
Der Niedergang der Kirchnutzung in Deutschland
Seit Jahrzehnten verzeichnen die großen Kirchen in Deutschland einen stetigen Rückgang der Mitgliederzahlen. Millionen Menschen sind aus der evangelischen oder katholischen Kirche ausgetreten. Die finanziellen Folgen sind gravierend – insbesondere für kleinere Gemeinden. Viele Kirchengemeinden können den Unterhalt ihrer historischen Gebäude nicht mehr stemmen. Allein bis Ende 2024 wurden über 1.300 Kirchengebäude offiziell entwidmet oder profaniert – also von ihrem sakralen Status befreit – und damit für eine anderweitige Nutzung oder den Verkauf freigegeben.
Hinter dieser Entwicklung steht nicht nur der Verlust an Gläubigen, sondern auch ein Wertewandel: Religion spielt im Alltag vieler Menschen heute eine geringere Rolle als noch vor einigen Jahrzehnten. Zugleich steigen die Instandhaltungskosten historischer Bausubstanz. Das führt dazu, dass Gemeinden selbst zentrale Gebäude wie Kirchen, Gemeindehäuser oder Pfarrhöfe aufgeben müssen.
Kirchen als Immobilienangebot: Wo und wie wird verkauft?
Der Verkauf ehemaliger Kirchengebäude erfolgt heute zunehmend über öffentliche Online-Plattformen. Besonders auffällig ist das Angebot auf Kleinanzeigen.de, wo teilweise komplette Kirchenensembles mit Pfarrhaus, Glockenturm und Gartenanlage zum Verkauf stehen. Doch auch kircheneigene Immobilienplattformen wie kirchengrundstuecke.de listen Objekte bundesweit.
Die Preise variieren stark. Während kleine Dorfkirchen für Summen unter 200.000 Euro zu haben sind, kosten zentrale Stadtgebäude mit guter Bausubstanz schnell mehrere Hunderttausend Euro. Der Markt ist intransparent – oft entscheidet nicht nur der Preis, sondern auch das geplante Nutzungskonzept über den Zuschlag.
Beispiele aktueller Verkäufe:
- Eine neugotische Kirche mit Glockenturm und angrenzendem Pfarrhaus in Hessen – Verkaufspreis: 395.000 Euro.
- Drei entwidmete Gotteshäuser in Rheinland-Pfalz, angeboten durch eine katholische Gemeinde über Online-Kleinanzeigen.
- Ein Kirchengebäude in Sachsen-Anhalt, angeboten für symbolische 1 Euro unter Denkmalschutz-Auflagen.
Die Herausforderungen beim Kauf einer Kirche
Der Erwerb eines ehemaligen Kirchengebäudes ist kein klassisches Immobiliengeschäft. Wer eine solche Immobilie kaufen möchte, steht vor mehreren Herausforderungen:
Denkmalschutz und Bauauflagen
Viele Kirchen stehen unter Denkmalschutz. Das schützt historische Bausubstanz, erschwert jedoch Umbauten erheblich. Jede bauliche Veränderung muss mit dem Denkmalschutzamt abgestimmt werden – von der Isolierung bis hin zu Fensteraustausch oder Dachsanierung.
Hohe Umbaukosten
Die Umwandlung einer Kirche in ein Wohn- oder Geschäftsgebäude bringt immense Investitionskosten mit sich. Die große Raumhöhe, fehlende Dämmung, fehlende Sanitäranlagen oder Heizsysteme machen Sanierungen teuer. Laut Schätzungen betragen die Umbaukosten oft das Zwei- bis Dreifache des Kaufpreises.
Vertragliche Einschränkungen
Kirchliche Eigentümer knüpfen die Verkäufe oft an moralische oder religiöse Auflagen. Nutzungen wie Spielcasinos, Bordelle oder Nachtlokale sind meist vertraglich ausgeschlossen. Auch gewisse gestalterische Elemente – z. B. die Entfernung von Altären oder Kreuzen – können reglementiert sein.
Kreative Umnutzung: Was wird aus den alten Kirchen?
Die Zukunft der leerstehenden Kirchen liegt in ihrer Neubelebung. Viele Käufer – Privatpersonen ebenso wie Investoren oder Kommunen – haben kreative Ideen, wie aus einem Sakralbau ein neues Zentrum entstehen kann.
Neue Nutzungskonzepte im Überblick:
Umnutzung | Beispiele |
---|---|
Wohnraum | Ein- oder Mehrfamilienhäuser, Lofts, Atelierwohnungen |
Kulturelle Orte | Galerien, Museen, Veranstaltungsräume, Theater |
Gastronomie | Cafés, Restaurants, Eventlocations |
Sport & Freizeit | Kletterhallen, Yogastudios, Sportclubs |
Soziale Einrichtungen | Kitas, Sozialstationen, Gemeinschaftshäuser |
Internationale Beispiele für Inspiration
Auch in anderen europäischen Ländern ist der Trend zur kreativen Umnutzung kirchlicher Gebäude weit fortgeschritten. In den Niederlanden beherbergt eine ehemalige Dominikanerkirche in Maastricht heute eine der schönsten Buchhandlungen Europas. In Haarlem wurde eine Kirche zur Brauerei. Belgien wartet mit einem Supermarkt in einem Kirchenschiff auf, während in Großbritannien zahlreiche Gotteshäuser zu Luxuslofts umgebaut wurden.
Kritik und emotionale Debatten
Der Verkauf und Umbau von Kirchen ist nicht unumstritten. Viele Gemeindemitglieder empfinden es als schmerzhaft, ihre Kirche als Immobilie auf dem Markt zu sehen. Kirchen waren jahrzehntelang zentrale Orte der Identität und des Zusammenhalts. Für manche Gläubige ist jede profane Umnutzung ein Verlust an Würde und Spiritualität.
„Unsere Kirche war der Mittelpunkt des Dorflebens. Dass sie jetzt ein Yogastudio wird, tut weh.“ – Eine ehemalige Kirchgängerin aus Niedersachsen
Auf der anderen Seite argumentieren viele Kommunen und Vertreter kirchlicher Einrichtungen, dass ein leerstehendes Gebäude der Verfall oder der Vandalismus droht. Eine kreative und respektvolle Umnutzung sei besser als Stillstand oder Abriss.
Verborgene Chancen: Vom Leerstand zum Leuchtturmprojekt
Trotz aller Herausforderungen birgt der Kauf einer leerstehenden Kirche große Chancen. Wer mit Fingerspitzengefühl, Kreativität und Budget an die Umnutzung herangeht, kann einzigartige Lebens- oder Arbeitsräume schaffen. Projekte, die architektonische Geschichte respektieren und gleichzeitig moderne Nutzungen zulassen, gelten heute als Paradebeispiele zeitgemäßer Baukultur.
Initiativen wie die Stiftung KiBa (Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler) begleiten solche Projekte beratend. Kommunen und Landesdenkmalämter zeigen sich bei stimmigen Konzepten zunehmend offen und kooperativ.
Fazit: Kirchenverkauf als Teil des gesellschaftlichen Wandels
Der Trend zur Veräußerung und Umnutzung leerstehender Kirchen steht sinnbildlich für einen tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft. Religion verliert an institutioneller Bedeutung, während neue soziale und kulturelle Räume entstehen. Der Immobilienmarkt hat das Potenzial dieser außergewöhnlichen Gebäude erkannt, doch ein respektvoller Umgang bleibt entscheidend.
Wer eine Kirche kaufen will, braucht neben Kapital vor allem Visionen – und die Bereitschaft, mit einem Stück Geschichte in Dialog zu treten. Die besten Projekte sind jene, die Altes bewahren und zugleich Neues ermöglichen. Verlassene Gotteshäuser können so zu Sinnbildern für Wandel und Wiederbelebung werden – wenn mit Bedacht und Verantwortung gehandelt wird.