
Berlin, 15. Juni 2025, 15:27 Uhr
Bild exemplarisch
Ein gut organisiertes Netzwerk hat rund um den neu eingeführten Veteranentag in Deutschland eine aufsehenerregende Protestaktion gestartet: In zahlreichen Städten tauchten gefälschte Bundeswehr-Plakate auf. Mit provokanten Slogans wie „Nazis. Patronen. Einzelfälle.“ oder „Abhängen mit Nazi-Preppern?“ will das sogenannte „Antimilitaristische Aktionsnetzwerk“ Kritik an strukturellen Problemen innerhalb der Bundeswehr und ihrer gesellschaftlichen Positionierung äußern. Die Protestform, bekannt als Adbusting, wirft Fragen auf – über Recht und Kunstfreiheit, über Legitimität von Protest, aber auch über den Zustand der Armee.
Was ist passiert?
Seit Anfang Juni wurden in mehreren deutschen Städten auffällig manipulierte Werbeplakate der Bundeswehr entdeckt. Betroffen waren insbesondere Berlin, Dresden, Stralsund, Freiburg, Köln und Potsdam. Die Plakate waren täuschend echt – im Stil offizieller Bundeswehr-Kampagnen gehalten, jedoch mit drastisch abgewandelten Inhalten. Auf einigen war zu lesen: „Deutscher Mix: Nazis, Munition, Einzelfälle“ oder „Menschen töten wie im Spiel?“
In Berlin wurden über 100 solcher Poster gesichtet, in Dresden sicherte die Polizei etwa 24 Exemplare. Auch in kleineren Städten wie Freiburg oder Stralsund waren manipulierte Motive im Stadtbild präsent. Ziel war es offenbar, den neu eingeführten Veteranentag am 15. Juni symbolisch zu unterlaufen – und die öffentliche Debatte über Militarisierung, Rechtsextremismus in der Bundeswehr sowie die gesellschaftliche Rezeption militärischer Symbolik neu zu entfachen.
Wer steckt dahinter?
Initiator der Aktion ist das „Antimilitaristische Aktionsnetzwerk“, das sich aus verschiedenen Gruppierungen der Friedensbewegung zusammensetzt. Die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner:innen) spielt dabei eine zentrale Rolle. Unterstützt wird die Aktion von lokalen Adbusting-Kollektiven wie dem anonym operierenden „Dies Irae“. Diese Gruppen verfügen über jahrelange Erfahrung in der subversiven Plakatkunst und agieren bewusst an der Schnittstelle zwischen politischem Aktivismus und künstlerischer Intervention.
„Wir wollen der Bundeswehr die Deutungshoheit über den sogenannten Veteranentag klauen. Gerade in den Veteranen- und Reservistenverbänden tummeln sich ein Haufen rechter Spinner“, erklärte eine Sprecherin des Netzwerks.
Die Aktionsform Adbusting – eine Mischung aus „Advertising“ und „Busting“ – hat Tradition: Sie ist inspiriert vom Kulturjamming und zielt darauf ab, kommerzielle oder staatliche Werbebotschaften satirisch zu brechen, umzudeuten oder zu entlarven.
Form und Methodik der Aktion
Die Protestierenden gingen professionell vor: Die manipulierten Plakate wurden auf hochwertigem Papier gedruckt, im exakten Layout offizieller Bundeswehr-Kampagnen. Sie wurden gezielt in Vitrinen an Bushaltestellen und Werbeflächen eingesetzt – teilweise mit Schlüsseln, teilweise durch Vandalismus-freien Austausch vorhandener Motive.
Adbusting-Aktionen bleiben in der Regel nur kurze Zeit sichtbar – oftmals entfernt durch städtische Reinigungsdienste oder Werbefirmen. Die hohe Zahl gefälschter Plakate und die bundesweite Streuung zeigen jedoch, dass es sich um eine zentral koordinierte Aktion mit erheblichem Aufwand handelte.
Beispiele für verwendete Slogans:
- „Nazis. Patronen. Einzelfälle.“
- „Menschen töten wie im Spiel?“
- „Deutscher Mix: Nazis, Munition, Einzelfälle“
- „Abhängen mit Nazi-Preppern?“
- „Nein zum Veteranentag – keine Bühne für Kriegsverherrlichung“
Rechtliche Bewertung: Protest oder Straftat?
Juristisch bewegen sich die Aktivisten auf einem schmalen Grat. Zwar ist das unbefugte Aufhängen von Plakaten auf fremdem Eigentum grundsätzlich ordnungswidrig, doch Gerichte haben wiederholt entschieden, dass es sich bei Adbusting nicht zwangsläufig um eine Straftat handelt – insbesondere, wenn kein Sachschaden entsteht und die Plakate leicht zu entfernen sind.
In Berlin urteilte das Bundesverfassungsgericht 2023, dass Hausdurchsuchungen wegen Adbusting-Aktionen unverhältnismäßig waren. Auch in anderen Städten wie Köln und Dresden wurden zwar Ermittlungen eingeleitet, aber bisher keine Anklagen erhoben.
Rechtliche Einordnung im Überblick:
Aspekt | Juristische Bewertung |
---|---|
Plakattausch ohne Sachbeschädigung | Meist Ordnungswidrigkeit |
Verschlossene Werbeflächen aufgebrochen | Strafbar als Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch |
Künstlerisch-politische Aussage | Teilweise geschützt durch Meinungsfreiheit |
Staatsschutzermittlungen | Nur bei konkretem Anfangsverdacht |
Kontext: Rechtsextremismus in der Bundeswehr
Ein zentrales Thema der Protestaktion ist die Kritik am Umgang der Bundeswehr mit rechtsextremen Vorfällen in den eigenen Reihen. Laut jüngsten Zahlen aus 2023 wurden über 200 Verdachtsfälle auf rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Einstellungen innerhalb der Truppe dokumentiert. In mindestens 62 Fällen kam es zu Entlassungen.
Diese Zahlen belegen: Der Vorwurf der Protestierenden ist nicht aus der Luft gegriffen. Auch ehemalige Angehörige des Kommando Spezialkräfte (KSK) waren in der Vergangenheit wiederholt Ziel von Ermittlungen – darunter Fälle von Munitionserwerb, Sympathie mit verfassungsfeindlichen Gruppen und Chatgruppen mit Umsturzfantasien.
Reaktionen aus Politik und Gesellschaft
Die Protestaktion löste ein geteiltes Echo aus. Während Vertreter:innen der Friedensbewegung und linkspolitische Parteien wie Die Linke die Aktion als „legitime Kritik“ bezeichneten, äußerten sich Bundeswehr-Vertreter und konservative Politiker empört.
Der Bundeswehrverband erklärte, solche Aktionen diffamierten Soldat:innen, die im Auftrag der Gesellschaft ihren Dienst leisten. Aus Reihen der CDU wurde von einer „grenzüberschreitenden Aktion“ gesprochen, die das Andenken gefallener Soldaten verhöhne.
„Wer solche Plakate verbreitet, will nicht diskutieren, sondern provozieren – und spaltet unsere Gesellschaft“, so ein Bundestagsabgeordneter der CDU.
Gleichzeitig gibt es auch Stimmen, die den Veteranentag selbst infrage stellen. Kritiker:innen bemängeln eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft und fordern eine breitere Debatte über Erinnerungskultur, Friedenspolitik und Bundeswehr-Einsätze im Ausland.
Internationale Perspektive
Auch international finden ähnliche Protestformen statt. In Helsinki und Frankfurt gab es kürzlich Plakataktionen, in denen auf das Schicksal russischer und belarussischer Kriegsdienstverweigerer hingewiesen wurde. Auch hier wurde das Mittel des Adbusting genutzt, um humanitäre Anliegen öffentlichkeitswirksam zu platzieren.
In Frankreich und Spanien ist Adbusting als Kunstform deutlich weiter verbreitet und wird von der Zivilgesellschaft teilweise gefeiert – etwa wenn Werbekampagnen multinationaler Konzerne satirisch entlarvt oder politische Themen visualisiert werden.
Symbolpolitik mit Wirkung
Die Adbusting-Aktion rund um den Veteranentag zeigt, wie wirkungsvoll subversive Protestformen in einer durchinszenierten Mediengesellschaft sein können. Durch die visuelle Nähe zu offiziellen Kampagnen und die gezielte Provokation wird Aufmerksamkeit generiert – und eine Debatte angestoßen, die weit über den Tag selbst hinausreicht.
Unabhängig davon, wie man zu Form und Inhalt der Aktion steht, bleibt festzuhalten: Die Bundeswehr steht unter Druck, sich mit rechtsextremen Tendenzen und ihrer Außendarstellung kritisch auseinanderzusetzen. Gleichzeitig muss die Gesellschaft entscheiden, wie sie mit kritischem Protest umgeht – ob sie ihn als demokratische Meinungsäußerung akzeptiert oder kriminalisiert.
Der Veteranentag 2025 hat auf jeden Fall ein Schlaglicht auf zentrale Fragen unserer Zeit geworfen – und die Grenzen des Sagbaren, Sichtbaren und Zulässigen neu definiert.