
Berlin, 17. Dezember 2025 – Tiefe Betroffenheit in der Kulturszene: Rosa von Praunheim, einer der prägendsten deutschen Filmemacher und Aktivisten, ist tot. Nur wenige Tage nach seiner Hochzeit mit seinem langjährigen Partner ist der 83-jährige Regisseur in Berlin verstorben.
Rosa von Praunheim ist im Alter von 83 Jahren in Berlin gestorben. Mit ihm verliert die deutsche Film- und Kulturlandschaft eine der einflussreichsten und zugleich streitbarsten Persönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte. Über mehr als fünf Jahrzehnte hinweg prägte er das deutsche Kino, die queere Bewegung und den gesellschaftlichen Diskurs über Sichtbarkeit, Identität und Freiheit.
Die Todesursache wurde bislang nicht öffentlich bekannt gegeben. Sein Tod erfolgte nur wenige Tage nach einem sehr persönlichen Ereignis: Am vergangenen Freitag hatte Rosa von Praunheim seinen langjährigen Lebensgefährten Oliver Sechting geheiratet. Die Trauung fand im kleinen Kreis im Berliner Rathaus Schmargendorf statt. Seit 2008 waren beide ein Paar, verbunden durch gemeinsame Projekte, künstlerische Nähe und ein Leben jenseits klassischer Rollenbilder.
Ein Abschied mit besonderer Symbolkraft
Dass die Hochzeit so kurz vor seinem Tod stattfand, verleiht dem Ereignis eine besondere Bedeutung. Für Rosa von Praunheim war dieser Schritt weniger ein politisches Statement als ein persönlicher Abschluss. Er hatte sich Zeit seines Lebens immer wieder gegen gesellschaftliche Zuschreibungen gewehrt und dennoch konsequent für Sichtbarkeit gekämpft. Die Ehe erscheint im Rückblick als ruhiger, selbstbestimmter Moment in einem sonst öffentlich geführten Leben.
Die Nachricht von seinem Tod löste unmittelbar Reaktionen aus der Filmwelt, von Kulturschaffenden und aus der queeren Community aus. Viele würdigen ihn als Wegbereiter, andere als unbequemen Mahner – fast alle jedoch als jemanden, der Debatten angestoßen hat, lange bevor sie gesellschaftlich akzeptiert waren.
Ein Leben im Zeichen der Provokation
Geboren wurde Rosa von Praunheim 1942 in Riga. Sein bürgerlicher Name lautete Holger Bernhard Bruno Mischwitzky. Früh entschied er sich für einen Künstlernamen, der zugleich Programm war: bewusst provozierend, bewusst öffentlich, bewusst irritierend. Schon damit machte er deutlich, dass Anpassung für ihn nie eine Option sein würde.
Seinen Durchbruch erzielte er Anfang der 1970er-Jahre mit dem Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Das Werk gilt bis heute als Meilenstein des Queer Cinema und als Initialzündung der modernen Schwulenbewegung in Deutschland. Der Film brach mit Tabus, stellte gesellschaftliche Mechanismen bloß und zwang eine breite Öffentlichkeit zur Auseinandersetzung mit Homosexualität.
Film als politisches Werkzeug
Rosa von Praunheim verstand Film nie als bloße Unterhaltung. Für ihn war das Medium ein Instrument politischer Intervention. Seine Werke waren oft roh, direkt und bewusst ungeschliffen. Er zeigte Menschen, die sonst kaum gesehen wurden, und Lebensrealitäten, die im öffentlichen Diskurs keinen Platz hatten.
In mehr als 150 Kurz-, Dokumentar- und Langfilmen widmete er sich Themen wie queerer Identität, Ausgrenzung, Krankheit, Alter und gesellschaftlicher Doppelmoral. Filme wie „Die Bettwurst“ sorgten für Irritation, andere Arbeiten für Empörung oder Begeisterung. Gleichgültig ließ er kaum jemanden.
Zwischen Kunst, Aktivismus und Kontroverse
Neben seiner Arbeit als Regisseur war Rosa von Praunheim auch als Autor, Maler und politischer Kommentator aktiv. Besonders in den 1980er- und 1990er-Jahren engagierte er sich intensiv in der AIDS-Aufklärung, zu einer Zeit, als Angst, Stigmatisierung und Schweigen den gesellschaftlichen Umgang mit der Krankheit bestimmten.
Sein öffentlicher Auftritt war nicht frei von Kontroversen. Immer wieder überschritt er bewusst Grenzen, auch auf Kosten persönlicher Beziehungen. Kritiker warfen ihm Provokation um der Provokation willen vor, Unterstützer sahen darin einen notwendigen Tabubruch. Unbestritten ist jedoch, dass er Diskussionen auslöste, die langfristig gesellschaftliche Veränderungen mitprägten.
Einfluss auf Generationen von Filmschaffenden
Der Einfluss Rosa von Praunheims reicht weit über sein eigenes Werk hinaus. Für zahlreiche junge Regisseurinnen und Regisseure war er Mentor, Vorbild oder Reibungsfläche. Sein kompromissloser Umgang mit Themen und seine Bereitschaft, persönliche Angreifbarkeit zuzulassen, prägten das queere Kino nachhaltig.
Auch in seinen späten Jahren blieb er künstlerisch aktiv. Seine jüngeren Filme beschäftigten sich zunehmend mit Biografien, Erinnerung und dem eigenen Älterwerden. Der Ton wurde leiser, die Haltung blieb klar. Nostalgie lehnte er ab – stattdessen setzte er auf Reflexion und Selbstbefragung.
Spuren eines außergewöhnlichen Lebens
Mit dem Tod Rosa von Praunheims endet ein Kapitel deutscher Film- und Kulturgeschichte. Sein Werk bleibt als Archiv gesellschaftlicher Kämpfe, persönlicher Geschichten und politischer Interventionen erhalten. Er hat Sichtbarkeit geschaffen, wo zuvor Schweigen herrschte, und damit Generationen ermutigt, ihre eigene Stimme zu finden.
Die Erinnerung an Rosa von Praunheim wird weiterwirken – in seinen Filmen, in den Debatten, die er angestoßen hat, und in einer Gesellschaft, die durch seinen Mut ein Stück offener geworden ist.