
Pforzheim, 11. Juni 2025, 10:30 Uhr
Bild exemplarisch
Die Pforzheimer Innenstadt erlebt derzeit eine spürbare Veränderung im Stadtbild – und das ausgerechnet in einem Bereich, der viele Bürgerinnen und Bürger täglich betrifft: der Nahversorgung mit frischen Backwaren. Mit der jüngsten Schließung einer weiteren Bäckerei-Filiale reiht sich ein neuer Vorfall in eine Serie von Geschäftsaufgaben ein, die das Zentrum der Goldstadt zunehmend vor infrastrukturelle Herausforderungen stellt. Während die Ursachen vielfältig sind, zeichnet sich ein Muster ab, das sowohl lokal als auch bundesweit für Diskussionen sorgt.
Filialschließung in der Innenstadt: Der Fall Back-Factory
Die Back-Factory-Filiale am zentral gelegenen Leopoldplatz hat ihre Türen geschlossen. Für viele Innenstadtbesucher war die Filiale ein fester Bestandteil des alltäglichen Lebens – sei es für den schnellen Snack, den morgendlichen Kaffee oder das belegte Brötchen auf dem Weg zur Arbeit. Die Gründe für die Schließung sind dabei nicht allein wirtschaftlicher Natur: Der bisherige Betreiber übergab das Geschäft, ein neuer Inhaber ist in der Übergangsphase. Erste Aushänge lassen darauf schließen, dass die Neueröffnung in Kürze erfolgen soll. Immerhin: Vier Vollzeitstellen konnten bereits neu besetzt werden.
Mehr als ein Einzelfall: Die stille Kette der Geschäftsaufgaben
Der Fall Back-Factory ist keineswegs eine Ausnahme. Bereits am 1. Mai hatten zwei weitere Bäckereien in der Pforzheimer Fußgängerzone geschlossen:
- Die Filiale der Traditionsbäckerei Böss in der Nähe des Marktplatzes blieb aus Gründen des Personalmangels und rückläufiger Umsätze geschlossen.
- Die Discountbäckerei Backzeit stellte ihren Betrieb kommentarlos ein.
Diese Entwicklungen treffen insbesondere ältere Menschen und Pendlerinnen und Pendler, die auf ein flächendeckendes Versorgungsangebot angewiesen sind. Der Weg zur nächsten geöffneten Bäckerei wird vielerorts länger – ein Umstand, der in sozialen Netzwerken und Leserbriefen bereits intensiv diskutiert wird.
Gründe für die Entwicklung: Ein Mix aus Personalnot und Strukturwandel
Die Ursachen für diese Entwicklung sind komplex und lassen sich nicht auf einzelne Faktoren reduzieren. Dennoch zeigen sich einige wiederkehrende Themen:
Personalmangel
Nahezu alle betroffenen Betriebe berichten übereinstimmend vom Mangel an qualifiziertem Personal. Das betrifft sowohl Bäckermeister als auch Verkaufspersonal. Insbesondere in innerstädtischen Filialen, die auf schnelle Taktung und Flexibilität angewiesen sind, ist die Besetzung offener Stellen eine wachsende Herausforderung.
Rückgang der Laufkundschaft
Mit dem Umzug großer Einzelhandelsunternehmen, wie etwa dem Modehaus C&A in die Schlössle-Galerie, verschiebt sich die Passantenfrequenz. Für kleinere Versorger in der Innenstadt bedeutet das: Weniger Kundschaft, weniger Umsatz – bei gleichbleibenden oder steigenden Fixkosten.
Der nationale Kontext: Ein Strukturproblem im Handwerk
Was sich in Pforzheim abspielt, ist kein isoliertes Ereignis. Bundesweit sinkt die Zahl der Handwerksbäckereien seit Jahren drastisch. Zwischen 2014 und 2022 hat Deutschland rund 3.000 Bäckereibetriebe verloren – ein Rückgang um fast 25 Prozent.
Statistische Übersicht
Jahr | Anzahl der Bäckereien (Deutschland) |
---|---|
2014 | 12.600 |
2018 | 11.200 |
2022 | 9.600 |
2025 (Prognose) | unter 9.000 |
Diese Entwicklung ist eng verbunden mit der Explosion der Energiekosten seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Gleichzeitig belasten auch Bürokratie, digitale Rückstände und der Konkurrenzdruck durch Industriebäckereien und Supermärkte die wirtschaftliche Grundlage kleiner Betriebe.
Erfahrungsberichte: Was Betroffene sagen
Ein ehemaliger Betreiber einer Bäckerei-Filiale aus dem Enzkreis berichtet:
„Unsere Stromkosten sind innerhalb eines Jahres von 6.000 Euro auf 22.000 Euro gestiegen. Bei gleichbleibendem Umsatz ist das nicht mehr tragbar. Wenn dann noch zwei Verkäuferinnen kündigen, bleibt einem keine andere Wahl als zu schließen.“
Auch Vertreter der Bäckerinnung sehen die Entwicklung kritisch. Obermeister Martin Reinhardt beklagt: „Der Gesetzgeber lässt uns mit steigender Bürokratie und hohen Energiekosten allein. Gleichzeitig kaufen immer mehr Kunden Brot im Supermarkt – wir verlieren unsere Basis.“
Folgen für die Nahversorgung in Pforzheim
In Stadtteilen wie dem Sonnenhof droht durch die Schließung traditionsreicher Filialen bereits eine Versorgungslücke. Anwohner fordern politische Maßnahmen, um Nahversorgung – insbesondere mit Grundnahrungsmitteln wie Brot – dauerhaft sicherzustellen. Für viele ist die Bäckerei mehr als ein Verkaufsort: Sie erfüllt soziale Funktionen, ist Treffpunkt und Teil des Alltags.
Neue Wege: Digitalisierung, Nahversorgung und technologische Chancen
Ein bisher wenig genutzter Lösungsansatz in der Region ist die Digitalisierung des Bäckereiwesens. Während einige überregionale Betriebe wie „Junge Die Bäckerei“ mit KI-gestützter Personalplanung, Online-Vorbestellung und automatisierter Backplanung arbeiten, fehlen vergleichbare Initiativen in Pforzheim bislang fast vollständig.
Digitale Chancen
- Personalplanung via App oder KI
- Digitale Kassensysteme mit integrierter Warenanalyse
- Online-Vorbestellungen zur Reduzierung von Überproduktion
Zudem könnten Förderprogramme für Digitalisierung im Handwerk gezielt genutzt werden, um kleinere Bäckereien fit für die Zukunft zu machen. Beratungsangebote und Pilotprojekte stehen bereit – der Zugang muss jedoch aktiv gesucht werden.
Alternative Nahversorgungskonzepte: Ideen für die Innenstadt
In ländlichen Regionen zeigen Projekte wie „LandVersorgt“ oder „MarktTreff“, wie flexible Nahversorgung auch ohne stationäre Ladenstruktur funktionieren kann. Mobile Verkaufsstände, Dorfläden mit Selbstbedienung und sogar Drohnenzustellung werden erprobt. Solche Modelle könnten auch für innerstädtische Versorgungslücken geprüft werden – insbesondere für Randlagen mit älterer Bevölkerung.
Beispielhafte Lösungen
- Mobile Verkaufswagen mit festen Standzeiten
- Selbstbedienungskioske mit Backwaren
- Kooperationen mit regionalen Landwirten und Genossenschaften
Diese hybriden Konzepte verbinden Tradition mit technologischem Fortschritt – eine Kombination, die für viele Pforzheimer Bäckerbetriebe neue Perspektiven bieten könnte.
Zwischen Tradition und Zukunft
Die Bäckerei-Schließungen in der Pforzheimer Innenstadt sind Ausdruck eines strukturellen Problems, das weit über die Region hinausreicht. Steigende Kosten, Personalmangel, veränderte Einkaufsgewohnheiten und digitale Rückstände bedrohen das traditionelle Bäckerhandwerk. Gleichzeitig eröffnen neue Technologien, Förderprogramme und alternative Nahversorgungsmodelle Möglichkeiten, dieser Entwicklung aktiv entgegenzutreten.
Ob die Innenstadt von Pforzheim diesen Wandel aktiv gestalten kann, hängt maßgeblich davon ab, wie offen Politik, Handwerk und Stadtgesellschaft für Innovationen sind – und wie viel Wert man dem sozialen und kulturellen Wert einer Bäckerei beimisst. Eines ist sicher: Die nächste Schließung wird nicht die letzte sein, wenn keine neuen Wege gegangen werden.