
Hanoi, 25. Mai 2025, 08:00 Uhr (CCS)
Die vietnamesische Regierung hat am 21. Mai 2025 die landesweite Sperrung der beliebten Messaging-App Telegram angeordnet. Bis spätestens zum 2. Juni sollen alle Telekommunikationsanbieter den Zugang zur Plattform unterbinden. Die Entscheidung sorgt national wie international für große Diskussionen – zwischen Sicherheitsbedenken, Kommunikationsfreiheit und wirtschaftlichen Interessen.
Vorwurf: Telegram dulde illegale Aktivitäten
Auslöser der drastischen Maßnahme sind nach Angaben der vietnamesischen Behörden massive Verstöße gegen nationale Sicherheitsgesetze. Laut dem Ministerium für öffentliche Sicherheit sollen 68 Prozent der über 9.600 untersuchten Telegram-Kanäle und -Gruppen in Vietnam für illegale Aktivitäten genutzt werden. Darunter fallen unter anderem Betrugsmaschen, Drogenhandel und sogar mutmaßlich terroristische Handlungen.
In einem internen Bericht heißt es weiter, dass Telegram trotz wiederholter Aufforderungen nicht angemessen auf Anfragen der vietnamesischen Strafverfolgungsbehörden reagiert habe. Weder habe das Unternehmen Nutzerdaten bereitgestellt, noch sei es seiner Pflicht zur Entfernung illegaler Inhalte nachgekommen. Diese anhaltende Verweigerung sei ein schwerwiegender Verstoß gegen die gesetzlichen Verpflichtungen für digitale Dienste in Vietnam.
Telegram weist Vorwürfe zurück
Telegram reagierte überrascht auf die Blockadeanordnung. Ein Sprecher des Unternehmens erklärte, man habe bisher stets kooperativ auf alle juristischen Anfragen aus Vietnam geantwortet. Erst am 23. Mai sei eine offizielle Mitteilung der vietnamesischen Kommunikationsbehörde eingegangen. Die gesetzte Frist zur Stellungnahme laufe am 27. Mai aus, und man werde die Angelegenheit sorgfältig prüfen.
Bis dahin bleibt unklar, ob Telegram technische oder rechtliche Schritte gegen die Entscheidung einleiten wird. Die Kommunikationsstrategie des Unternehmens deutet jedoch auf einen Versuch hin, einen Dialog mit den vietnamesischen Behörden aufrechtzuerhalten.
Gemischte Reaktionen in der Bevölkerung
Die Ankündigung der Sperrung hat unter den vietnamesischen Nutzern zu geteilten Meinungen geführt. Besonders junge Menschen, die Telegram für private Kommunikation, geschäftliche Gruppen oder Bildungsprojekte nutzen, äußern Besorgnis. Sie befürchten, dass die Maßnahme einen weiteren Eingriff in die digitale Freiheit darstellt.
Auf der anderen Seite begrüßen viele Bürger den Schritt der Regierung als notwendig im Kampf gegen Cyberkriminalität. Gerade im Zuge zunehmender Online-Betrugsfälle wünschen sich viele Vietnamesen eine härtere Regulierung des digitalen Raums.
„Ich verstehe die Sicherheitsbedenken, aber Telegram ist für viele meiner Freunde und mich der Hauptkanal für Kommunikation. Eine Sperrung fühlt sich wie eine kollektive Bestrafung an“, sagt Linh Nguyen, 24, Studentin aus Ho-Chi-Minh-Stadt.
Technische Umgehung der Sperre erwartet
Wie aus vergleichbaren Fällen in anderen Ländern bekannt, dürften viele Nutzer versuchen, die Blockade durch technische Mittel zu umgehen. Besonders Virtual Private Networks (VPNs) ermöglichen den Zugriff auf gesperrte Inhalte durch Verschleierung der IP-Adresse. Bereits jetzt berichten einige Nutzer in sozialen Netzwerken, dass sie sich auf VPN-Alternativen vorbereiten.
Ein solches Vorgehen könnte zu einem „Katz-und-Maus-Spiel“ zwischen vietnamesischen Behörden und der techaffinen Bevölkerung führen. Die langfristige Effektivität der Blockade ist damit fraglich.
Hintergrund: Strengere Internetregulierung in Vietnam
Die Entscheidung, Telegram zu sperren, ist kein Einzelfall. Vietnam hat in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen zur Regulierung von Internetdiensten und sozialen Netzwerken ergriffen. Im Fokus steht dabei die Sicherstellung staatlicher Kontrolle über die digitale Kommunikation.
Ein zentraler Bestandteil ist die Verpflichtung ausländischer Internetdienste, Nutzerdaten bei Anfrage bereitzustellen und illegale Inhalte zu entfernen. Zudem müssen Diensteanbieter die Identität ihrer Nutzer verifizieren. Telegram gilt als eine Plattform, die besonders auf Anonymität und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung setzt – ein Umstand, der sie für viele vietnamesische Nutzer attraktiv, für die Behörden jedoch problematisch macht.
Tabelle: Anforderungen an digitale Dienste in Vietnam
Pflicht | Beschreibung |
---|---|
Datenbereitstellung | Herausgabe von Nutzerdaten bei strafrechtlichen Ermittlungen |
Content-Regulierung | Entfernung gesetzlich verbotener Inhalte auf Anfrage |
Identitätsverifizierung | Verpflichtung zur Erfassung der echten Nutzerdaten |
Lokale Repräsentanz | Einrichtung eines rechtlichen Vertreters in Vietnam |
Internationale Kritik und Menschenrechtsbedenken
Internationale Organisationen und Menschenrechtsgruppen sehen die Telegram-Sperre mit großer Sorge. Die Maßnahme wird als weiterer Beleg für eine zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit im Land gewertet. Beobachter befürchten, dass durch die Sperrung ein wichtiges Kommunikationsmittel für zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivisten wegfällt.
Bereits in der Vergangenheit hatte Vietnam Dienste wie Facebook und YouTube unter Druck gesetzt, Inhalte zu entfernen oder den Zugang zu bestimmten Seiten zu blockieren. Amnesty International und Reporter ohne Grenzen kritisierten wiederholt die zunehmende Internetzensur in dem Land.
Auswirkungen auf Wirtschaft und digitale Entwicklung
Vietnam verfolgt mit der „Nationalen Digitalstrategie 2045“ das Ziel, eine wissensbasierte, technologieorientierte Wirtschaft zu etablieren. Die strengen Eingriffe in digitale Kommunikationsdienste könnten jedoch das Vertrauen internationaler Unternehmen erschüttern.
Start-ups, digitale Dienstleister und auch internationale Investoren benötigen rechtssichere Rahmenbedingungen. Die Telegram-Sperre sendet nach Ansicht von Wirtschaftsexperten ein Signal der Unsicherheit. Vor allem Firmen, die auf verschlüsselte Kommunikation angewiesen sind – etwa im Finanz-, Gesundheits- oder Logistiksektor – könnten sich von dem Standort abwenden.
Telegram als Brücke zur Diaspora
Ein bisher wenig beachteter Aspekt ist die Rolle von Telegram in der vietnamesischen Diaspora. Für viele im Ausland lebende Vietnamesen ist die App das wichtigste Mittel zur Kontaktpflege mit Verwandten und Freunden in der Heimat. Die Sperrung der Plattform könnte die Kommunikation mit dem Ausland erheblich erschweren.
Darüber hinaus nutzen Exilgruppen und Menschenrechtsaktivisten Telegram, um Informationen über politische Entwicklungen in Vietnam auszutauschen. Die Maßnahme könnte also auch eine strategische Bedeutung im Kontext des internationalen Diskurses über Meinungs- und Pressefreiheit haben.
Fazit: Ein komplexer Balanceakt
Die Sperrung von Telegram in Vietnam wirft zentrale Fragen über die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit auf. Einerseits sind die Sicherheitsbedenken der Regierung angesichts der gemeldeten illegalen Aktivitäten ernst zu nehmen. Andererseits steht die Maßnahme exemplarisch für eine weitreichende Kontrolle des digitalen Raums, deren langfristige Folgen noch nicht abzusehen sind.
Die nächsten Tage dürften entscheidend sein. Je nachdem, ob Telegram auf die Vorwürfe eingeht oder sich einer Kooperation verweigert, könnte sich der Konflikt zuspitzen. Unklar bleibt auch, ob andere Plattformen künftig ähnlichen Restriktionen unterliegen werden. Für die vietnamesische Gesellschaft und ihre digitale Zukunft ist die aktuelle Situation in jedem Fall ein Wendepunkt.