33 views 10 mins 0 comments

Erste Funde: Sachsens Museen starten neue Prüfung auf NS-Raubkunst in ihren Sammlungen

In Aktuelles
Juli 23, 2025

Dresden – In Sachsen beginnt eine neue Ära der Aufarbeitung. Nicht nur große Kunstsammlungen, sondern auch kleinere, oft ehrenamtlich betriebene Museen nehmen sich nun der schwierigen Aufgabe an, ihre Bestände systematisch auf NS-Raubgut zu prüfen. Die Ergebnisse könnten weitreichende Auswirkungen auf die deutsche Erinnerungskultur haben.

Der lange Schatten der Vergangenheit

Die Herkunft von Kunstwerken, Büchern und historischen Alltagsgegenständen ist längst nicht immer eindeutig. Vor allem Gegenstände, die zwischen 1933 und 1945 erworben wurden, stehen unter Verdacht, im Zuge von Enteignung, Zwangsverkäufen oder systematischer Ausplünderung jüdischer Bürger und anderer Verfolgter des NS-Regimes in öffentliche oder private Sammlungen gelangt zu sein.

Was genau versteht man unter NS-Raubgut? Gemeint sind Kulturgüter, die ihren rechtmäßigen Eigentümern in der Zeit des Nationalsozialismus infolge von Verfolgung, Entrechtung oder Vertreibung entzogen wurden. Dabei kann es sich um Gemälde handeln, aber ebenso um Bücher, Möbelstücke oder religiöse Objekte. Die systematische Beraubung jüdischer Bürger, politisch Andersdenkender und weiterer Opfergruppen hat enorme Spuren in deutschen Museen hinterlassen.

Ein Pilotprojekt für Sachsen

Seit Ende 2023 werden auch in Sachsen kleinere Museen aktiv: In einem vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekt unter Leitung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) wurden sechs nichtstaatliche Museen einem sogenannten „Erstcheck“ unterzogen. Dieser Begriff beschreibt eine erste systematische Durchsicht der Museumsbestände nach auffälligen Objekten mit problematischer Provenienz.

Die betroffenen Häuser – darunter das Heimatmuseum Wilsdruff, das Stadtmuseum Döbeln und das Museum auf Burg Mylau – stehen exemplarisch für die Herausforderungen kleiner, oft regional verwurzelter Institutionen: begrenzte Budgets, oft nur ehrenamtliche Leitung und fehlende Expertise im Bereich Provenienzforschung. Dennoch konnten bereits erste Verdachtsmomente festgestellt werden.

Bewegende Einzelfälle

Ein besonders eindrucksvoller Fund stammt aus dem Museum Burg Mylau. Dort wurden zwei Fragmente hebräischer Schriften entdeckt – mutmaßlich Kulturgut aus jüdischen Gemeinden Osteuropas, das während des Holocausts beschlagnahmt wurde. Auch im Stadt- und Dampfmaschinenmuseum Werdau wurde ein bedeutsames Objekt gefunden: das historische Firmenschild der jüdischen Familie Ringer, die 1938 Opfer der Novemberpogrome wurde. Das Schild wurde später öffentlich ausgestellt, um die Erinnerung wachzuhalten.

Wie erfolgt die Prüfung auf NS-Raubgut?

Doch wie überprüfen Museen überhaupt, ob sie NS-Raubgut besitzen? Der Prozess beginnt mit einer Durchsicht der Sammlungsdokumentation – Inventarbücher, Eingangsbücher, Korrespondenzen und alte Etiketten werden systematisch durchleuchtet. Anhand von Ankaufsdaten, Vorbesitzervermerken oder Spuren auf den Objekten selbst (z. B. Stempel, Aufkleber) wird der Weg eines Exponats rekonstruiert.

Verdachtsfälle werden daraufhin in die Lost Art-Datenbank eingetragen – eine zentrale Plattform zur Erfassung möglicher NS-Raubkunst in Deutschland. Sie dient der Transparenz und ermöglicht potenziellen Anspruchsberechtigten, ihre Eigentumsrechte geltend zu machen.

Unterstützung für kleine Museen

Für kleine Häuser ist dieser Prozess oft eine Überforderung. Daher stellt sich die Frage: Gibt es Unterstützung speziell für kleine Museen bei der Raubkunst-Prüfung? Ja. Neben der finanziellen Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste unterstützen Landesstellen wie die SLfM (Sächsische Landesstelle für Museumswesen) mit Beratung, Schulungen und technischem Know-how. Digitale Werkzeuge wie das Sammlungsmanagementsystem „robotron*Daphne“ helfen bei der strukturierten Erfassung und Auswertung der Objekte.

Statistiken und Fortschritte

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht den Reformbedarf: Obwohl es in Deutschland rund 6.300 Museen gibt, betreiben laut Erhebungen nur etwa 12 Prozent überhaupt Provenienzforschung. In Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen liegt die Quote zwar etwas höher – rund 23 Prozent –, doch bundesweit besteht Nachholbedarf. Von den etwa 60.000 erfassten Objekten in der Lost Art-Datenbank wurden bislang nur 23 Fälle vollständig abgeschlossen.

Wie viele deutsche Museen betreiben also tatsächlich Provenienzforschung? In den letzten Jahren wurden rund 84 institutionelle Projekte mit Fördermitteln umgesetzt. Doch viele Museen verfügen weiterhin über keine festen Stellen oder ausgebildete Provenienzforscher – insbesondere im ländlichen Raum.

Wachsende Sensibilität durch Netzwerke

Erfreulich ist, dass sich seit einigen Jahren ein stärkeres Bewusstsein für das Thema entwickelt. Auf Plattformen wie X (vormals Twitter) äußern sich Museumsmitarbeitende zunehmend zu Provenienzfragen. Hashtags wie #Raubkunst, #Provenienzforschung oder #Museen verweisen auf eine intensivere Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe und der moralischen Verantwortung gegenüber den Opfern des NS-Unrechts.

Auch Netzwerke wie der „Arbeitskreis Provenienzforschung e. V.“ oder regionale Zusammenschlüsse – etwa die 2023 gegründete „AG Provenienzforschung in Sachsen“ – fördern den Austausch von Fachwissen. Sie bieten Schulungen, Beratung und Materialien für Museen, die sich auf den Weg machen wollen.

Was geschieht bei einem Verdacht?

Wie wird mit Verdachtsfällen in Museen verfahren? Sobald ein Objekt als möglicherweise raubkunstbelastet identifiziert ist, beginnt eine vertiefte Untersuchung. Experten suchen nach Hinweisen auf die ursprünglichen Eigentümer, prüfen Restitutionsansprüche und konsultieren internationale Datenbanken. Häufig werden die Funde dann öffentlich dokumentiert – zum Beispiel im Rahmen von Sonderausstellungen oder durch Pressemitteilungen.

Im Falle belasteter Objekte kann ein Antrag an die sogenannte Beratende Kommission gestellt werden – eine Schiedsstelle, die seit Jahren Empfehlungen zu Rückgaben ausspricht. Allerdings gibt es wachsende Kritik an der Unverbindlichkeit ihrer Urteile. Juristen, Verbände und Historiker fordern daher gesetzliche Reformen, etwa die Einführung eines bindenden Schiedsgerichts und eine bessere rechtliche Absicherung der Rückgabeprozesse.

Förderlandschaft im Wandel

Welche Förderprogramme gibt es für Provenienzforschung in kleinen Museen? Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste stellt jährlich mehrere Millionen Euro bereit – sowohl für Erstchecks als auch für tiefergehende Forschungsprojekte. Spezielle Programme existieren mittlerweile in Sachsen, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Diese fördern nicht nur die Recherche selbst, sondern auch die Weiterbildung von Mitarbeitenden und die Digitalisierung von Sammlungen.

Beispielhaft ist das Projekt „sammeln/entsammeln“ in Sachsen-Anhalt. Hier arbeiten mehrere Stadtmuseen gemeinsam an der Aufarbeitung ihrer Bestände – gestützt von einem eigenen wissenschaftlichen Netzwerk.

Die Rolle der Digitalisierung

Moderne Datenbanksysteme und digitale Tools erleichtern inzwischen auch kleinen Häusern die Arbeit. „robotron*Daphne“, das etwa von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eingesetzt wird, ermöglicht die strukturierte Erfassung von Objektinformationen – auch rückwirkend bis in die 1930er Jahre. Beratungen durch Landesstellen und Software-Partner unterstützen Museen bei der Implementierung solcher Systeme.

Digitale Projekte haben zudem den Vorteil, dass Ergebnisse besser kommuniziert und auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Das fördert die Transparenz und erhöht die Chancen, Erben und Anspruchsberechtigte zu finden.

Mehr als nur eine Formalität

Die Prüfung auf NS-Raubgut ist keine rein akademische Übung. Sie hat eine tiefgreifende ethische Dimension. In vielen Fällen ist die Rückgabe eines Objekts an die Nachfahren der ursprünglichen Eigentümer ein Akt der Gerechtigkeit, der Jahrzehnte zu spät kommt – aber dennoch einen symbolischen wie konkreten Wert besitzt.

Wie ein Kurator eines kleinen Museums in Sachsen anonym in einem Netzwerkbeitrag kommentierte: „Wir wussten lange nicht, wie viel Verantwortung wir mit jedem Ausstellungsstück übernehmen. Erst heute lernen wir, wie eng Erinnerung und Besitz verknüpft sind.“

Sachsens kleine Museen stehen vor großen Aufgaben – doch sie nehmen diese zunehmend an. Mit Unterstützung durch staatliche Fördermittel, digitale Werkzeuge und wachsende Netzwerke entwickeln sich viele lokale Einrichtungen zu ernsthaften Akteuren der Erinnerungsarbeit. Die ersten Schritte – etwa durch die jüngsten Funde auf Burg Mylau und in Werdau – zeigen: Provenienzforschung wirkt, auch außerhalb der großen Museumslandschaft.

Bleibt zu hoffen, dass Politik und Gesellschaft diesen Weg weiterhin stärken – durch Verbindlichkeit, Transparenz und ein offenes Ohr für die Geschichten, die jedes Exponat in sich trägt.

Avatar
Redaktion / Published posts: 1775

Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.