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Pforzheimer Wichernhaus schlägt Alarm: Dringend neue Unterkünfte für ältere und pflegebedürftige Wohnungslose benötigt

In Pforzheim
August 08, 2025

Pforzheim – Die Wohnungslosenhilfe des Wichernhauses steht vor einer dringenden Herausforderung: Immer mehr ältere, pflegebedürftige und psychisch erkrankte Menschen benötigen eine barrierearme Unterkunft, die das aktuelle Gebäude nicht bieten kann. Etwa jeder fünfte Bewohner fällt bereits in diese besonders vulnerable Gruppe – und der Anteil steigt weiter. Ohne schnelle Lösungen droht eine Versorgungslücke, die für Betroffene gravierende Folgen haben könnte.

Steigende Zahl älterer und pflegebedürftiger Wohnungsloser

Die Entwicklung in Pforzheim ist kein Einzelfall, sondern Teil eines bundesweiten Trends: Immer mehr wohnungslose Menschen sind älter, gesundheitlich stark eingeschränkt oder benötigen sogar pflegerische Betreuung. Im Wichernhaus hat sich dieser Trend deutlich bemerkbar gemacht. Nach Angaben der Leitung sind mittlerweile rund 20 Prozent der Bewohner überdurchschnittlich alt oder von gesundheitlichen Einschränkungen betroffen, die den Alltag erheblich erschweren.

Dieser Wandel bringt neue Anforderungen an Unterkünfte mit sich. Räume müssen nicht nur Schutz bieten, sondern auch so gestaltet sein, dass Rollatoren, Rollstühle und andere Hilfsmittel problemlos genutzt werden können. Pflegepersonal benötigt genügend Platz, um Hilfsleistungen zu erbringen. Doch genau diese Voraussetzungen erfüllt das bestehende Wichernhaus-Gebäude nicht.

Das Wichernhaus – zentrale Anlaufstelle mit begrenzten Möglichkeiten

Das Wichernhaus ist seit vielen Jahren eine feste Größe in der sozialen Infrastruktur von Pforzheim. Als Einrichtung der Stadtmission und Diakonie bietet es sowohl Fachberatung für Menschen in akuter Wohnungsnot als auch stationäre Hilfen für jene, die vorübergehend oder dauerhaft keinen eigenen Wohnraum haben. Die Beratungsstelle hilft bei der Sicherung des Lebensunterhalts, begleitet Behördengänge und unterstützt bei der Wohnungssuche. Gleichzeitig stehen Übernachtungsplätze und stationäre Unterbringung zur Verfügung, wenn eine Selbstversorgung nicht möglich ist.

Besonders für die Stadt Pforzheim ist das Wichernhaus ein unverzichtbarer Partner, da es als zentrale Notunterkunft und Beratungsstelle fungiert. Die Einrichtung ist rund um die Uhr ansprechbar, was für Menschen in akuten Notsituationen lebenswichtig sein kann. Dennoch stößt das Angebot angesichts der veränderten Klientel zunehmend an seine Grenzen.

Warum die Barrierefreiheit jetzt entscheidend ist

Das bestehende Gebäude ist in die Jahre gekommen. Enge Flure, Treppen ohne Aufzüge und Sanitäranlagen, die nicht rollstuhlgerecht sind, machen den Alltag für mobilitätseingeschränkte Bewohner zu einer täglichen Herausforderung. Die Leitung des Hauses weist darauf hin, dass die Unterbringung älterer, gesundheitlich eingeschränkter Menschen in nicht-barrierefreien Räumen nicht nur unpraktisch, sondern auch gefährlich sein kann – Stürze, Isolation und mangelnde medizinische Versorgung sind mögliche Folgen.

„Wir brauchen dringend passende Räume, in denen wir unsere älteren Bewohner sicher und würdevoll unterbringen können“, betont Jutta Arndt, Geschäftsführerin der Wohnungslosenhilfe Wichernhaus. Ihre Sorge ist, dass ohne schnelle bauliche Veränderungen oder die Anmietung geeigneter Räumlichkeiten die Versorgung dieser Personengruppe nicht mehr gewährleistet werden kann.

Bundes- und Landesstatistiken bestätigen den Trend

Ein Blick auf die aktuellen Zahlen unterstreicht die Dringlichkeit: Zum Stichtag 31. Januar 2025 wurden in Deutschland insgesamt 474.675 wohnungslose Menschen gezählt. In Baden-Württemberg lag die Zahl bei rund 94.550 – und die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Studien weisen darauf hin, dass gerade ältere Obdachlose häufiger sichtbar auf der Straße leben, während jüngere Betroffene häufiger verdeckt bei Bekannten oder in Übergangsunterkünften unterkommen.

Die demografische Entwicklung verschärft die Lage zusätzlich. Fachverbände berichten von einer wachsenden Zahl älterer, alleinstehender Männer mit langjähriger Wohnungslosigkeit und oft mehreren gesundheitlichen Problemen gleichzeitig. Diese Kombination macht eine spezialisierte, pflegenah organisierte Unterkunft notwendig.

Mehrfachproblemlagen und ihre Auswirkungen

Viele ältere Wohnungslose leiden nicht nur unter körperlichen Einschränkungen, sondern auch unter psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen. Diese Mehrfachproblemlagen erhöhen den Unterstützungsbedarf erheblich. Während jüngere Betroffene oft mit einer reinen Wohnraumvermittlung wieder eigenständig leben können, benötigen ältere und gesundheitlich eingeschränkte Menschen oftmals eine langfristige, betreute Wohnform.

Ohne eine entsprechende Anpassung der Unterbringung droht eine gefährliche Versorgungslücke. Pflegerische und medizinische Hilfe lässt sich in einem ungeeigneten Umfeld nur schwer umsetzen. Zudem führt die fehlende Barrierefreiheit häufig dazu, dass Betroffene ihre Zimmer nicht verlassen können – was wiederum soziale Isolation verstärkt.

Engagement aus der Zivilgesellschaft

Abseits der institutionellen Hilfe leisten lokale Initiativen wie Straßenengel Pforzheim oder Helping Hands Pforzheim wichtige Unterstützung. Sie versorgen Menschen direkt auf der Straße mit Essen, Hygieneartikeln und Kleidung. Besonders für ältere Obdachlose, die mobil stark eingeschränkt sind, können solche mobilen Hilfsangebote entscheidend sein.

In den sozialen Medien dokumentieren diese Gruppen regelmäßig ihre Einsätze und machen auf Missstände aufmerksam. Auch wird dort deutlich, dass viele Menschen trotz festem Einkommen in Wohnungslosigkeit geraten – meist aufgrund der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt.

Prävention: Der Schritt vor der Obdachlosigkeit

Die Stadt Pforzheim verweist auf verschiedene Präventionsangebote, um drohende Wohnungslosigkeit zu verhindern. Dazu gehören Beratungen bei Miet- und Energieschulden sowie Hilfen bei der Suche nach Ersatzwohnraum. Solche Maßnahmen sind besonders für ältere Menschen von Bedeutung, da ein Wohnungsverlust in dieser Lebensphase schwerwiegende Folgen hat und der Weg zurück in den regulären Wohnungsmarkt besonders steinig ist.

Frühere EU-geförderte Projekte wie das EHAP-Programm haben gezeigt, dass aufsuchende Sozialarbeit wirksam sein kann, um Menschen frühzeitig zu erreichen. Ein gezielter Ausbau solcher Strukturen für die älteren Betroffenen könnte langfristig verhindern, dass diese überhaupt in Notunterkünfte ziehen müssen.

Mögliche Lösungswege für Pforzheim

Fachleute und Verbände schlagen verschiedene Maßnahmen vor, um die Situation kurzfristig und langfristig zu verbessern:

  • Anmietung barrierearmer Räumlichkeiten in zentraler Lage, um schnelle Entlastung zu schaffen.
  • Umbau des bestehenden Gebäudes mit Fokus auf Aufzüge, barrierefreie Sanitäranlagen und breite Flure.
  • Kooperation mit ambulanten Pflegediensten, um pflegenahen Betrieb auch ohne eigene Pflegeabteilung zu ermöglichen.
  • Einrichtung kleiner Pflegecluster innerhalb der Einrichtung für besonders pflegeintensive Bewohner.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Die größten Hürden liegen in der Finanzierung und der personellen Ausstattung. Barrierefreie Umbauten sind kostenintensiv, und der Fachkräftemangel im Pflegebereich wirkt sich auch auf die Wohnungslosenhilfe aus. Die Anwerbung und Bindung von qualifiziertem Personal wird daher ebenso wichtig sein wie die baulichen Maßnahmen selbst.

Zudem müssen Fördermittel auf kommunaler und Landesebene gezielt erschlossen werden. Die hohen offiziellen Zahlen zur Wohnungslosigkeit können hierbei als Argumentationsgrundlage dienen, um Dringlichkeit und Bedarf zu unterstreichen.

Stimmen aus der Praxis

Jutta Arndt bringt die Lage auf den Punkt: „Wir wollen, dass alle unsere Bewohner – egal welchen Alters oder Gesundheitszustands – sicher, würdevoll und mit der notwendigen Unterstützung leben können. Dafür brauchen wir dringend die passenden Räumlichkeiten.“

Auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer betonen, wie wichtig ein würdevoller Umgang mit älteren Obdachlosen ist. „Es geht nicht nur um ein Dach über dem Kopf, sondern um Lebensqualität und Teilhabe“, heißt es aus den Reihen der Freiwilligen.

Der Blick in die Zukunft

Die aktuelle Situation macht deutlich, dass Pforzheim vor einer strategischen Entscheidung steht. Entweder werden kurzfristig geeignete Räumlichkeiten geschaffen und langfristige Strukturen für ältere Wohnungslose aufgebaut – oder die Versorgungslücke wird sich weiter vergrößern.

Die bisherigen Entwicklungen lassen erkennen, dass das Thema in der Stadtgesellschaft zunehmend wahrgenommen wird. Lokale Medien, soziale Netzwerke und Hilfsorganisationen tragen dazu bei, dass der Handlungsdruck steigt. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, ob aus der akuten Notlage ein dauerhaft tragfähiges Versorgungskonzept entstehen kann.

Auch wenn der Weg zu einer barrierefreien und pflegenahen Unterbringung älterer Wohnungsloser komplex ist, steht fest: Der Bedarf ist da, er ist messbar – und er wächst. Wer jetzt handelt, kann verhindern, dass die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft in eine noch prekärere Lage geraten. Pforzheim hat die Chance, hier ein Vorbild zu werden – wenn Politik, Träger und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.