Stuttgart: Neues G9 startet zum Schulbeginn – Kultusministerin Schopper setzt auf steigende Abiturquoten

In Stuttgart
September 08, 2025

Stuttgart – Mit dem Beginn des neuen Schuljahres 2025/26 startet in Baden-Württemberg offiziell das reformierte G9. Kultusministerin Theresa Schopper verbindet mit dem neuen neunjährigen Gymnasialzug die Hoffnung, dass künftig mehr Schülerinnen und Schüler den Weg bis zum Abitur schaffen. Rund 83.000 Kinder in den Klassenstufen 5 und 6 beginnen mit dem neuen Konzept, das auf zeitgemäße Inhalte, längere Lernzeit und mehr individuelle Förderung setzt.

Mehr Zeit für vertieftes Lernen

Das neue G9 soll nicht nur eine Rückkehr zur längeren Gymnasialzeit sein, sondern inhaltlich einen qualitativen Sprung darstellen. Kultusministerin Schopper betonte im Vorfeld, dass es nicht mehr darum gehen könne, leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler in der Mittelstufe auszusortieren. Stattdessen sollen die zusätzlichen Schuljahre genutzt werden, um die Grundlagen zu stärken, heterogene Lerngruppen besser zu fördern und die Abiturquote langfristig zu erhöhen.

Innovationselemente des neuen G9

Das Kultusministerium hat fünf zentrale Bausteine für die Weiterentwicklung des Gymnasiums definiert:

  • Stärkung der Grundlagenfächer: Mehr Differenzierung in Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen.
  • MINT-Fokus: Naturwissenschaften erhalten mehr Gewicht, Informatik und Medienbildung werden ab Klasse 5 durchgehend verpflichtend unterrichtet.
  • Demokratiebildung: Von Klassenlehrerstunden in den unteren Klassen bis zu einem Projektkurs in der Oberstufe.
  • Berufs- und Studienorientierung: Mit verbindlichen Praxiselementen sollen Schülerinnen und Schüler frühzeitig Einblicke in die Berufswelt bekommen.
  • Individuelles Mentoring: An wichtigen Übergängen, etwa beim Wechsel von Unter- zu Mittelstufe, sollen Lerncoaches unterstützen.

Neues Fach: Informatik und Medienbildung

Besonders hervorgehoben wird das neue Pflichtfach „Informatik und Medienbildung“. Es soll nicht nur technische Grundkenntnisse vermitteln, sondern auch Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien stärken. Themen wie das Erkennen von Fake News oder ein reflektierter Einsatz von Smartphones und Tablets stehen ebenso auf dem Plan wie Programmierkenntnisse. Damit will das Land sicherstellen, dass Kinder frühzeitig für eine digitalisierte Gesellschaft vorbereitet werden.

Übergangsphase ohne neue Lehrpläne

Zum Start des neuen Schuljahres gibt es allerdings noch keine komplett überarbeiteten Lehrpläne oder neuen Schulbücher. Stattdessen stellt das Ministerium Übergangsmaterialien, sogenannte Lesehilfen, zur Verfügung. Auch Handreichungen für Lehrkräfte sowie begleitende Fortbildungen sollen helfen, die Veränderungen Schritt für Schritt in den Schulalltag zu integrieren. Besonders im Fachverbund BNT (Biologie, Naturphänomene, Technik) ergeben sich Anpassungen: Der Schwerpunkt wird künftig stärker auf Biologie gelegt, während physikalische Themen ab Klasse 7 projektorientiert unterrichtet werden.

Personaldebatte überschattet den Start

Während die inhaltlichen Neuerungen weitgehend positiv aufgenommen werden, sorgt die Lehrerversorgung für Diskussionen. Kurzfristig führt das neue G9 zu einem Überangebot an Gymnasiallehrkräften: Für das kommende Schuljahr stehen rund 1.500 Bewerberinnen und Bewerber nur etwa 360 freien Stellen gegenüber. „Jetzt keine zusätzlichen Kräfte einzustellen, ist fahrlässig“, kritisierte die CDU. Schopper hingegen verweist auf andere Schularten, die akuten Personalmangel haben. Bewerber sollen vorübergehend dort eingesetzt werden, mit einer garantierten Option zur Rückkehr ans Gymnasium.

Langfristiger Mehrbedarf ab 2032

Während kurzfristig weniger Lehrer benötigt werden, kehrt sich die Lage langfristig ins Gegenteil um. Mit dem vollständigen Ausbau des G9 bis 2032/33 wird eine zusätzliche Jahrgangsstufe eingeführt – und damit wächst der Bedarf an Gymnasiallehrkräften erheblich. Prognosen sprechen von rund 2.500 zusätzlichen Stellen, die dann zu besetzen sein werden. Kritiker warnen vor einer „bildungspolitischen Geisterfahrt“, wenn jetzt nicht mehr junge Lehrkräfte dauerhaft gebunden werden.

Ein Schritt in Richtung moderner Bildung

Mit dem Start des neuen G9 setzt Baden-Württemberg ein starkes Signal für eine moderne und zukunftsorientierte Bildungspolitik. Die Reform ist nicht nur eine Rückkehr zur neunjährigen Gymnasialzeit, sondern verknüpft diese mit einer umfassenden inhaltlichen Neuausrichtung. Die Herausforderungen – von fehlenden Lehrplänen über offene Fragen bei der Umsetzung bis hin zur Personaldebatte – bleiben groß. Doch der Anspruch ist klar: Mehr Zeit, mehr Qualität und am Ende mehr junge Menschen, die erfolgreich ihr Abitur bestehen. Für viele Familien, Lehrkräfte und Schüler ist dies der Beginn einer neuen Ära im Bildungssystem des Landes.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.