144 views 8 mins 0 comments

Überraschender Fund auf Edeka-Baustelle: Riesiger Bergbaustollen unter Annaberg entdeckt

In Aktuelles
Juni 21, 2025
Stollen

Annaberg-Buchholz

Ein spektakulärer Fund erschüttert derzeit die Baupläne im sächsischen Annaberg-Buchholz.

Bild exemplarisch

Auf einer Großbaustelle für einen neuen Edeka-Markt entdeckten Bauarbeiter einen bislang unbekannten historischen Stollen direkt unter dem Baugelände – ein Relikt aus der tief verwurzelten Bergbauvergangenheit des Erzgebirges. Die Entdeckung hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf das Bauprojekt, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf die Herausforderungen im Umgang mit Altbergbau in einer UNESCO-Welterbe-Region.

Ein unerwarteter Fund: Was geschah auf der Baustelle?

Am Vormittag des 10. Juni 2025 stieß ein Baggerführer bei Erdarbeiten auf eine Hohlstelle, die sich rasch als größerer, teilweise verschütteter Stollen entpuppte. Der Stollen verläuft quer unter dem Gelände des ehemaligen OPEW-Gebäudes in Ost-West-Richtung und liegt in einer Tiefe von etwa sechs bis sieben Metern unter der Oberfläche.

„Zuerst dachte ich an eine alte Wasserleitung oder einen Versorgungskanal“, berichtet Baugeräteführer Tobias Heinrich, der den Fund als Erster bemerkte. „Doch als ich weiter grub, wurde klar: Das hier ist viel größer.“ Die sofort verständigte Bauleitung stoppte die Arbeiten im betroffenen Bereich umgehend.

Altbergbau im Erzgebirge: Tradition mit Tiefgang

Die Region Erzgebirge blickt auf eine über 800-jährige Geschichte des Bergbaus zurück. Zwischen dem 12. und 20. Jahrhundert prägten Silber-, Zinn- und Uranabbau die Kulturlandschaft – mit tausenden Kilometern unterirdischer Stollen, Schächte und Hohlräume. Seit 2019 gehört die „Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“ zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Der nun entdeckte Stollen ist vermutlich ein Relikt dieser langen Geschichte. Er wurde bislang in keiner bekannten Katasterkarte erfasst und war auch den lokalen Behörden unbekannt. Laut Geologen handelt es sich möglicherweise um einen sogenannten Wasserlösungsstollen, der früher zur Ableitung von Grubenwasser diente – ein typisches Bauwerk in flachliegenden Lagerstätten.

Baustopp und Konsequenzen für das Edeka-Projekt

Die Entdeckung hat direkte Folgen: Die Bauarbeiten für den neuen Edeka-Markt wurden im betroffenen Bereich vollständig eingestellt. Die ursprünglich für Dezember 2025 geplante Eröffnung des Marktes wird sich voraussichtlich auf das Jahr 2026 verschieben.

Ein Sprecher der Edeka Nordbayern Bau- & Objektgesellschaft bestätigte, dass zunächst umfangreiche Untersuchungen und Sicherungsmaßnahmen nötig seien, bevor das Bauprojekt fortgesetzt werden könne. Dafür wurde die Bergsicherung Schneeberg mit der fachgerechten Freilegung und Dokumentation des Stollens beauftragt.

Behördliche Maßnahmen und Risikobewertung

Das Sächsische Oberbergamt sowie das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie sind in die Bewertung des Fundes eingebunden. Sie prüfen derzeit:

  • ob weitere Hohlräume in unmittelbarer Nähe vorhanden sind,
  • wie tragfähig der Untergrund für das geplante Gebäude noch ist,
  • ob eine vollständige Verfüllung des Stollens notwendig wird oder ob alternative Sicherungsmethoden in Betracht kommen.

Ein Pressesprecher der Stadt Annaberg-Buchholz äußerte sich vorsichtig optimistisch: „Die Entdeckung ist überraschend, aber wir sind geübt im Umgang mit unserer montanen Vergangenheit. Sicherheit hat oberste Priorität.“

Geotechnische Herausforderungen: Hohlräume und Statik

Ein offener Stollen unter einem Neubau stellt ein erhebliches Risiko für die Statik dar. Selbst bei nur teilweiser Verfüllung können Resthohlräume langfristig zu Setzungen im Baugrund führen. Ingenieure weisen darauf hin, dass besonders wasserführende Altstollen bei wechselnden Grundwasserständen instabil werden können. Dies betrifft sowohl die Tragfähigkeit der Baustruktur als auch die Bodenhydrologie in der Umgebung.

Bautechnische Optionen zur Sicherung

Experten sehen drei Optionen:

  1. Komplettverfüllung mit Injektionsmörtel oder Flugasche-Zement-Gemischen,
  2. Teilweise Offenhaltung mit tragwerksstützenden Maßnahmen, etwa Betonunterzügen,
  3. Dauerhafte Verwahrung mit statischer Entkopplung durch spezielle Fundamentlösungen.

Welche Variante letztlich umgesetzt wird, hängt auch von wirtschaftlichen Faktoren ab. Während eine Komplettverfüllung mit etwa 150.000 Euro zu Buche schlagen kann, sind stützende Baumaßnahmen häufig mit technischen Einschränkungen für spätere Erweiterungen verbunden.

Langfristige Perspektiven: Stollen als Chance?

Neben den unmittelbaren Risiken sehen einige Stimmen aus der Region in dem Fund auch Potenzial. Der Stollen könnte perspektivisch in ein Besucherbergwerk oder einen geologischen Lehrpfad integriert werden. Vergleichbare Projekte existieren bereits im Erzgebirge – etwa der „Markus-Röhling-Stolln“ oder das Besucherbergwerk Zinnkammern Pöhla.

„Solche Funde sind seltene Schätze, keine Altlasten“, meint ein Vertreter der Tourismusförderung. „Wenn wir hier Bildungsangebote, Geschichte und regionale Identität verknüpfen, kann aus einem Baustopp eine kulturelle Bereicherung entstehen.“

Erweiterte Perspektive: Bildung, Forschung, Regionalentwicklung

Auch Fachhochschulen der Region haben bereits Interesse signalisiert, den Fund wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Hochschule Mittweida und die TU Bergakademie Freiberg gelten als potenzielle Partner für geotechnische Untersuchungen oder interdisziplinäre Projekte.

Denkbar wären:

  • Studienprojekte zur geophysikalischen Erkundung,
  • Lehrpfade zur Bergbaugeschichte für Schulen und Touristen,
  • Virtual-Reality-Modelle zur Visualisierung unterirdischer Strukturen.

Gerade durch die Welterbe-Auszeichnung bietet die Region einen geeigneten Rahmen für nachhaltige Bildungsinitiativen rund um das Thema Altbergbau.

Altbergbau in Zahlen: Eine unterschätzte Herausforderung

Laut offiziellen Schätzungen gibt es in Sachsen über 16.000 bekannte Altbergbauobjekte. Etwa 3.000 davon gelten als sicherungsbedürftig. Zwischen 2014 und 2023 wurden in Sachsen rund 56,8 Millionen Euro für Sicherungsmaßnahmen im Altbergbau investiert – vor allem aus EU-Fördermitteln.

KriteriumSachsen (Stand 2023)
Bekannte Altbergbauobjekteca. 16.000
Sicherungsbedürftige Objekteca. 3.000
Investitionen (2014–2023)56,8 Mio. €
EU-Förderanteilüber 60%

Öffentliche Meinung: Zwischen Skepsis und Stolz

Die Entdeckung des Stollens wird in der Bevölkerung unterschiedlich aufgenommen. Einige Anwohner sorgen sich um langfristige Verzögerungen und mögliche Kostensteigerungen. Andere wiederum sehen in dem Fund einen Beleg für die Bedeutung ihrer Heimatregion.

Ein Rentner aus der Nachbarschaft formulierte es so:
„Das Erzgebirge lebt unter der Erde weiter. Wer hier baut, muss mit Geschichte rechnen.“

Ein Fund mit Tiefenwirkung

Der Fund des historischen Stollens unter der Edeka-Baustelle in Annaberg-Buchholz ist weit mehr als ein bauliches Ärgernis. Er zeigt eindrucksvoll, wie lebendig die Vergangenheit des Erzgebirges ist – und wie sorgfältig man mit ihr umgehen muss.

Während Behörden, Bauunternehmen und Geologen nun an technischen Lösungen arbeiten, bietet sich zugleich eine seltene Gelegenheit: Die Verbindung von Geschichte, Technik und regionaler Identität. Wie die Region diese Chance nutzt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

Avatar
Redaktion / Published posts: 1386

Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.