
Schneemassen reißen Bergsteiger in den Tod
Am Samstagnachmittag gegen 16 Uhr ging unterhalb der Vertainspitze auf etwa 3.200 Metern eine Lawine ab. Das Unglück ereignete sich im hochalpinen Gelände des Ortlergebirges in Südtirol – einem Gebiet, das für seine steilen Eistouren und unberechenbaren Bedingungen bekannt ist. Zwei Gruppen deutscher Alpinisten befanden sich im Aufstieg, als sich das Schneebrett löste und mehrere Hundert Meter in die Tiefe stürzte.
Drei Bergsteiger – zwei Männer und eine Frau – konnten noch am Samstag tot geborgen werden. Zwei weitere, ein Vater und seine Tochter, galten zunächst als vermisst. Am Sonntag bestätigte die italienische Bergrettung: Auch sie konnten nur noch tot geborgen werden. „Die beiden wurden rund zweihundert Meter unterhalb der Abbruchstelle gefunden“, teilte ein Sprecher der Bergwacht mit. Die Opfer stammen laut ersten Angaben aus Deutschland, ihre Identität wurde inzwischen bestätigt.
Rettung unter extremen Bedingungen
Der Einsatz der Südtiroler Bergrettung zählte zu den schwierigsten der laufenden Saison. Hubschrauber, Drohnen und Wärmebildkameras kamen zum Einsatz. Doch mit Einbruch der Dunkelheit mussten die Sucharbeiten am Samstagabend unterbrochen werden – zu gefährlich waren die Schneeverhältnisse, zu unsicher die Hänge. Erst am nächsten Morgen gelang es den Teams, die beiden Vermissten zu lokalisieren.
„Wir hatten keine Hoffnung mehr, sie lebend zu finden“, sagte ein Einsatzleiter gegenüber n-tv. „Die Lawine hatte zu viel Wucht. In dieser Höhe, bei dieser Hangneigung – da gibt es keine Überlebenschance.“ Die Betroffenen befanden sich laut Rettungskräften auf einer anspruchsvollen Route, die normalerweise nur erfahrene Alpinisten begehen.
Gefährliche Tour in hochalpinem Gelände
Die Nordwand der Vertainspitze ist eine der technisch anspruchsvollsten Routen im Ortlergebiet. Sie erfordert Seiltechnik, Steigeisen, Pickel und Erfahrung im Eis. Auf einschlägigen Bergsportforen wie bergsteigen.com wird die Tour als „ernst und objektiv gefährlich“ beschrieben. Hangneigungen bis 45 Grad, überhängende Schneefelder und unvorhersehbare Gletscherbrüche zählen zu den Risiken – selbst bei stabiler Wetterlage.
Wie kam es also zu diesem Unglück? Laut Experten spielten gleich mehrere Faktoren eine Rolle: Frischer Neuschnee, starker Wind und Verwehungen könnten eine instabile Schneeschicht gebildet haben. Die offizielle Lawinenwarnstufe lag zwar im mittleren Bereich, doch lokale Unterschiede sind in diesen Höhen häufig entscheidend. Solche Schwachschichten können schon durch den Schritt eines Bergsteigers ausgelöst werden.
Hintergrund: Lawinengefahr in den Alpen
Lawinen zählen zu den größten Risiken im Hochgebirge. Laut einer Untersuchung der AINEVA (Italienische Vereinigung für Schnee- und Lawinenforschung) sterben in Italien im Durchschnitt etwa 20 Menschen pro Jahr bei Lawinenabgängen. Die meisten sind Tourengeher oder Freerider, die sich im ungesicherten Gelände bewegen. Die mittlere Höhe der Lawinenfreisetzung liegt bei etwa 2.500 Metern – Tendenz steigend.
In den gesamten Alpen kommen laut einer Langzeitstudie des Schweizer Instituts SLF jährlich rund 100 Menschen bei Lawinen ums Leben. Während gesicherte Bereiche wie Pisten heute deutlich sicherer sind, bleibt das Risiko abseits der markierten Wege nahezu konstant. Auch der Deutsche Alpenverein warnt: Viele Unfälle entstehen durch Fehleinschätzungen der Schneedecke oder durch das Ignorieren subtiler Warnzeichen.
Typische Ursachen von Lawinenunglücken
- Neuschnee und Windverwehungen bilden instabile Schichten
- Zu späte Aufstiegszeit – erwärmte Schneedecke verliert Bindung
- Hangneigung zwischen 35 und 40 Grad besonders kritisch
- Fehleinschätzungen trotz moderater Warnstufe
Menschliche Tragödie hinter den Zahlen
Hinter den nüchternen Statistiken stehen persönliche Schicksale. Besonders tragisch: Unter den Opfern befanden sich laut Bergwacht ein Vater und seine Tochter. Beide galten als erfahrene Bergsteiger, die regelmäßig in den Alpen unterwegs waren. Für die Rettungskräfte, die tagtäglich Leben riskieren, war auch dieser Einsatz ein emotionaler Kraftakt. „Wenn du weißt, dass dort oben Familie auf Familie trifft – das lässt niemanden kalt“, sagte ein Mitglied des Bergrettungsteams laut lokalen Medien.
Die Organisation Aiut Alpin Dolomites verzeichnete in dieser Saison bereits über 560 Helikopter-Einsätze und 22 Todesfälle – ein alarmierender Wert, der zeigt, wie stark die Belastung der Bergwacht in Zeiten des wachsenden Alpin-Tourismus steigt. Immer mehr Freizeitkletterer zieht es ins Hochgebirge, oft bei wechselhaftem Wetter oder ohne ausreichende Kenntnis der Lawinenlage.
Lehren aus dem Unglück und offene Fragen
Was kann aus diesem Unglück gelernt werden? Bergexperten betonen, dass selbst moderate Lawinenwarnstufen kein Freifahrtschein sind. Wer sich in hochalpines Gelände begibt, sollte den Wetterbericht nicht nur lesen, sondern verstehen – Hangexposition, Windrichtung und Temperaturverlauf sind entscheidend. Auch moderne Ausrüstung wie LVS-Gerät, Sonde und Airbag-Rucksack kann Leben retten, wenn sie richtig eingesetzt wird.
Viele fragen sich, ob die Tour überhaupt hätte angetreten werden sollen. Doch in der Retrospektive bleibt das hypothetisch: Die Lawine war nicht vorhersehbar, sagen Experten. Das Risiko war da – wie immer im Gebirge, wo Schönheit und Gefahr so dicht beieinander liegen.
Ein Berg, der nicht vergisst
Das Lawinenunglück im Ortlergebirge erinnert daran, dass die Natur trotz Technik und Erfahrung unberechenbar bleibt. Für Südtirol, wo Berge Identität und Alltag zugleich sind, trifft diese Tragödie ins Herz. Die Namen der Opfer werden bald aus den Schlagzeilen verschwinden – doch im Gedächtnis der Bergsteiger-Community wird der 1. November 2025 als jener Tag bleiben, an dem der Ortler seine stille Macht zeigte.


















