So erhält man jetzt Strom aus Beton – Innovativer Durchbruch

In Wirtschaft
Mai 28, 2025

28. Mai 2025, 10:00 Uhr

Ein Team aus Deutschland hat einen innovativen Durchbruch erzielt: Beton, der nicht nur als Baustoff, sondern auch als Energiespeicher fungieren kann. Was zunächst wie Science-Fiction klingt, ist inzwischen ein funktionierender Prototyp. Diese Technologie könnte die Bauwirtschaft revolutionieren und einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Doch wie genau funktioniert der sogenannte „stromspeichernde Beton“ – und wie realistisch ist sein Einsatz im Alltag?

Ein Superkondensator in Zementform

Die zentrale Idee hinter dem neuen Baustoff ist die Integration eines Superkondensators in eine klassische Betonmischung. Konkret bedeutet das: Dem Beton wird sogenannter Industrieruß, auch bekannt als Carbon Black, beigemischt. Dieses Material, das auch in Druckertinte oder Autoreifen verwendet wird, erzeugt im Beton ein feinmaschiges, leitfähiges Netzwerk. Dadurch ist der Beton in der Lage, elektrische Energie zu speichern – ähnlich wie ein Kondensator, allerdings in deutlich größerem Maßstab.

Anders als Batterien, die Energie durch chemische Reaktionen speichern, arbeiten Superkondensatoren mit elektrostatistischen Feldern. Dadurch sind sie schneller aufladbar, haben eine hohe Leistungsdichte und zeichnen sich durch eine sehr lange Lebensdauer aus. Diese physikalischen Eigenschaften machen sie besonders interessant für kurzfristige Speicherlösungen in Energieinfrastrukturen.

Erster funktionierender Prototyp

Im Rahmen einer Masterarbeit wurde ein erster funktionsfähiger Prototyp entwickelt. Der betonbasierte Superkondensator war in der Lage, eine 10-Watt-Glühbirne für 25 Minuten mit Strom zu versorgen. Das mag im ersten Moment unspektakulär wirken, zeigt aber, dass das Prinzip funktioniert – und skalierbar ist.

Neue Anwendungsmöglichkeiten für Gebäude und Infrastruktur

Die Kombination aus Baustoff und Energiespeicher eröffnet eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten, die weit über den Wohnhausbau hinausgehen. Die Vision der Entwickler: Gebäude, Straßen und Brücken sollen künftig nicht nur Energie verbrauchen, sondern auch selbst erzeugen, speichern und bereitstellen können.

Konkrete Einsatzgebiete

  • Gebäudehüllen als Speicher: Wände und Fundamente könnten zukünftig tagsüber überschüssige Solarenergie speichern und sie nachts wieder abgeben – ideal für Passiv- und Niedrigenergiehäuser.
  • Intelligente Straßen: Autobahnen könnten mit stromspeicherndem Beton ausgestattet werden, um induktives Laden für Elektrofahrzeuge zu ermöglichen oder Energie für Verkehrsleittechnik zu speichern.
  • Brücken mit Speicherfunktion: Diese könnten Lastspitzen im Netz ausgleichen oder als Notstromquelle für intelligente Beleuchtungssysteme dienen.

Die Vorstellung, dass komplette Infrastrukturen gleichzeitig als Energiespeicher fungieren, hat das Potenzial, die Energielandschaft grundlegend zu verändern – insbesondere im Kontext dezentraler Versorgungssysteme und schwankender Einspeisung erneuerbarer Energien.

Technologische Grundlagen: Der Superkondensator im Detail

Im Zentrum der Entwicklung steht der Superkondensator – eine elektrochemische Komponente, die sich durch folgende Eigenschaften auszeichnet:

EigenschaftSuperkondensatorLithium-Ionen-Batterie
SpeichermechanismusElektrostatistischChemisch
Lade-/EntladezeitSehr schnellMittel
LebensdauerSehr hochBegrenzt (ca. 1.000–3.000 Zyklen)
Energiedichte1,5–3,9 Wh/kg100–265 Wh/kg

Die im Vergleich geringe Energiedichte ist aktuell noch eine der größten Herausforderungen für die Marktreife. Dennoch könnten sich Superkondensatoren gerade dort etablieren, wo kurze Ladezeiten und Langlebigkeit wichtiger sind als maximale Speichermenge – etwa im Bauwesen oder in der Logistik.

Forschung zwischen Vision und Realität

Die aktuellen Fortschritte sind vor allem dem interdisziplinären Zusammenspiel zwischen Bauingenieurwesen, Materialforschung und Elektrotechnik zu verdanken. Die Zusammenarbeit zwischen der Hochschule Coburg und dem renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) ermöglichte die Entwicklung des ersten Prototyps. Weitere Studien und Tests sind bereits geplant, um die Skalierbarkeit und Langzeitstabilität zu prüfen.

Expertenmeinungen

Prof. Dr. Markus Weber, Bauphysiker an der Hochschule Coburg, sieht in stromspeicherndem Beton ein enormes Potenzial:

„Wenn wir es schaffen, Baustoffe multifunktional zu nutzen – also tragend und speichernd zugleich – dann eröffnen sich neue Wege in der Energie- und Bauwirtschaft. Gebäude können zu aktiven Akteuren der Energiewende werden.“

Auch internationale Experten äußern sich positiv, weisen jedoch auf die Notwendigkeit standardisierter Prüfverfahren und regulatorischer Anpassungen hin. Denn Baustoffe, die elektrische Funktionen erfüllen, müssen gleichzeitig alle baurechtlichen Anforderungen an Statik, Brandschutz und Langlebigkeit erfüllen.

Kritische Stimmen und offene Fragen

So vielversprechend die Technologie auch ist – es gibt auch kritische Stimmen, die auf die begrenzte Energiedichte, die schwierige Materialverarbeitung und die Umweltbilanz des Betons hinweisen.

Herausforderungen im Überblick:

  • Energiedichte: Aktuell reicht die Speichermenge nicht aus, um größere Energiemengen zuverlässig über längere Zeiträume zu speichern.
  • Materialhandhabung: Carbon Black ist ein feines, schwer handhabbares Pulver, das besondere Sicherheitsvorkehrungen in der Verarbeitung verlangt.
  • Umweltaspekte: Die Zementproduktion ist ein großer CO₂-Emittent. Ohne nachhaltigere Herstellungsverfahren könnte der ökologische Vorteil durch Energiespeicherung relativiert werden.

Eine nachhaltige Weiterentwicklung der Technologie setzt daher voraus, dass auch die Materialökologie in den Fokus rückt. Alternative Zementarten oder CO₂-arme Produktionsverfahren könnten hier Abhilfe schaffen.

Marktpotenzial und Zukunftsaussichten

Die Idee, Beton als aktiven Bestandteil zukünftiger Energiesysteme zu nutzen, könnte in den kommenden Jahren erheblich an Bedeutung gewinnen – insbesondere vor dem Hintergrund einer angestrebten Dekarbonisierung des Bau- und Energiesektors.

Marktanalysen zeigen bereits jetzt ein wachsendes Interesse an multifunktionalen Baustoffen. Besonders in urbanen Räumen, wo Platz knapp ist, bieten sich hybride Lösungen wie diese an. Statt separate Batterien zu verbauen, könnte der Speicher direkt in die Bausubstanz integriert werden – platzsparend, geschützt und langfristig kosteneffizient.

Doch auch auf politischer Ebene könnte die Technologie an Relevanz gewinnen. Förderprogramme für energieeffiziente Bauprojekte könnten stromspeichernden Beton perspektivisch unterstützen – sofern die nötigen Standards definiert und wissenschaftlich abgesichert sind.

Fazit: Vision mit Substanz

Die Idee, Beton nicht nur als starren Baustoff, sondern als aktiven Energiespeicher zu nutzen, ist mehr als ein visionärer Gedanke. Die Forschung hat bewiesen, dass das Konzept funktioniert. Erste Prototypen sind gebaut, das theoretische Fundament ist solide, und die Anwendungsmöglichkeiten sind breit gefächert.

Dennoch bleibt bis zur industriellen Anwendung noch einiges zu tun: Materialien müssen weiterentwickelt, Prozesse standardisiert und wirtschaftliche Skalierungen ermöglicht werden. Doch wenn diese Hürden überwunden werden, könnte stromspeichernder Beton zu einem Schlüsselelement der nachhaltigen Architektur und Energieversorgung werden – und damit Bauwerke zu Kraftwerken machen.

Ein Baustoff der Zukunft – heute schon Realität im Labor.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.