
Brüssel, 19. Dezember 2025 – Die Nacht war lang, die Gespräche zäh, der Druck hoch. Erst nach stundenlangen Verhandlungen fanden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union einen gemeinsamen Nenner. Am Ende stand eine Einigung, die politisches Gewicht hat: Ein 90 Milliarden Euro schwerer Kredit soll der Ukraine in den Jahren 2026 und 2027 wirtschaftliche Stabilität sichern.
Mit dem Beschluss setzt die Europäische Union ein weiteres, finanziell wie symbolisch bedeutsames Signal der Unterstützung für die Ukraine. Zugleich offenbart der Gipfel die inneren Spannungen innerhalb der EU, wenn es um Haftungsfragen, geopolitische Verantwortung und die Grenzen gemeinsamer Solidarität geht.
90 Milliarden Euro für die Ukraine: Struktur und Ziel des Beschlusses
Der auf dem EU-Gipfel beschlossene Ukraine-Kredit umfasst insgesamt 90 Milliarden Euro und wird als zinsloses Darlehen bereitgestellt. Die Mittel sollen über einen Zeitraum von zwei Jahren ausgezahlt werden und dienen vor allem dazu, akute Haushaltslücken der ukrainischen Regierung zu schließen. Nach Einschätzung der EU-Kommission droht der Ukraine ohne zusätzliche externe Unterstützung bereits ab 2026 eine massive Finanzierungslücke, die grundlegende staatliche Funktionen gefährden würde.
EU-Ratspräsident António Costa bestätigte die Einigung kurz nach Abschluss der Verhandlungen. Die Entscheidung, so betonte er, sei Ausdruck eines gemeinsamen politischen Willens, der Ukraine auch langfristig finanzielle Planungssicherheit zu geben.
Warum die EU auf einen Kredit setzt
Statt direkter Zuschüsse entschieden sich die Mitgliedstaaten bewusst für ein Kreditmodell. Hintergrund sind sowohl haushaltspolitische Erwägungen als auch rechtliche Bedenken. Ein kreditfinanziertes Instrument erlaubt es der EU, die Belastung für nationale Haushalte zu begrenzen und gleichzeitig eine gemeinsame europäische Lösung zu präsentieren.
Zugleich bleibt die Rückzahlungsperspektive offen. Der Kredit ist so konstruiert, dass er langfristig abgesichert ist – ohne kurzfristigen Rückzahlungsdruck für die Ukraine. Damit unterscheidet sich das Instrument deutlich von klassischen Notkrediten internationaler Finanzinstitutionen.
Eingefrorene russische Vermögen als politischer Streitpunkt
Zentraler Konfliktpunkt des Gipfels war die Frage, ob eingefrorene russische Staatsvermögen zur Absicherung oder Finanzierung des Ukraine-Kredits herangezogen werden sollen. Innerhalb der EU sind seit Beginn des russischen Angriffskrieges Vermögenswerte der russischen Zentralbank in dreistelliger Milliardenhöhe blockiert.
Ein Teil der Mitgliedstaaten hatte darauf gedrängt, diese Gelder zumindest indirekt nutzbar zu machen. Die Idee: Die eingefrorenen Vermögen sollten als Sicherheit für den Kredit dienen, ohne formell enteignet zu werden. Juristisch wie politisch blieb dieses Modell jedoch hoch umstritten.
Rechtliche Risiken und nationale Vorbehalte
Insbesondere Belgien, wo ein Großteil der russischen Vermögenswerte verwahrt wird, äußerte erhebliche Bedenken. Die Sorge: mögliche Klagen Russlands und eine einseitige Haftung des Verwahrstaates. Ohne eine europaweit einheitliche Haftungsregelung wollte Brüssel keine direkte Nutzung der Gelder akzeptieren.
Auch andere Mitgliedstaaten warnten vor einem Präzedenzfall, der das internationale Finanzsystem destabilisieren könnte. Die rechtliche Grauzone erwies sich letztlich als zu riskant, um Teil des finalen Beschlusses zu werden.
Unterschiedliche Positionen innerhalb der EU
- Belgien pochte auf rechtliche Absicherung und verweigerte die Nutzung der Vermögenswerte.
- Ungarn, die Slowakei und Tschechien beteiligen sich nicht an der Finanzierung des Ukraine-Kredits.
- Mehrere westeuropäische Staaten sprachen sich für eine stärkere finanzielle Verantwortung Russlands aus.
Der gefundene Kompromiss lässt die eingefrorenen russischen Vermögen unangetastet, schließt ihre mögliche spätere Nutzung jedoch nicht grundsätzlich aus. Damit bleibt das Thema politisch weiter auf der Agenda.
Internationale Lage erhöht den Druck auf Europa
Der Beschluss des EU-Gipfels fällt in eine Phase wachsender Unsicherheit in der internationalen Ukraine-Unterstützung. Veränderungen in der US-amerikanischen Politik haben in europäischen Hauptstädten die Sorge verstärkt, künftig stärker eigenständig handeln zu müssen.
Auch die ukrainische Führung hatte im Vorfeld des Gipfels eindringlich auf die Dringlichkeit weiterer Finanzhilfen hingewiesen. Ohne stabile Einnahmen, so die Warnung aus Kiew, sei nicht nur der Staatshaushalt, sondern auch die gesellschaftliche Stabilität gefährdet.
Symbolik und Signalwirkung
Mit dem 90-Milliarden-Euro-Kredit bekräftigt die Europäische Union ihren politischen Kurs: Unterstützung für die Ukraine bleibt ein strategisches Ziel. Gleichzeitig macht die Entscheidung deutlich, wie schwer es ist, in einer heterogenen Staatengemeinschaft gemeinsame finanzielle Risiken zu tragen.
Einordnung in die bisherige Ukraine-Hilfe
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat die EU der Ukraine bereits umfangreiche finanzielle, humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung gewährt. Der nun beschlossene Kredit zählt zu den größten Einzelmaßnahmen dieser Art und verschiebt den Fokus zunehmend auf langfristige Stabilisierung statt kurzfristiger Krisenhilfe.
Europäische Verantwortung unter Dauerbelastung
Der Beschluss von Brüssel ist mehr als ein finanzpolitischer Akt. Er ist Ausdruck eines europäischen Selbstverständnisses, das Solidarität mit strategischer Vorsicht verbindet. Wie tragfähig dieser Ansatz ist, wird sich in den kommenden Jahren zeigen – nicht zuletzt daran, ob es der EU gelingt, Geschlossenheit auch unter wachsendem innenpolitischem und wirtschaftlichem Druck zu bewahren.