
Berlin/Washington, 24. Dezember 2025 – Ein Vorgang mit politischer Sprengkraft erschüttert kurz vor dem Jahreswechsel die transatlantischen Beziehungen. Die Entscheidung der Vereinigten Staaten, den beiden Geschäftsführerinnen der deutschen Organisation HateAid die Einreise zu verweigern, hat in Berlin, Brüssel und mehreren europäischen Hauptstädten scharfe Reaktionen ausgelöst. Was als administrative Maßnahme präsentiert wird, wird in Europa als Angriff auf demokratisch legitimierte Digitalpolitik verstanden.
Die von den USA verhängten Einreiseverbote gegen HateAid markieren einen seltenen, offen ausgetragenen Konflikt über die Grenzen digitaler Regulierung, Meinungsfreiheit und staatlicher Souveränität. Betroffen sind Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon, die beiden Geschäftsführerinnen der Berliner Nichtregierungsorganisation HateAid. Beide setzen sich seit Jahren gegen Hassrede, Bedrohungen und digitale Gewalt im Netz ein und unterstützen Betroffene juristisch wie organisatorisch. Nun stehen sie im Zentrum einer politischen Auseinandersetzung, die weit über ihre Person hinausreicht.
Das US-Außenministerium bestätigte offiziell, dass mehreren europäischen Akteuren aus dem Umfeld der digitalen Regulierung die Einreise verweigert wird. Die Maßnahmen stützen sich auf eine neue Visapolitik, die Personen erfassen soll, deren Aktivitäten nach Auffassung der US-Regierung geeignet sind, die außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten zu beeinträchtigen. In diesem Kontext fallen auch die Einreiseverbote gegen HateAid.
US-Begründung: Vorwurf der Einflussnahme auf Meinungsfreiheit
Washington begründet die Entscheidung mit dem Vorwurf, die Betroffenen hätten versucht, amerikanische Online-Plattformen zur Unterdrückung bestimmter Inhalte zu drängen. Nach Darstellung der US-Behörden gehe es um angebliche Versuche, soziale Netzwerke wie X, Facebook oder YouTube dazu zu bewegen, Inhalte zu entfernen oder einzuschränken, die unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen. In offiziellen Verlautbarungen ist von einem „global censorship-industrial complex“ die Rede, dessen Einfluss man zurückdrängen wolle.
Die US-Seite betont, dass es sich nicht um eine strafrechtliche Sanktion handele, sondern um eine souveräne Entscheidung im Rahmen der bestehenden Einwanderungs- und Visagesetze. Personen, deren Handeln als problematisch für die außenpolitische Linie der Vereinigten Staaten bewertet werde, könnten von der Einreise ausgeschlossen werden. Die Einreiseverbote gegen HateAid seien daher Teil einer grundsätzlichen politischen Linie.
HateAid weist Vorwürfe entschieden zurück
HateAid reagierte mit deutlicher Kritik auf die Vorwürfe aus Washington. In Stellungnahmen machten die Geschäftsführerinnen klar, dass ihre Arbeit nicht auf Zensur, sondern auf Rechtsdurchsetzung beruhe. Die Organisation unterstützt Menschen, die im Netz bedroht, beleidigt oder verfolgt werden, und setzt geltendes europäisches Recht durch. Dazu gehört auch der Digital Services Act der Europäischen Union, der Plattformbetreiber zu mehr Transparenz und Verantwortung verpflichtet.
Die beiden Geschäftsführerinnen erklärten, sie betrachteten die Einreiseverbote als politisch motivierten Einschüchterungsversuch. Ihre Arbeit ziele darauf ab, demokratische Regeln im digitalen Raum umzusetzen und Betroffene zu schützen. Dies mit Einschränkungen der Meinungsfreiheit gleichzusetzen, sei eine grobe Verzerrung der Realität.
Scharfe Reaktionen aus der Bundesregierung
In Berlin stieß die Entscheidung der US-Regierung auf breite Ablehnung. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig bezeichnete die Vorwürfe gegen HateAid als nicht akzeptabel. Die Organisation leiste einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Persönlichkeitsrechten im digitalen Raum und agiere auf Grundlage demokratisch beschlossener Gesetze. Die Darstellung der USA verkenne bewusst den Unterschied zwischen rechtsstaatlicher Regulierung und Zensur.
Auch Bundesaußenminister Johann Wadephul fand klare Worte. Er betonte, dass die Regeln für den digitalen Raum in Deutschland und Europa demokratisch beschlossen würden. Entscheidungen über europäisches Recht fielen nicht in Washington. Die Einreiseverbote gegen HateAid seien ein Affront gegenüber europäischen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Aus dem Bundestag kamen parteiübergreifend kritische Stimmen. Vertreter der Grünen sprachen von einem autoritären Signal und forderten diplomatische Konsequenzen. Der Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour regte an, den US-Geschäftsträger einzubestellen, um die Verstimmung auf formellem Weg zu verdeutlichen.
EU-Kommission sieht Angriff auf digitale Souveränität
Auch auf europäischer Ebene sorgten die Einreiseverbote für Unruhe. Die EU-Kommission äußerte scharfe Kritik und forderte von den Vereinigten Staaten Klarstellungen. Man sehe in den Maßnahmen einen Angriff auf die digitale Souveränität Europas und auf die legitime Arbeit von Organisationen, die europäisches Recht umsetzen.
Der Digital Services Act sei das Ergebnis eines transparenten, demokratischen Gesetzgebungsverfahrens, das den Schutz von Nutzerinnen und Nutzern ebenso im Blick habe wie faire Wettbewerbsbedingungen. Die EU-Kommission machte deutlich, dass europäische Regeln nicht zur Disposition stünden, nur weil sie auf Widerstand außerhalb der EU stoßen.
Rückhalt aus Paris und anderen Hauptstädten
Unterstützung erhielt Berlin auch aus Paris. Der französische Präsident Emmanuel Macron kritisierte die US-Maßnahmen als Einschüchterung und warnte vor einer Aushöhlung europäischer Regulierungskompetenz. Frankreichs Regierung unterstrich, dass der Digital Services Act kein Instrument der Zensur sei, sondern dem Schutz demokratischer Prozesse diene.
Auch aus anderen EU-Staaten kamen solidarische Signale. Mehrere Regierungen verwiesen darauf, dass zivilgesellschaftliche Organisationen eine zentrale Rolle in demokratischen Gesellschaften spielten und nicht unter Generalverdacht gestellt werden dürften.
Weitere Betroffene der US-Politik
Die Einreiseverbote betreffen nicht nur die beiden HateAid-Geschäftsführerinnen. Auch weitere europäische Akteure aus dem Bereich der digitalen Regulierung sind betroffen. Dazu zählen der ehemalige EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton sowie Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Großbritannien und Frankreich, die sich mit Desinformation und Hassrede beschäftigen.
Die gemeinsame Kritik dieser Akteure richtet sich gegen die pauschale Gleichsetzung von Regulierung und Zensur. Sie warnen davor, legitime politische und rechtliche Debatten zu delegitimieren, indem man sie als Angriff auf die Meinungsfreiheit darstellt.
Transatlantischer Grundkonflikt im digitalen Raum
Hinter den Einreiseverboten gegen HateAid steht ein tieferliegender Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. Während die EU mit umfassenden Regelwerken versucht, digitale Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen, setzt die US-Regierung traditionell auf einen weitgehenden Schutz der Meinungsfreiheit und auf Selbstregulierung der Unternehmen.
Diese unterschiedlichen Ansätze prallen zunehmend aufeinander, weil große Plattformen global agieren, nationale oder regionale Regeln aber unterschiedlich ausfallen. Die USA sehen in europäischen Vorgaben teils eine unzulässige Einflussnahme auf amerikanische Unternehmen und Nutzer. Europa hingegen betrachtet klare Regeln als Voraussetzung für einen fairen und sicheren digitalen Raum.
Öffentliche Debatte über Grenzen der Regulierung
In Deutschland hat der Fall eine neue Debatte über die Balance zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz vor digitaler Gewalt entfacht. Befürworter der Regulierung verweisen darauf, dass strafbare Inhalte und systematische Hetze nicht unter dem Deckmantel freier Rede toleriert werden dürften. Kritiker mahnen, staatliche Eingriffe müssten stets verhältnismäßig bleiben.
Der Fall HateAid zeigt, wie schnell diese Debatte international aufgeladen wird, sobald unterschiedliche Rechtsverständnisse aufeinandertreffen. Die Einreiseverbote dienen dabei vielen als Symbol für eine zunehmende Politisierung der Digitalpolitik.
Ein Prüfstein für transatlantische Beziehungen
Die Auseinandersetzung um die Einreiseverbote gegen HateAid ist mehr als ein diplomatischer Zwischenfall. Sie ist ein Prüfstein für die Fähigkeit beider Seiten, Differenzen im digitalen Zeitalter konstruktiv zu verhandeln. Der Konflikt macht deutlich, wie eng Fragen von Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und digitaler Souveränität miteinander verwoben sind.
Ob es gelingt, diese Spannungen abzubauen, hängt davon ab, ob Washington und Europa bereit sind, die Perspektive des jeweils anderen ernst zu nehmen. Klar ist bereits jetzt: Der Fall HateAid hat eine Debatte angestoßen, die weit über Einreisefragen hinausreicht und die Grundlinien der transatlantischen Zusammenarbeit im digitalen Raum neu vermisst.