
Inmitten der Debatte um Meinungsfreiheit und Religionsvielfalt geraten deutsche Hochschulen zunehmend ins Visier einer neuen Kontroverse. Muslimische Hochschulgruppen sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, mit geschlechtergetrennten Veranstaltungen und konservativen religiösen Normen eine schleichende Parallelgesellschaft zu fördern.
Ein Vorfall mit Signalwirkung: Die Charité unter Druck
Ausgelöst wurde die jüngste Welle der Diskussion durch einen Vorfall an der renommierten Berliner Universitätsklinik Charité. Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der muslimischen Hochschulgruppe „MedIslam Collective“ fand ein Vortrag statt, bei dem die Teilnehmenden nach Geschlechtern getrennt saßen – Männer links, Frauen rechts. Nicht nur die Trennung selbst sorgte für Aufsehen, sondern auch die Tatsache, dass laut Augenzeugen konservativ-islamische Inhalte im Vordergrund standen und offenbar sogar salafistische Redner eingeladen worden waren.
Die Universitätsleitung reagierte prompt: Der Gruppe wurde die weitere Nutzung universitärer Räumlichkeiten untersagt. Zur Begründung erklärte ein Sprecher der Charité, die Veranstaltung habe „elementare Werte wie Gleichstellung und Inklusion verletzt“. Die Maßnahme war ein deutliches Signal, doch das Thema reicht weit über die Berliner Grenzen hinaus.
Was bedeutet Parallelgesellschaft im akademischen Kontext?
Die Rede von „Parallelgesellschaften“ ist in der deutschen Integrationsdebatte nicht neu. Gemeint ist eine Form der gesellschaftlichen Abgrenzung, bei der sich ethnische oder religiöse Gruppen eigene Wertesysteme schaffen, die sich von den gesellschaftlich und rechtlich akzeptierten Normen abkoppeln. An Hochschulen, die per Definition Orte des Austauschs, der Kritik und der Freiheit sein sollen, wirkt dieser Begriff besonders brisant.
Im universitären Kontext äußert sich eine solche Tendenz nicht nur in religiös motivierter Geschlechtertrennung. Auch die Forderung nach eigenen Gebetsräumen mit spezifischer Geschlechterordnung oder nach der Einführung scharia-konformer Inhalte in öffentlichen Debatten gehört dazu. Solche Entwicklungen führen zu Spannungen – zwischen dem Anspruch auf religiöse Freiheit und dem Auftrag zur Wahrung demokratischer Grundwerte.
Wie verbreitet ist Geschlechtertrennung an deutschen Universitäten?
Obwohl sich die Vorfälle bisher auf Einzelfälle konzentrieren, mehren sich die Berichte über ähnliche Konstellationen. Neben der Charité geriet auch die Universität Kiel in den Fokus, wo es bei einer sogenannten „Islam Week“ zu einer strikten Trennung der Sitzplätze nach Geschlechtern kam. Studentische Berichte aus Foren wie Reddit oder X (ehemals Twitter) beschreiben „separate Eingänge“, „Frauen in den hinteren Reihen“ und eine „strenge religiöse Atmosphäre“.
Auch in Köln wurde von einer ähnlichen Praxis berichtet: Muslimische Studierendengruppen organisierten getrennte Gebetstreffen in ungenutzten Kellerräumen, fernab universitärer Gremien und Aufsicht. Solche Räume werden in sozialen Netzwerken mittlerweile ironisch als „Scharia-Keller“ bezeichnet – Ausdruck eines zunehmenden Unbehagens.
Wie blicken Studierende selbst auf diese Entwicklungen?
Ein Blick in die Online-Kommentare zeigt ein geteiltes Bild. Während ein Teil der Studierenden betont, dass solche Veranstaltungen auf freiwilliger Basis stattfinden und unter die Religionsfreiheit fallen, warnen andere: „Es beginnt mit Sitztrennung und endet damit, dass Frauen nicht mehr frei studieren können“, so ein Reddit-Nutzer. Auf X vergleichen Kommentierende das Vorgehen mit „mittelalterlichen Praktiken“, während andere von einer „stille Islamisierung“ sprechen.
Studienlage: Islamistische Tendenzen bei Theologiestudierenden
Eine viel beachtete Studie der Universität Münster lieferte 2024 erste empirische Hinweise auf die politische Einstellung angehender islamischer Religionslehrer. Die Ergebnisse zeigen ein bedenkliches Bild: Rund 25 Prozent der Befragten befürworten die Einführung der Scharia, knapp ein Drittel äußerte antiwestliche Überzeugungen. Weitere 23 Prozent sprachen sich explizit für eine strikte Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum aus. Auch antisemitische Einstellungen waren deutlich messbar – über 50 Prozent der Befragten lehnten das Existenzrecht Israels ab.
Diese Zahlen werfen die Frage auf: Gibt es eine systemische Radikalisierungsgefahr im Bildungsbereich? Experten wie der Politologe Hamed Abdel-Samad sehen in solchen Studien einen klaren Auftrag an Hochschulen, die Inhalte und Strukturen religionsbezogener Studiengänge kritisch zu hinterfragen. „Wir dürfen nicht naiv sein“, sagte Abdel-Samad in einem Interview. „Wer die Scharia über das Grundgesetz stellt, stellt auch unsere Demokratie in Frage.“
Die Rolle islamischer Verbände und der innermuslimische Diskurs
Während konservativ-religiöse Gruppen zunehmend Präsenz zeigen, formieren sich auch liberale Gegenströmungen. Einrichtungen wie das Zentrum für Islamische Frauenforschung (ZIF) oder die Maqāsid-Initiative setzen sich für eine geschlechtergerechte Auslegung der Religion ein. Ihr Ziel ist es, die religiöse Praxis mit demokratischen Werten zu versöhnen – etwa durch Dialogveranstaltungen, Schulungen und theologische Fortbildungen.
Welche liberalen Gegenströmungen innerhalb des Islams existieren in Deutschland? Die erwähnten Akteure bieten klare Alternativen zu konservativen Bewegungen. Sie betonen, dass der Islam in Europa nur dann zukunftsfähig ist, wenn er sich mit den Prinzipien von Freiheit, Gleichberechtigung und Pluralismus vereinbaren lässt.
Universitäten im Dilemma: Zwischen Neutralität und Wertebewahrung
Universitäten stehen vor einer schwierigen Aufgabe: Sie müssen einerseits religiöse Vielfalt zulassen und Studierenden Raum für spirituelle Entfaltung geben, andererseits aber demokratische Grundsätze wie Gleichstellung und Freiheit schützen. In den jüngsten Fällen reagierten sie mit konsequentem Handeln – doch langfristig stellt sich die Frage nach klaren Leitlinien.
Die Bildungsministerien der Länder prüfen inzwischen Regelwerke, die festlegen sollen, in welchem Rahmen religiöse Gruppen auf Hochschulgeländen aktiv werden dürfen. Die Diskussion ist Teil eines größeren gesellschaftlichen Diskurses über Integration, Toleranz und die Grenzen kultureller Vielfalt.
Wie positioniert sich die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam?
Ein oft zitiertes Dokument in diesem Zusammenhang ist die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1990. Sie versteht sich als muslimisches Pendant zur UN-Menschenrechtserklärung, ordnet jedoch alle Rechte der Scharia unter. Artikel 24 hält fest, dass sämtliche Freiheiten im Einklang mit islamischem Recht stehen müssen. Kritiker sehen darin einen Widerspruch zu westlichen Menschenrechtsnormen – gerade im Hinblick auf Gleichstellung, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit.
Was sagen Foren und soziale Netzwerke?
In der Recherche stachen vor allem Plattformen wie Reddit und Twitter hervor, auf denen betroffene Studierende ihre Beobachtungen schildern. Wiederkehrend ist die Sorge, dass religiöse Gruppen eigene soziale Räume schaffen, die sich der öffentlichen Kontrolle entziehen. Viele sehen darin die Entstehung von Parallelgesellschaften an Universitäten, andere betrachten es als Ausdruck religiöser Freiheit.
Ein Nutzer fasste es so zusammen: „Wenn in staatlich finanzierten Einrichtungen religiöse Normen Vorrang bekommen, dann sind wir nicht mehr weit entfernt von einer Spaltung der akademischen Gemeinschaft.“
Gibt es „Scharia-Keller“ oder informelle religiöse Räume an Hochschulen?
Auch wenn der Begriff überzeichnet klingt, deuten verschiedene Erfahrungsberichte darauf hin, dass sich informelle Gebets- oder Treffpunkte muslimischer Gruppen etabliert haben. Diese Räume – oft unregistriert oder ohne offizielle Genehmigung – dienen religiösen Zusammenkünften mit klaren Regeln zur Geschlechtertrennung. Universitäten stehen hier vor dem Problem mangelnder Transparenz, da diese Aktivitäten meist außerhalb offizieller Programme stattfinden.
Die Debatte über islamisch geprägte Parallelstrukturen an deutschen Hochschulen ist mehr als ein kurzfristiges Medienthema – sie berührt Grundfragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Zwischen Religionsfreiheit und Gleichstellungsanspruch, zwischen liberalem Pluralismus und konservativer Normbindung spannt sich ein Spannungsfeld auf, das politisch, akademisch und zivilgesellschaftlich neu verhandelt werden muss. Die Herausforderung besteht darin, Differenz zuzulassen, ohne demokratische Grundpfeiler zu gefährden. Wie Hochschulen diesen Balanceakt meistern, wird maßgeblich bestimmen, ob sie auch in Zukunft Orte offenen und gleichberechtigten Diskurses bleiben.