Karlsruhe: Treffen der Reichsbürger- und Selbstverwalter-Szene am Schlossplatz

In Karlsruhe
Juli 27, 2025

Am 26. Juli 2025 fand auf dem Schlossplatz in Karlsruhe das sechste große Treffen der sogenannten Reichsbürger- und Selbstverwalter-Szene statt. Trotz der provokanten Symbolik und der Nähe zum Bundesverfassungsgericht verlief die Veranstaltung laut Polizei friedlich. Was auf den ersten Blick wie ein harmloses Zusammenkommen erschien, offenbart bei genauerem Hinsehen ein vielschichtiges gesellschaftliches Phänomen mit wachsender Relevanz.

Ein Aufmarsch mit Symbolkraft: Was geschah auf dem Schlossplatz?

Die Kulisse wirkte beinahe malerisch: Vor dem historischen Schloss Karlsruhe versammelten sich rund 300 bis 350 Personen, viele davon mit schwarz-weiß-roten Fahnen und Symbolen des Deutschen Kaiserreichs. Das sogenannte „Treffen der 25+1 Bundesstaaten“ hatte bewusst diesen Ort gewählt – nicht zufällig, sondern in Sichtweite des Bundesverfassungsgerichts. Hier manifestierte sich eine ablehnende Haltung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, verkleidet als öffentliche Versammlung.

Eine der häufig gestellten Fragen im Netz lautete: „Was ist das ‚Treffen der 25+1 Bundesstaaten‘ in Karlsruhe?“ Die Antwort: Es ist ein von Reichsbürgern inszeniertes Vernetzungstreffen, das in wechselnden Städten Deutschlands abgehalten wird. Die Bezeichnung bezieht sich auf die angebliche Fortexistenz der 25 Bundesstaaten des Deutschen Kaiserreichs sowie eines freien Staates Preußen – eine These, die wissenschaftlich längst widerlegt, aber in der Szene weit verbreitet ist.

Teilnehmerzahl und Ablauf

Entgegen der vorherigen Ankündigung von bis zu 500 Teilnehmern blieb die tatsächliche Zahl bei unter 350. Ebenso erschienen etwa 250 Gegendemonstrant:innen, organisiert durch zivilgesellschaftliche Bündnisse, Kirchenkreise und antifaschistische Gruppen. Beide Seiten blieben weitgehend friedlich, wie die Polizei später bestätigte.

„Gab es beim Treffen Gewalt oder Zwischenfälle?“ – laut offizieller Angaben nicht. Die Veranstaltung verlief ohne Eskalation, die Einsatzkräfte mussten nicht aktiv eingreifen. Trotzdem blieb das Sicherheitskonzept streng: Es wurden mobile Kameras eingesetzt, Straßensperren eingerichtet und Einheiten zur Deeskalation vorgehalten.

Warum Karlsruhe? Symbolische Macht und politische Nähe

Ein zentrales Motiv der Veranstalter war die Wahl des Ortes selbst. „Warum findet das Treffen ausgerechnet in Karlsruhe statt?“ – eine berechtigte Frage, deren Antwort tief in die ideologische Struktur der Bewegung hineinreicht. Karlsruhe ist nicht nur eine historische Stadt, sondern auch Sitz des höchsten deutschen Gerichts. Die Reichsbürger-Szene lehnt das Grundgesetz ab und betrachtet viele Bundesinstitutionen als illegal oder „firmenartig“. Eine Versammlung in Karlsruhe ist somit mehr als eine Demonstration – sie ist ein symbolischer Akt der Delegitimation.

Hinter der Fassade: Wer sind die Reichsbürger?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt die Zahl der Reichsbürger und Selbstverwalter in Deutschland aktuell auf rund 26.000 Personen. Davon gelten etwa 2.600 als gewaltbereit. Der Anteil klar rechtsextremer Mitglieder liegt bei rund 1.400. Diese Zahlen zeigen: Die Szene ist nicht nur ein Sammelbecken für Fantasten und Verschwörungstheoretiker – sie hat auch ein gewaltträchtiges Potenzial.

Die Demografie zeichnet ein klares Bild: Etwa drei Viertel der Szene sind Männer, die meisten über 40 Jahre alt. Viele sind arbeitslos oder im Ruhestand, mit einer auffallend hohen Zahl an Personen in prekären sozialen Lagen. Eine frühere Broschüre der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung stellte fest: „Die Reichsbürger-Bewegung zieht Menschen mit starkem Kontrollbedürfnis und staatlichem Misstrauen an – häufig auch mit biografischen Brüchen.“

Typische Argumentationsmuster

  • Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern eine Firma („BRD GmbH“).
  • Das Deutsche Reich bestehe weiterhin fort.
  • Alle Behörden handelten illegal.
  • Gerichtsurteile und Gesetze hätten keine Gültigkeit.

Diese Annahmen sind zwar rechtlich und historisch falsch, werden jedoch in der Szene als „alternative Realität“ gepflegt und durch Telegram-Kanäle, Youtube-Videos und selbstgedruckte „Gesetze“ gestützt.

Die stille Gefahr: Gewalt und Radikalisierungspotenzial

Ein häufig unterschätzter Aspekt: „Was planen Reichsbürger bei solchen Versammlungen konkret?“ Neben öffentlichen Reden und dem Austausch von Ideen geht es um Identifikation, Bestärkung und die Verbreitung der eigenen Ideologie. Veranstaltungen wie die in Karlsruhe dienen der Sichtbarmachung – sie sind weniger Protest als Machtdemonstration.

Laut Verfassungsschutz gab es allein im Jahr 2024 über 770 extremistische Straftaten mit Bezug zur Reichsbürger-Szene, davon mehr als 100 Gewaltdelikte. Besonders betroffen: Mitarbeitende in Kommunalverwaltungen, Justizbehörden oder Jobcentern. Eine Studie der Hochschule Bremen zeigte, dass 93 % der befragten Gemeinden mindestens einmal mit Reichsbürgern in Kontakt standen – 40 % davon erlebten aggressives Verhalten.

Tabelle: Reichsbürger-Straftaten im Überblick (2023–2024)

JahrGesamtzahl Deliktedavon Gewalttatendavon gegen Amtsträger
20231.070142416
2024774105331

Zwischen Öffentlichkeit und Untergrund

Nicht alle Aktivitäten der Szene finden im öffentlichen Raum statt. Eine Untersuchung der Diskussionen auf Reddit und Twitter zeigt, dass viele Treffen bewusst außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung organisiert werden. So wurde etwa auf einem Reddit-Kanal lange vor dem Karlsruher Treffen nach dem genauen Datum und Ort gefragt – ein Indiz für die inoffizielle Verbreitung über interne Netzwerke.

Auf Plattformen wie Sonnenstaatland oder im Subreddit r/monarchism werden Reichsbürger scharf kritisiert – sogar von traditionellen Monarchisten: „A bunch of mentally ill loonies that all legitimate monarchists and traditionalists have always avoided.“ Dieses Zitat illustriert, wie isoliert die Szene auch innerhalb verwandter Bewegungen dasteht.

Karlsruhes Zivilgesellschaft zeigt Haltung

„Wie reagiert die Zivilgesellschaft in Karlsruhe auf das Treffen?“ Mit klarer Haltung: Kirchen, antifaschistische Gruppen, Studierendenvertretungen und Gewerkschaften riefen zu Gegenkundgebungen auf. Insgesamt wurden über 1.200 Menschen angemeldet, von denen rund 250 aktiv vor Ort waren.

Die Redner auf der Gegenseite setzten Zeichen gegen Menschenfeindlichkeit, Demokratieverachtung und Geschichtsrevisionismus. In der öffentlichen Wahrnehmung war jedoch die Reichsbürger-Kundgebung deutlich sichtbarer – nicht zuletzt durch ihre martialische Symbolik.

Die unterschätzte Dynamik: Was bedeutet das für die Zukunft?

Trotz der ruhigen Abläufe in Karlsruhe war das Treffen keine Randnotiz. Es steht für eine Bewegung, die sich zunehmend professionalisiert und strategisch in Szene setzt. Zwar ist die Reichsbürger-Szene stark zersplittert – mit konkurrierenden „Regierungen“, Königreichen und Exilorganisationen – doch genau diese Unübersichtlichkeit erschwert staatliches Handeln.

Zudem ist die mediale Reichweite durch soziale Medien größer denn je. Auch wenn physische Teilnehmerzahlen stagnieren oder sogar sinken, verbreiten sich Reichsbürger-Narrative online ungehindert weiter – besonders auf Plattformen wie Telegram oder Odysee. Behörden beobachten diese Entwicklung mit Sorge, zumal sich ideologische Anschlussstellen zum klassischen Rechtsextremismus mehren.

Ein Land in der Verantwortung

Das Reichsbürger-Treffen in Karlsruhe verlief friedlich – und dennoch war es ein Warnsignal. Die Szene ist heterogen, teils bizarr, aber nicht harmlos. Ihre strategische Ausrichtung auf symbolische Orte, ihre starke Online-Verbreitung und ihr anhaltendes Gewaltpotenzial machen sie zu einer Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Sicherheitsbehörden.

Zugleich zeigt die engagierte Reaktion der Zivilgesellschaft in Karlsruhe, dass demokratische Werte auch in schwierigen Zeiten verteidigt werden. Ob in Karlsruhe, Dresden oder Gera – die Auseinandersetzung mit Reichsbürger-Ideologie bleibt eine Daueraufgabe. Es ist eine Frage der Wachsamkeit, aber auch der politischen Bildung und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.