelung laut Satzung |
|---|---|
| Hausordnung | Verbindlich für alle Bewohner; Verstöße können zu Räumung führen. |
| Besuchszeiten | Räume dürfen werktags 6–22 Uhr betreten werden; bei Gefahr jederzeit. |
| Tierhaltung | Nicht gestattet. |
| Eigenumbauten | Verboten ohne schriftliche Genehmigung. |
| Kontrolle | Stadt darf Räume zur Überprüfung betreten. |
Die Grenzen der Kapazität
Die Stadtverwaltung sieht sich weiterhin mit einem wachsenden Druck konfrontiert. Seit 2015 ist die Unterbringung von Geflüchteten eine Daueraufgabe, die finanzielle und personelle Ressourcen bindet. „Wir stoßen an die Grenzen – und darüber hinaus“, betonte der Oberbürgermeister in einer Sitzung. Neben der Unterbringung geht es zunehmend um gesellschaftliche Akzeptanz und den Abbau von Vorurteilen. Das Projekt an der Schießmauer soll zeigen, dass Integration möglich ist – wenn Strukturen, Unterstützung und Kommunikation stimmen.
Ein Ort, der Fragen aufwirft – und Antworten sucht
Was bedeutet es, an der Schießmauer zu leben? Wie viel Transparenz ist nötig, um Vertrauen zu schaffen? Diese Fragen werden in Bretten seit Jahren diskutiert. Mit der neuen Satzung, den Betreuungsinitiativen und klaren Regeln versucht die Stadt, Antworten zu geben. Dabei steht nicht nur der Bau, sondern der Mensch im Mittelpunkt – jene, die hier Zuflucht suchen, und jene, die helfen, Ordnung und Würde zu bewahren.
Die Aufklärung an der Schießmauer ist also mehr als ein Verwaltungsprojekt. Sie ist ein Spiegel der Gesellschaft – mit Licht und Schatten, Fortschritt und Fehlalarmen. Und vielleicht zeigt sich gerade hier, zwischen Altstadtmauer und Neubau, wie Integration wirklich funktioniert: Schritt für Schritt, mit Geduld, Struktur und offenem Blick für den anderen.






























