
Stuttgart – Eine 35-jährige Frau sieht sich gezwungen, juristische Schritte einzuleiten: Sie hat Untätigkeitsklage gegen die Ausländerbehörde Stuttgart eingereicht. Der Vorwurf: monatelanges Schweigen der Behörde, keine Bearbeitung ihres Antrags und damit ein Stillstand, der weitreichende Folgen für ihr Leben hat. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf strukturelle Probleme, die in Stuttgart und vielen anderen deutschen Städten immer häufiger zu Klagen führen.
Wachsende Zahl von Untätigkeitsklagen in Stuttgart
Einzelfall mit Signalwirkung
Die Klage der 35-jährigen Antragstellerin reiht sich in eine Entwicklung ein, die sich in Stuttgart seit einigen Jahren verstärkt. Immer mehr Betroffene, die beispielsweise einen Aufenthaltstitel verlängern, eine Einbürgerung beantragen oder auf eine Niederlassungserlaubnis warten, greifen zum letzten Mittel: der Untätigkeitsklage. Die Frau beruft sich auf § 75 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), der vorsieht, dass eine Behörde nach spätestens drei Monaten eine Entscheidung treffen muss. Bleibt diese aus, können Betroffene die Gerichte anrufen.
Zahlen verdeutlichen den Trend
Laut Berichten stieg die Zahl der Untätigkeitsklagen in Stuttgart sprunghaft an. Während es 2020 nur wenige Fälle gab, sind es inzwischen mehrere Hundert pro Jahr. Besonders im Bereich Einbürgerung und Aufenthaltstitel stauen sich Verfahren, oft mit Wartezeiten von 12 bis 18 Monaten. Aktuell sollen mehr als 8.000 Fälle unbearbeitet sein – eine Zahl, die den immensen Druck auf die Ausländerbehörde verdeutlicht.
Rechtlicher Rahmen: Wann eine Untätigkeitsklage greift
Die drei Monate Frist
Wer einen Antrag bei der Ausländerbehörde stellt, darf eine gewisse Bearbeitungszeit erwarten. Doch nach drei Monaten sieht das Gesetz eine klare Grenze: Liegt bis dahin keine Entscheidung vor, haben Antragsteller die Möglichkeit, eine Untätigkeitsklage einzureichen. Das Gericht prüft dann, ob die Behörde zureichende Gründe für die Verzögerung hat.
Zureichende Gründe oder bloß Ausreden?
Als „zureichender Grund“ gelten beispielsweise fehlende Unterlagen oder komplexe Prüfverfahren, wenn andere Behörden eingebunden sind. Personalmangel oder Überlastung hingegen zählen nicht dazu. Viele Betroffene erleben genau diese Situation: lange Wartezeiten, ohne dass ihnen ein sachlicher Grund genannt wird. Ein Nutzer in einem Forum beschreibt die Situation so: „Wir warten seit Monaten auf eine Antwort, obwohl wir alle Unterlagen eingereicht haben. Niemand meldet sich zurück.“
Perspektiven aus Stuttgart: Alltag zwischen Geduld und Frust
Erfahrungen aus Foren und sozialen Medien
In sozialen Netzwerken und Foren häufen sich Berichte von Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie die Klägerin. Manche warten seit Monaten auf einen Termin, andere bekommen trotz mehrfacher Nachfragen keine Antwort. Ein Nutzer berichtet, dass seine Frau vergeblich versucht habe, einen Aufenthaltstitel zu verlängern – E-Mails blieben unbeantwortet, am Telefon niemand erreichbar. Erst durch persönliches Erscheinen habe sich überhaupt eine Reaktion ergeben.
Fiktionsbescheinigung als Notlösung
Wer das Ende seines Aufenthaltstitels erreicht, aber noch keine Entscheidung der Behörde hat, erhält oft eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Diese dient als Übergangslösung und hält den rechtlichen Status bis zur endgültigen Entscheidung aufrecht. Doch auch dieser Schritt bedeutet zusätzliche Wege, Unsicherheit und in manchen Fällen rechtliche Nachteile.
Hintergrund: Warum dauert es so lange?
Personalmangel und Rückstau
Die Stadt Stuttgart hat selbst eingeräumt, dass die Ausländerbehörde mit massiven Rückständen kämpft. Der Personalmangel ist seit Jahren ein Problem, zusätzlich erschweren hohe Fallzahlen und komplexe Verfahren die Arbeit. Nach Einschätzung von Experten hat die Digitalisierung zwar begonnen, reicht aber noch nicht aus, um die Wartezeiten spürbar zu verkürzen.
Studien und Analysen
Das Jahresgutachten des Sachverständigenrats für Integration und Migration von 2025 bestätigt diese strukturellen Defizite. Neben Personalmangel nennen die Experten zu komplexe Prozesse und fehlende Koordination als Gründe für die stockende Bearbeitung. Betroffene empfinden dies oft als persönliche Hürde, die ihr Leben erheblich beeinflusst – etwa bei Jobsuche, Wohnungssuche oder Reisen ins Ausland.
Typische Fragen von Betroffenen – und ihre Antworten
Was kann ich tun, wenn die Ausländerbehörde nach drei Monaten keine Entscheidung trifft?
In diesem Fall besteht die Möglichkeit einer Untätigkeitsklage. Voraussetzung ist, dass alle Unterlagen vollständig eingereicht wurden und die Verzögerung nicht durch rechtlich anerkannte Gründe verursacht wurde.
Wer trägt die Kosten, wenn ich eine Untätigkeitsklage einreiche?
Entscheidet das Gericht zugunsten des Antragstellers, muss in der Regel die Behörde die Kosten tragen. Liegt jedoch ein zureichender Grund für die Verzögerung vor, können auch Antragsteller an den Kosten beteiligt werden.
Kann man eine Untätigkeitsklage auch ohne Anwalt einreichen?
Grundsätzlich ja. Allerdings wird dringend empfohlen, juristische Beratung in Anspruch zu nehmen, da formale Fehler die Klage gefährden können.
Was gilt als „zureichender Grund“ für eine Verzögerung?
Dazu zählen etwa fehlende Dokumente oder komplexe Ermittlungen, die weitere Behörden betreffen. Nicht anerkannt werden Überlastung oder fehlendes Personal.
Kann ich eine Untätigkeitsklage einreichen, wenn mein Aufenthaltstitel bald abläuft?
Ja, auch in solchen Fällen ist eine Klage möglich. Parallel kann jedoch eine Fiktionsbescheinigung erforderlich werden, um den rechtlichen Status abzusichern.
Gerichtliche Entscheidungen aus Stuttgart
Urteile als Orientierung
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat sich in der Vergangenheit mehrfach mit Untätigkeitsklagen befasst. In einigen Fällen entschieden die Richter, dass die Behörde schneller handeln müsse. Diese Urteile zeigen, dass Betroffene gute Chancen haben, wenn sie alle Voraussetzungen erfüllen.
Kritische Stimmen aus der Praxis
Rechtsanwälte weisen darauf hin, dass eine Untätigkeitsklage zwar Druck ausüben kann, jedoch nicht immer sofortige Lösungen bringt. Manche Verfahren ziehen sich auch nach Klageerhebung in die Länge. Dennoch sehen viele Juristen in diesem Schritt die einzige Möglichkeit, Bewegung in festgefahrene Verfahren zu bringen.
Die menschliche Dimension: Betroffene zwischen Hoffnung und Resignation
Erfahrungsberichte
In Foren wie Reddit oder in speziellen Beratungsplattformen schildern Betroffene eindringlich ihre Erfahrungen. Einer schreibt: „Seit über einem Jahr liegt mein Antrag auf dem Tisch der Behörde. Statt einer Entscheidung bekomme ich nur Verlängerungen meiner Duldung.“ Solche Aussagen zeigen, dass nicht nur rechtliche, sondern auch emotionale Belastungen eine Rolle spielen.
Gefühl der Ohnmacht
Viele berichten von Machtlosigkeit, weil sie sich abhängig fühlen vom Tempo der Behörde. Für Menschen, deren Aufenthalt oder Einbürgerung von der Entscheidung abhängt, ist die Situation besonders belastend. Einige denken sogar über einen Wegzug aus Deutschland nach, da sie die Situation als untragbar empfinden.
Reformbedarf und politische Diskussion
Pläne zur Verbesserung
Die Stadt Stuttgart betont, dass an Verbesserungen gearbeitet wird. Dazu gehören zusätzliche Stellen, mehr Digitalisierung und eine bessere interne Organisation. Doch ob diese Maßnahmen ausreichen, um das Problem dauerhaft zu lösen, bleibt ungewiss.
Gesellschaftliche Relevanz
Untätigkeitsklagen sind mehr als individuelle Rechtsstreitigkeiten. Sie sind Ausdruck eines strukturellen Problems in der Verwaltung, das nicht nur Stuttgart betrifft. Überlastete Behörden, lange Wartezeiten und fehlende Transparenz beeinträchtigen das Vertrauen in staatliche Institutionen.
Der Fall der 35-jährigen Frau in Stuttgart ist exemplarisch für viele ähnliche Situationen in Deutschland. Untätigkeitsklagen haben sich zu einem wichtigen Mittel entwickelt, um Behörden zum Handeln zu bewegen. Gleichzeitig zeigen die zahlreichen Erfahrungsberichte und die steigende Zahl an Klagen, dass tiefgreifende strukturelle Reformen notwendig sind. Für die Betroffenen geht es dabei nicht nur um Aktenvorgänge, sondern um existenzielle Fragen ihres Lebens in Deutschland. Solange sich an der Situation nichts Grundlegendes ändert, wird Stuttgart – und mit ihr viele andere Städte – weiterhin mit einer Welle von Untätigkeitsklagen konfrontiert sein.