
Mit einem gewaltigen Knall ist am 27. Juli 2025 das letzte verbliebene Hochhaus der berüchtigten „Weißen Riesen“ in Hochheide gesprengt worden. Die Aktion markiert nicht nur das Ende eines Bauwerks, sondern steht sinnbildlich für den Neustart eines ganzen Stadtteils. Tausende Menschen verfolgten das Ereignis vor Ort oder via Livestream – und diskutieren über das, was war und das, was kommen soll.
Ein Stadtteil im Umbruch
Hochheide, ein Stadtteil im Duisburger Westen, war einst ein florierendes Viertel mit moderner Wohnarchitektur und bezahlbarem Wohnraum. In den 1970er-Jahren entstanden im Rahmen des Wohnparks Hochheide sechs massive Hochhäuser mit jeweils bis zu 320 Wohnungen. Die sogenannten „Weißen Riesen“ waren Teil eines städtebaulichen Zukunftsprojekts – und wurden mit der Zeit zu einem Sinnbild für städteplanerisches Scheitern.
Nach Jahrzehnten zunehmender Verwahrlosung, sozialer Schieflagen und wachsender Kriminalität wurde 2019 mit dem Abriss der ersten Hochhäuser begonnen. Mit der Sprengung des dritten und letzten Gebäudes im Juli 2025 endet nun ein Kapitel Duisburger Stadtgeschichte – und ein neues beginnt.
Das Ende des letzten Riesen
Sprengung auf die Sekunde genau
Am 27. Juli 2025 um exakt 12:00 Uhr fiel das rund 63 Meter hohe Hochhaus an der Friedrich-Ebert-Straße kontrolliert in sich zusammen. Dabei kam eine ausgeklügelte Sprengtechnik zum Einsatz, die sogenannte Kipp-Kollaps-Faltung. Zwei Zündimpulse sorgten dafür, dass das Gebäude sich zunächst in eine Richtung neigte, bevor es anschließend auf definierte Weise zusammenbrach. Insgesamt dauerte der Vorgang kaum acht Sekunden – eine minutiös geplante Operation, durchgeführt von erfahrenen Sprengtechnikern.
Wie viel Sprengstoff wurde für die Sprengung verwendet?
Nach Angaben der Stadt kamen rund 300 Kilogramm Sprengstoff und etwa 600 Einzelzünder zum Einsatz – gezielt angebracht an tragenden Strukturen. Das Ziel: minimale Erschütterung, maximale Kontrolle. Dass dies gelang, bestätigen zahlreiche Augenzeugenberichte und Drohnenaufnahmen, die eine nahezu perfekte Implosion zeigen.
Wie viele Menschen mussten bei der Sprengung evakuiert werden?
Zur Sicherheit wurden ab 8:00 Uhr rund 2.200 Menschen aus dem direkten Umfeld evakuiert. Die Anwohner mussten ihre Wohnungen verlassen, Fahrzeuge umparken und das Gebiet verlassen. Erst nach dem Sirenensignal gegen 13:00 Uhr durften sie zurückkehren – sofern die Einsatzleitung das Areal freigegeben hatte. Die Evakuierung verlief reibungslos, auch dank intensiver Informationskampagnen im Vorfeld.
Warum musste der „Weiße Riese“ weichen?
Ein Haus wird zum Sinnbild des sozialen Abstiegs
Die Hochhäuser von Hochheide galten über Jahrzehnte als kostengünstiger Wohnraum. Doch mit dem demografischen Wandel und sozialem Ungleichgewicht entwickelte sich das Viertel zu einem Problembezirk. Leerstand, Verwahrlosung und Sozialbetrug waren Alltag. Paketdienste wie DHL stellten ihre Zustellung zeitweise ein – aus Angst vor Angriffen. Medienberichte sprachen von „sozialem Kollaps“.
„Die ‚Weißen Riesen‘ stehen […] für Konflikte und den Abstieg eines Wohnviertels“, fasste es eine große deutsche Tageszeitung treffend zusammen. Vor diesem Hintergrund wurde der Rückbau nicht nur als städtebauliche Maßnahme, sondern auch als Symbol eines Neuanfangs verstanden – als Versuch, einen sozialen Kipppunkt zu korrigieren.
Soziale Statistik und politische Förderkulisse
Hochheide ist mit rund 15.700 Einwohnern ein dicht besiedelter Stadtteil. Der Ausländeranteil beträgt rund 28 Prozent, die Arbeitslosenquote liegt bei über 30 Prozent. Bereits 2013 waren über ein Viertel der unter 65-Jährigen auf Hartz IV angewiesen. Das NRW-Bauministerium und der Bund unterstützen den Rückbau und die Quartiersentwicklung mit insgesamt über 34 Millionen Euro. Allein das Stadtpark-Projekt wird mit 1,7 Millionen Euro aus Bundesmitteln gefördert.
Was passiert mit dem Gelände nach dem Abriss?
Die Vision vom Stadtpark Hochheide
Das freigeräumte Areal soll künftig nicht bebaut, sondern begrünt werden. Geplant ist ein etwa sechs Hektar großer Stadtpark, der sich in drei Funktionsbereiche gliedert:
- Destination Sport: Bewegungs- und Fitnessflächen für alle Altersgruppen
- Gemeinsam machen: Urban Gardening, Spielplätze und soziale Treffpunkte
- Destination Park: Wiesen, ein Naturteich und Bildungsangebote zum Klimaschutz
Der Park soll barrierefrei, energieautark und mit regionaltypischen Pflanzen gestaltet werden. Die Fertigstellung ist für spätestens 2026 geplant. Parallel werden Bildungszentren, Begegnungsräume und kulturelle Einrichtungen in den Stadtteil integriert – unter Einbeziehung der Bürger vor Ort.
Wie sehen Bürger und Politik das Projekt?
Der Duisburger Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir, selbst in Hochheide aufgewachsen, nennt das Projekt „einen konsequenten Schritt im Sinne einer sozialen Stadterneuerung“. Sein Kollege Felix Banascak betont hingegen, dass ein Abriss allein kein neues Leben garantiere: „Ohne Anschlussangebote und Beteiligung bleibt der Wandel kosmetisch.“
In Sozialen Medien reichen die Reaktionen von Euphorie über „den Neuanfang“ bis zu nostalgischer Trauer. Einige Nutzer vergleichen den Abriss mit ähnlichen Rückbauaktionen in Köln-Chorweiler oder Gelsenkirchen-Hassel. Andere kritisieren, dass man das Geld besser in Sanierungen und Sozialarbeit investiert hätte.
Chronik des Umbaus: Von der Utopie zur Ruine
Ein Rückblick in Zahlen
Jahr | Ereignis |
---|---|
1972–1974 | Bau der sechs „Weißen Riesen“ im Wohnpark Hochheide |
2008–2009 | Sanierung des „Roten Riesen“ mit Concierge und Sozialdienst |
2019 | Erste Sprengung eines Hochhauses |
2021 | Zweite Sprengung, vorbereitende ISEK-Maßnahmen |
2025 | Dritte und finale Sprengung – das Kapitel „Weiße Riesen“ endet |
Was bleibt nach dem Knall?
Die Sprengung des letzten „Weißen Riesen“ war mehr als ein bautechnisches Ereignis. Sie war ein emotionaler, sozialer und politischer Einschnitt. Während Drohnen die Rauchwolken filmten und Livestreams über Social Media liefen, erlebte ein Stadtteil seinen symbolischen Neuanfang. Doch der eigentliche Wandel beginnt erst jetzt.
In Foren berichten Anwohner davon, dass „nur die Tauben geblieben sind“, nachdem die Trümmer geräumt waren. Das kann man als melancholisches Bild lesen – oder als Chance. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob der Umbau gelingt. Der Stadtpark Hochheide ist jedenfalls mehr als eine grüne Fläche: Er ist das Versprechen auf ein anderes Miteinander.