
Eine Gesetzeslücke mit Folgen
Catcalling – ob in Form von anzüglichen Sprüchen, Pfiffen oder obszönen Bemerkungen – ist in Deutschland bislang nicht ausdrücklich strafbar. Zwar können Einzelfälle unter die Beleidigung (§185 StGB) oder die sexuelle Belästigung (§184i StGB) fallen, doch letzterer Tatbestand setzt körperlichen Kontakt voraus. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2017 hat diese Lücke bestätigt: Verbale Belästigungen gelten juristisch oft nicht als persönliche Herabsetzung.
Die SPD will nun mit einem eigenen Straftatbestand reagieren, um diese Grauzone zu schließen. Geplant sind vor allem Geldstrafen, doch auch Freiheitsstrafen könnten im Raum stehen. Damit soll eine klare Botschaft gesendet werden: Täter müssen Verantwortung übernehmen, nicht die Opfer.
Warum die SPD Catcalling unter Strafe stellen will
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede betonte: „Nicht die Opfer sollen ihr Verhalten ändern, sondern die Täter.“ Studien zeigen, dass sich viele Betroffene aus dem öffentlichen Leben zurückziehen, aus Angst vor weiteren Belästigungen. Damit geht es nicht nur um Einzelfälle, sondern um ein gesellschaftliches Klima, das die Freiheit vor allem von Frauen einschränkt.
Auf die Frage „Warum will die SPD Catcalling unter Strafe stellen?“ lautet die Antwort klar: Weil verbale sexuelle Belästigung eine erhebliche psychische Belastung darstellt, aber bislang kaum Konsequenzen nach sich zieht. Mit einem neuen Straftatbestand soll die Rechtslage modernisiert und Betroffenen mehr Schutz geboten werden.
Gesellschaftliche Dimensionen: Zahlen und Studien
Eine Erhebung des Bundesfamilienministeriums von 2022 verdeutlicht, wie groß das Problem ist: Rund 44 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer in Deutschland haben bereits Catcalling erlebt. Für viele bleibt es nicht bei einem kurzen Ärgernis – es wirkt sich direkt auf das Sicherheitsgefühl und den Alltag aus.
Eine weitere Studie aus demselben Jahr zeigt die Folgen im Detail:
- 42 Prozent der Betroffenen entwickeln Angst vor sexuellen Übergriffen.
- 45 Prozent bewaffnen sich auf dem Heimweg mit Pfefferspray oder ähnlichen Mitteln.
- 48 Prozent telefonieren unterwegs, um sich sicherer zu fühlen.
- 46 Prozent geben an, sich in ihrer Freiheit eingeschränkt zu sehen.
- 90 Prozent der Befragten befürworten eine staatliche Regulierung.
Besonders bemerkenswert: 78 Prozent sehen Catcalling als ernstes gesellschaftliches Problem, das politisches Handeln erfordert.
Internationale Beispiele
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Deutschland nicht allein vor dieser Herausforderung steht. In Frankreich, Belgien, Portugal und seit 2024 auch in den Niederlanden ist Catcalling bereits strafbar. Dort drohen Bußgelder oder sogar Haftstrafen. Die SPD verweist auf diese Länder, um zu zeigen, dass gesetzliche Regelungen nicht nur möglich, sondern bereits erfolgreich umgesetzt sind.
Vergleich der Rechtslage
Land | Regelung | Strafen |
---|---|---|
Frankreich | Sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum strafbar | Bußgelder bis zu mehreren Hundert Euro |
Portugal | Verbale Belästigung ausdrücklich geregelt | Bußgelder und Haft möglich |
Niederlande | Seit Juli 2024 verboten | Geldstrafen bis 4.500 Euro |
Debatte über die Grenzen des Strafrechts
Die Pläne der SPD stoßen auch auf Kritik. Gegner befürchten, dass die Formulierungen zu schwammig sein könnten und selbst harmlose Flirtversuche kriminalisieren. In Foren wie Reddit oder auf X wird zudem immer wieder die Frage gestellt, wie eine solche Regelung praktisch umgesetzt werden soll.
Ein Nutzer schrieb: „Wie soll man Catcalling beweisen, wenn Aussage gegen Aussage steht?“ Diese Frage verweist auf eine der größten Herausforderungen: den Nachweis. Diskutiert wird deshalb auch, ob abgestufte Sanktionen sinnvoll wären – etwa die Einstufung als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern anstatt gleich als Straftat.
Die Sicht der Betroffenen
Organisationen wie Chalk Back Deutschland machen deutlich, wie allgegenwärtig das Problem ist. Über Social Media, insbesondere Instagram, dokumentieren Betroffene Vorfälle und markieren Hotspots. Mit über 300 lokalen Gruppen weltweit, davon 127 in Deutschland, zeigt sich: Catcalling ist kein Randphänomen, sondern alltägliche Realität.
Zudem werden Workshops und Bystander-Trainings angeboten, die Menschen befähigen sollen, Betroffene zu unterstützen und Belästigungen nicht unkommentiert stehen zu lassen.
Häufig gestellte Fragen rund um Catcalling
Ist Catcalling in Deutschland strafbar?
Nein, bislang nicht. Catcalling fällt derzeit in Deutschland in keine eigenständige Straftat. Nur in Einzelfällen greifen bestehende Tatbestände wie Beleidigung.
Welche Strafen drohen bei Catcalling in Deutschland?
Da Catcalling kein eigener Straftatbestand ist, gibt es keine klar geregelte Strafe. Möglich sind Geld- oder Freiheitsstrafen über andere Paragrafen, wenn der Tatbestand erfüllt ist. Die SPD-Initiative will das ändern.
Wie viele Frauen erleben Catcalling?
Studien zufolge fast die Hälfte. Vor allem Frauen zwischen 18 und 35 Jahren berichten häufig von Erfahrungen, die ihren Alltag beeinflussen und ihr Sicherheitsgefühl einschränken.
Was sagt der BGH zu Catcalling?
Der Bundesgerichtshof stellte 2017 fest, dass Catcalling nicht automatisch als Beleidigung gilt, da es nicht zwingend eine persönliche Herabsetzung darstellt. Genau diese Einschätzung macht die Schaffung eines neuen Straftatbestandes notwendig.
Juristische Grauzone und politische Lösung
Juristinnen und Juristen weisen darauf hin, dass Catcalling bislang eine rechtliche Grauzone bleibt. Zwar sind die Folgen für Betroffene erheblich, doch eine konsequente Ahndung ist selten möglich. Mit dem neuen Gesetz will die SPD diese Lücke schließen und gleichzeitig ein Signal für mehr Respekt im öffentlichen Raum setzen.
Gesellschaftliche Reaktionen und Ausblick
Die Debatte um Catcalling zeigt, dass die Gesellschaft zwischen Sensibilisierung und Überregulierung eine Balance finden muss. Aktivistinnen fordern seit Jahren eine konsequente Strafverfolgung, während Kritiker vor zu weitreichenden Eingriffen warnen. Die SPD-Initiative versucht, einen Mittelweg zu finden: klare Strafen für erhebliche verbale sexuelle Belästigung, ohne den Alltag unnötig zu kriminalisieren.
Das Vorhaben ist Teil einer umfassenden Modernisierung des Strafrechts, die im Koalitionsvertrag verankert ist. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wäre Deutschland auf einer Linie mit mehreren europäischen Nachbarn. Damit würde ein klares Signal gesetzt: Respekt und Sicherheit im öffentlichen Raum sind nicht verhandelbar.
Catcalling ist mehr als nur ein harmloses Pfeifen oder ein „Kompliment“. Es ist für viele Betroffene eine Form von Einschüchterung und Respektlosigkeit, die ihr Leben nachhaltig beeinflusst. Die geplanten Maßnahmen der SPD könnten eine Wende einleiten: weg von einem Klima, in dem Betroffene schweigen oder ausweichen, hin zu einer Gesellschaft, in der Täter Verantwortung tragen. Ob es gelingt, hängt nun von der politischen Debatte und der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes ab. Klar ist jedoch: Das Thema steht im Zentrum einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die längst überfällig war.